Gericht

Hochmittelalterliche Darstellung der Hölle im Hortus-Deliciarum-Manuskript der Herrad von Landsberg (um 1180)
Wie soll ich in poetischen Worten schreiben,
über das, was unbeschreiblich ist;
was wird auf der geistigen Ebene bleiben,
wenn der Mensch nicht mehr Körper nur Seele ist?

Wird Gottes Gericht die Bösen richten,
die Leib und Leben Anderer nahmen?
Wird er sie im Feuer der Hölle vernichten,
bis sie im Rauch aufgehen, ohne Erbarmen?

Wie sollen sie körperlos verbrennen,
in einer Sphäre im luftleeren Raum?
Ein Ort, den die Kirchen mit „Hölle“ benennen,
ist kirchliches Denken, voll Folter und Grauen. 

Die Konfrontation ihrer Taten und Folgen -
für manche Seelen verheerendes Schauen;
sich selbst begegnen, ihrem eigenen Bösen,
dem Egoismus, der Schlechtigkeit auf denen sie bauten. 

Das ist ihre Hölle, die sie selber sich wählten,
wie im Spiegel erscheint dort ihr eigenes Gesicht,
wie die Gemälde der Künstler erzählten,
nur zerstörender, ist diese Ansicht im Licht. 

Hölle

Bild: Karin M.

Satans lieblose Sphäre der Frevel.
 
Dem Guten abgewandte
finstere Welt der Schatten.
Dimension der Bewusstlosigkeit.
 
Ohne Gott sein ist Qual.
 
Unterwelt der Dämonen und Ängste.
 
Erlösung der geistig Toten
durch Jesus am Kreuz,
 
Reinkarnation als Bewährung.
 
Heimkehr der verlorenen Söhne und Töchter.
 
Aus der Verdammnis
zurück in die himmlische Reinheit.
 

Hölle auf Erden

Gustave Doré 1832-1883 – Dante, Hölle

Mit großen Lebensfehlern,
die wir einst gemacht,
pflastern wir uns die eigne Erdenhölle,
 
die uns umgibt,
wie rabenschwarze Nacht,
wo dunkle Mächte fordern ihre hohen Zölle.
 
So, wie ein Strudel,
der uns aus der Mitte reißt,
und dann erbarmungslos in seine Tiefen zieht,
 
wie uns ein Sturz den Aufprall wohl verheißt,
wenn man mit großen Augen in den Abgrund sieht,
 
so quält allgegenwärtig unser Missgeschick,
versperrt den Blick zu neuen, guten Dingen,
 
und standen wir schon auf dem ob’ren Leiterstück,
muss dann ein neuer Aufstieg erst gelingen.
 
So werden wir die Meister unsres Lebens,
gelernt sein muss ein jeder unsrer Schritte,
 
und mühen wir uns manchmal auch vergebens,
die Umkehr führt uns heim in unsre Mitte.

Tausend Höllen

Tausend Münder kannst du küssen,
tausend Lippen;
tausend Zungen kannst du spüren.
Niemals findest du den Mund,
der dich geküsst wie meiner,
der dich völlig löste von der Welt,
der dich fern in tausend Himmel trug. –
so küsst dich keiner!

An deinen Lippen hing ein Beben,
als küsst’ ich tausend Lippen.
Ich streichelte die Wangen dir wie Samt,
und deine Stirn liebkoste ich wie Seide.
Aus deinem Mund hab ich mich satt getrunken,
er labte mich noch süßer als der Wein.
Und deine Augen, wie ein Ort, versunken,
zog mich in tiefste Harmonien hinein.

Nun lieg ich auf dem Grund des Tränensees,
ertrunken,
mich hat die Welle fort von dir getragen.
In deine Arme war ich hin gesunken,
achtlos und schwach
hast du mich fallen lassen,
in tausend Höllen.