Herbstwelt

Albert Anker 1831-1910
Noch wiegt der Baum sein Blattgewand,
das herbstlich bunte, schöne.
Sein grünes Kleid ist braungebrannt –
in hell und dunkle Töne.
 
Regen beschwert die müde Pracht,
lässt sie zu Boden gleiten.
Der Sturmwind treibt die fahle Fracht
hinab, hinauf, beizeiten.
 
Die Straßen sind des Laubes voll –
es raschelt auf den Wegen.
Ein Jeder bringt der Mühe Soll
dem Erntedank entgegen.
 
Die Sonne scheint verhalten, mild;
gar lang die Regenzeiten.
Die triste Dunkelheit verhüllt
das In-den-Winter-gleiten.
 
Die Lebensgeister sind verstummt,
nun herrscht ein dunkles Treiben.
Die Erde ruht. Die Herbstwelt summt
besinnlich, leise Weisen.

Altweibersommer

Rosenzeit – Ferdinand Georg Waldmüller (1793 -1865)
Des Sommerzaubers Üppigkeit vergeht;
noch treibt er Knospen, doch mit Langsamkeit.
Die letzten Rosen zeichnen ihren Weg
und ihre Blütenblätter deuten Endlichkeit.

Des späten Frühlings Wunderblumenband
ist nun zerrissen, durch den Wind der Nacht.
In Wald und Tal hat sich ein Netz gespannt
und der Altweibersommer weint und lacht.

Morbide übt die Welt den Abgesang;
die Sonne lächelt sanfter durch die Zweige.
Bis zum September ist’s ein kurzer Gang.
In Lüften schwebt ein Faden feiner Seide.

Die Farbenpracht des Herbstes ist bereit
sich auf das helle Sommerkleid zu legen.
Er taucht in Gelb und Braun das Blätterkleid
und kühlt die ausgebrannte Welt mit Regen.

Hochsommer

Edmund Blair Leighton 1852-1922
Es liegt die Glut des Sommers auf der Welt.
Die Wärme ist zum Greifen, Tag und Nacht.
Sie treibt die Dürrezeit schon früh durch Stadt und Feld.
Die Winde ruh’n und sammeln ihre Kraft.

Schon jetzt sah ich manch müdes, braune Blatt,
wie es mit letzter Kraft am Sommerzweige klebt
und schließlich herbstverloren, kraftlos, matt,
den Weg ‚Vergänglichkeit‘ zu gehen pflegt.

Die Nachtigall singt Abschiedsmelodien,
vertagt sind Frühjahrsträume bis ins nächste Jahr.
Wenn Vogelschwärme in den Süden ziehn,
dann ist der trübe Herbst zum Greifen nah.

Die Regensehnsucht schaut den Himmel an.
Kein Wölkchen hängt am tiefen Himmelblau,
und rinnt das Lebenswasser irgendwann,
entleert sich sanft das feuchte Wolkengrau.

Dann trinkt die Welt das langersehnte Nass,
füllt dürftig auf, was längst schon Staub geworden,
es grünt erneut das längst verdorrte Gras
und erste Winde kühlen unsren Morgen. 

In Stein gebannt

Bild von John_Nature_Photos auf Pixabay
Bebend die Starre zerbrechen, 
versunken in blutroten Bächen,
als Magma erstickten die Gluten,
auftauchen in ruhigeren Fluten. 

Felsen, verurteilt zum Schweigen,
Lautlosigkeit - Schrei ihrer Leiden.
Graue Riesen, in Stein gebannt,
stiegen als Mahnmal über das Land.

Ströme des Fühlens beleben,
wie Edelweiß auf felsigen Wegen.
Brachland mit Leben erfüllen,
die Tränen der Steine stillen. 

Alte Verkrustungen sprengen
und in den Herzen, den engen, 
die hinter Härte versteckten,
milden Züge entdecken.

Ausgeflogen

Bild von Gerhard C. auf Pixabay
Zwischen groben Ästen hängt ein Vogelnest;
ist verwaist und leer, drin ein Schalenrest,
und am unteren Stamm sitzt ein Federknäuel,
schreit nach der Mama. – Warten wird zum Gräuel.

Amselmama schwebt hin und wieder hin,
Nest war schon zu klein und zu groß was drin. 
Aufgeriss‘nes Maul, wenn die Mutter kommt,
sie stopft alles rein, was sie kriegen konnt‘.

Ihre Brut wird groß, Mehrungsziel ist hin
und von vorne los geht der Paarungssinn. 
Doch mit einem Mal ist kein Singen mehr
und das kleine Nest ist verlassen, leer. 

Die Natur verstummt. Vögel ziehen fort.
Dann kommt bald der Herbst; kälter wird’s am Ort.
Alle Zeiten ziehn angedacht durchs Jahr,
nächster Frühling kommt und das Vogelpaar.

Baut sogleich ein Nest, neu, im feinen Licht,
singt der Sonn‘ entgegen, die durch Zweige bricht.
Fragt nie nach der Dauer ihres kleinen Lebens,
folgt im leichten Flug ihrem Sinn des Strebens. 

Sommerahnung

Sweet Summer – John William Waterhouse (1849-1917)
Der Himmel malt ein lichtes Funkeln,
leuchtend und glänzend, wie ein Stern,
was vormals farblos und im Dunkeln,
strahlt nun mit buntem Seelenkern.
 
In Seidenglanz gehüllter Morgen,
ersetzt die schlafengeh’nde Nacht,
mit Sonnenschein, der große Sorgen
jetzt kleiner und erträglich macht.

Was lange Zeit im Erdeninnern,
zeigt nun die volle Blütenpracht;
Flora und Fauna, sie erinnern,
was uns erschuf die Schöpferkraft.
 
Genießen wir die warmen Stunden,
gestreute Vielfalt, buntes Land,
legen mit hellen Glückssekunden
das Leben uns in leichte Hand.
 
Vorbei das Frieren und das Warten
auf eine lang ersehnte Zeit,
das Leben ist ein großer Garten,
die Welt erscheint im Sonntagskleid.

Löwenzahn

Samenkörner segeln fort, 
wie die Schiffe mit dem Wind,
hin bis in die fernsten Orte, 
die versteckt im Dunkeln sind.

Irgendwann mit Licht beschienen, 
fällt auch dort ein winz’ger Strahl,
stellt das Leben her in ihnen, 
und sie wachsen ohne Zahl. 

Dort entsteht die kleine Blume, 
blütenschwer in gelber Pracht,
zarte Blüte wohlgefällig, 
dehnt zum Sonnenschein ihr Blatt.

Schwer, das Köpfchen, gelb und offen, 
um die Stängel Blätter satt,
Stiele sind, wenn sie gebrochen, 
wohl gefüllt mit weißem Saft. 

Nur des Abends, müd vom Blühen,
wenn die Sonne schlafen geht,
schließen sie die Blütenkelche, 
wenn die Nacht um Wandel fleht. 
Pludrig werden sie erwachen, 
aus dem Blütenblatt ein Flaum,
rüsten ihre vielen Samen, 
für den Flug im Lebenstraum. 

Bis zum nächsten Jahr vollendet 
sich der Kreislauf der Natur,
sie sind fort - wir seh’n sie wieder - 
nur der Wind kennt ihre Spur.

Die Vögel

So federleicht im Morgengraun,
immer dem Himmel nah,
singt es dort oben aus dem Baum -
ein kleines Vogelpaar.

Besingen Welt und Sonnenschein,
so wunderbar zufrieden;
möchte ich doch – so insgeheim –
leicht, wie die Vöglein fliegen.
 
Brauchte nicht schaffen, ohne Sinn,
könnt’ nur den Tag besingen,
egal, wo ich auch steh’ und bin,
würd’ Gott mir Nahrung bringen.
 
Die Seele flög zum Himmelszelt,
bis an die weißen Wolken,
beschau von oben hoch die Welt,
würd’ weit dem Winde folgen.
 
Könnt’ bau’n mein Nest auf jeden Ast,
den Gott zum Platz mir böte;
ich lebte freudig, ohne Hast,
klein, meine Lebensnöte.

Der Baum

Bild von RegalShave auf Pixabay
streckt weit zum Himmel seine Äste,
als wolle er das Wolkentreiben spüren,
um der Natur, gleich einer Ballerinen-Geste,
den Tanz auf Zehenspitzen vorzuführen.
 
Er neigt sich, wiegt sich,
folgt dem Takt des Windes,
verankert mit den wurzelfesten Streben,
wild, mit dem ungestümen Geist des Kindes,
erfasst von Böen und Sturm,
Zeit seines Lebens.
 
Noch hält er stand
und trotzt der Witterungen Launen,
die Ringe seiner Jahre ziehn durchs Holz.
Noch sehn die Menschen zu ihm auf und staunen,
durchlebt kraftvoll die Jahre, ohne Stolz. 

Ihn kümmert nicht der Schatten seiner Krone,
wie sie Figuren auf den Boden malt,
er zollt sein Wachstum nur dem Gott zum Lohne
und wird mit Sonnenschein und Licht bezahlt. 

Hoffnungszweige

Bild von Kerstin Herrmann auf Pixabay
Der Sonntag will kein Sonntag sein,
so still ist es geworden.
Es frieret wieder Stock und Stein,
der Wind weht kalt von Norden.

Das Zwitschern öffnet sanft den Tag,
obwohl die Wolken dunkeln,
und auf den Feldern friert die Saat,
Frost lässt die Schollen funkeln.

Der schwere Mond ist längst verblasst,
mit ihm die Sterne wichen,
und jede Stunde wird zur Last,
die sonnenlos verstrichen.

Bald hellt der trübe Himmel auf,
sein Blau wird treu sich zeigen,
und alles Grün bedeckt das Grau,
an neuen Hoffnungszweigen.