Mein Engel

Patrick Seidel (1981-2019)

Mein Engel warst du – hab‘s zu spät erkannt.
War Mutter dir, musste auch Vater sein.
Dein richt’ger, der im andern Land,
längst fort für immer, er ließ uns allein.

Hab mich bemüht, wie’s jede Mutter tut,
die ihren Schatz behüten will und muss.
Stets Sorge trug ich. War das alles gut?
Es bleiben viele Fragen, nach dem Schluss.

Dein Kindermund – er hat so gern gelacht!
Er war mir alles, doch ich hab geschwiegen.
Dass ich dich liebe, hab ich dir gesagt;
ich wünschte, dich noch mal im Arm zu wiegen.

Stolz war ich, wo die übrigen Familienkreise
nur abwertend über dich sprachen.
Hautfarbe: braun, und nicht wie sie, die Weißen,
als „Niggerkind“, den ‚Stab über dich brachen‘.

Du warst mein Augenstern! Die kleine Welt,
die ich dir bot, war alles, was ich geben konnte.
Ich war allein auf mich gestellt,
als Gott mich mit dir reich belohnte.

Gelassenheit hast du mir vorgelebt,
wo ich die Ordnung suchte und den Halt.
Du bist mir voll des Lebens fort geschwebt,
als man dich rief, ging die Gestalt.

Für welche Schuld ist meines Leidens Lohn?
Ist sie bezahlt? Nun kommt geweiht, die Nacht!
Feiere sie jährlich nur mit dir, mein Sohn.
Schau, viele Kerzlein hab ich schon entfacht.

Und bald hebt an das wundersüße Singen,
wenn Gott es will, nimmt er mich mit.
Hebt mich zu dir, auf unsichtbaren Schwingen…
mein Traumbild flieht…muss noch ein kurzes Stück.

Das letzte Wegstück ist des Kreuzes Sinn,
wird bitter auf mir ruhn – ein schwer Geschick.
Doch Kreuzesträger sein, ist Menschenlohn,
getragenes Leid wird allergrößtes Glück.

Autor: Gisela

Bitte auf meiner Seite "Über mich" nachlesen.

10 Gedanken zu „Mein Engel“

  1. Liebe Gisela, niemals sollte ein Kind vor der Mutter gehen müssen.
    Doch bei all deinem Schmerz kannst du trotzdem dankbar sein, denn du hattest etwas was einigen Frauen nicht vergönnt ist. Du hattest deinen eigenen Engel, wenn auch nur für eine zu kurze Zeit. Jetzt trägst ihn in deinem Herzen und es wird der Tag kommen wo ihr euch wieder in die Arme nehmen könnt. Daran glaube ich ganz fest.
    Lieben Gruß, Lilo

    1. Vielen Dank, Lilo. Manches kann man nicht verstehen, obwohl man täglich daran denkt. Was zusammen gehört, wird wieder zusammenfinden. Daran glaube ich. Liebe Grüße, Gisela

    1. Liebe Elisa, ich wollte Dich nicht zum Weinen bringen. Tut mir leid! Dem Gedicht liegt eine Begegnung beim Arzt zu Grunde, den ich momentan immer noch besuchen muss. Dorthin kam eine junge Frau mit ihrem Sohn, der meinem sehr ähnlich sah. Er war ca. 6 Jahre alt und dunkelhäutig. Mir schossen sofort Tränen in die Augen. Ich musste mich sehr beherrschen. Manchmal erdrücken die Erinnerungen.
      Ich würde Dich auch gerne umarmen. Wir tragen gleiches Leid. Alles Liebe auch für Dich, Gisela

      1. Danke Dir herzlich für Deinen Kommentar und die Umarmung. Ja, wir tragen gleiches Leid, und es kommt eben immer wieder an die Oberfläche. Aber Tränen sind auch wichtig. Nur eines dürfen wir nicht: Glauben, dass wir unseren Engeln nicht genug Liebe erwiesen haben, das sind, glaube ich falsche Gefühle, obwohl sie auch da sind. Aber wie sonst hätten unsere Engel uns so sehr geliebt und wären immer wieder liebend gerne zu uns gekommen? Alles Gute, auch für Deine Gesundheit, Elisa

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