„Ziehen Sie die ältesten Schuhe an, die in Ihrem Schrank vergessen stehn! Denn Sie sollten wirklich dann und wann auch bei Regen durch die Straßen gehn.
Sicher werden Sie ein bisschen frieren, und die Straßen werden trostlos sein. Aber trotzdem: gehn Sie nur spazieren!… Und, wenn’s irgend möglich ist, allein.
Müde fällt der Regen durch die Äste. Und das Pflaster glänzt wie blauer Stahl. Und der Regen rupft die Blätterreste. Und die Bäume werden alt und kahl.
Abends tropfen hunderttausend Lichter zischend auf den glitschigen Asphalt. Und die Pfützen haben fast Gesichter. Und die Regenschirme sind ein Wald.
Ist es nicht, als stiegen Sie durch Träume? Und Sie gehn doch nur durch eine Stadt! Und der Herbst rennt torkelnd gegen Bäume. Und im Wipfel schwankt das letzte Blatt.
Geben Sie ja auf die Autos acht. Gehn Sie, bitte, falls Sie friert, nach Haus! Sonst wird noch ein Schnupfen heimgebracht. Und, ziehn Sie sofort die Schuhe aus!“
Die Tage ziehn weiter, das Jahr geht dahin. Bald kommen die düsteren Tage. Ende Oktober ist Sterbebeginn, dann trag ich sie nochmal zu Grabe.
Nur manchmal hab ich am Rand gestanden, meinen Blick in die Tiefe gewandt, dort lagen sie, die sich im Sarge befanden. Haben sie meine Seele gekannt?
Mit ihnen verbrachte ich Lebensstunden, habe schweigend geweint und gelernt. Seit Jahren sind sie vom Erdball verschwunden, der Tod hat sie von mir entfernt.
Es war keine Bindung, keine Liebe zu spüren, meine Kindheit war tägliches Muss. Bis heute will sich keine Träne rühren, trotz des Dramas tragischem Schluss.
Die Gruft meiner Eltern belegt Mutter allein, Jahrzehnte konnten nicht binden. Nachdem sie starb, verkaufte Vater das Heim, konnte noch eine zweite Frau finden.
Auch sie sind schon fort; mein Vater liegt fern. Im Gedächtnis werden sie nicht schwinden. Dann starb mein Sohn – verloschen sein Stern, er ruht nun in friedlichen Gründen.
So weht des Lebens Hauch durch die Zeit, wie ein Atemzug unserer Erde, es erntet der Tod, macht den Platz bereit und spricht sein stilles „Es werde!“
Diesem Ruf folgen verschiedene Menschen auf verschiedene Weise, und so kommen sie zu verschiedenen Zielen. Wer im Äußeren sucht, wird Äußerliches finden, und sein Suchen ist nur ein Probieren, ein Versuchen, und das wird leicht der Weg des Versuchers.
Wenn er aber alle Wege im Äußerlichen versucht hat, so kommt einmal der Punkt, an dem er erkennt, dass sein Weg ihn immer im Kreise führt, und dann wendet er sich nach innen, weil kein anderer Weg mehr ihm bleibt.
Wohl dem, der gleich den Mittelpunkt anstrebt und die rechte Richtung anstrebt!
Am Ziel aber finden sich beide, der dem Suchen und der dem Versucher gedient hat. Nur dass der eine seiner vielen Umwege müde am Ziel ankommt und der Ruhe bedarf, die das Stillstehen, das Latent Sein für vielleicht lange Zeiten ihm auferlegt. Wer aber gleich zur Quelle findet, hat das reine, das ungetrübte Wasser und darf es anderen reichen.
2006 verliebte ich mich, trotz innerlich starker Gegenwehr, in einen Kollegen, der verheiratet war und zwei kleine Kinder hatte. Ich höre schon die Moralapostel, die sagen werden: „Mir wäre das nicht passiert!“
Es passiert einfach und lässt Gefühle frei, die bisher nicht existierten. Man will und darf nicht…auch nicht andere verletzen. Seine Frau wusste nichts davon.
Er schrieb die schönsten Briefe, hatte die zärtlichsten Gedanken und schien mich zu sehen, wie ich wirklich bin.
„Meine Liebste, ich denke nicht, dass unser Band eine schöne und auch keine tragisch, schöne „Geschichte“ ist. Ich bedaure sie nicht im Geringsten, auch wenn es weh tut und noch so schmerzt. Wir leben unser Leben, und Du gehörst für mich dazu. Du bist keine „Geschichte“, sondern meine Bestimmung! Wir müssen damit LEBEN, Du bist sogar bereit mich zu teilen, obwohl das gegen all Deine Prinzipien verstößt. Wir werden für uns einen Weg finden! Ich kenne ihn noch nicht, aber wir werden ihn finden! Und unsere Nähe wird noch größer werden, und Du wirst nicht traurig sein. Unser Band ist kein Traum! Wie sehr sehne ich mich jetzt nach Dir! Dein in Liebe! K.“
Er hatte geschrieben, ich würde zu seinem Leben gehören, und ich sei seine Bestimmung…wir MÜSSEN damit leben. Wie gerne würde ich das: mit ihm leben. Aber er hatte doch schon eine andere. Trotzdem schien uns das Schicksal zu bedrängen…oder war es mein Ego!? Auf jeden Fall las ich ‚Hoffnung‘ zwischen seinen Zeilen.
Dann träumte ich diesen Traum: Auf dem Kopfsteinpflaster einer Straße lag eine große, gelbe Boa-Constrictor.
Sie lag dort fast regungslos, als eine Postkutsche kam und direkt über ihren Kopf fuhr.
Das sagte mir das Traumbild: Die Schlange kann noch so schön aussehen, sie bleibt ein Ausdruck des Falschen, eines Fehlverhaltens. Ihr Tod zeigte mir, dass die Geschichte mit K. irgendwann ein ungutes Ende nehmen würde. Den Traum verstand ich als Warnung…wären da nicht die Begehrlichkeiten, die zum Greifen nah waren.
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