Das Lebensschiff

Claude Joseph Vernet (1714-1789)
Das Lebensschiff ist wie ein Nachen
im alt und morsch geword‘nen Holz.
Obwohl schon manche Masten brachen,
treibt es im angemessenen Zoll. 

Dem Wasser zugeneigt, dem Leben,
das unter ihm geheimnisvoll,
von Glut und Stürmen stets umgeben,
fährt es im vorbestimmten Soll. 

Nie weicht es ab von seinem Ziele,
sucht ruhige Wege für die Fahrt,
bewegt die Flut der Wellenspiele,
mal steht es still, kein Lüftchen naht. 

Langsam neigt sich die Fahrt dem Ende -
zieht die zerschliss‘nen Tücher ein.
Am jüngsten Tag der Zeitenwende,
wird es voll weißer Segel sein.

Abgeschrieben

1955

Ich war noch klein, ein unbeschrieb’nes Blatt,
das Leben bilanzierte Soll und Haben.
Was mir mein Dasein viel zu wenig gab,
liegt abgeschrieben unter Schmerz und Darben.

Ich wuchs heran in meinem Paradies -
geliebter Garten meiner Kinderzeit.
Im Haus, das mich einst einsam werden ließ -
die Eltern wussten nichts von meinem Leid.

Gehorchen musste ich der ‚schwarzen‘ Hetze, 
Erziehung wurde eingebläut und nicht erklärt,
Prügel gab es, wenn ich mich widersetzte;
Liebe in diesem Weltbild war verkehrt.
1961
Man schleppte mich zum Urologen -
war nur ein kleines Mädchen von fünf Jahren,
hab dort voll Scham gelegen, ausgezogen,
musste ertragen, wies Erwachsene haben.

Ich hatte mich entblößt, es ausgehalten,
weil ich als Bettnässer missraten war.
Wer kümmert sich um die Gestalten,
die Liebe brauchten? Es war niemand da!

Die Mutter hat das Holz zerbrochen,
als sie mich wieder mal verdrosch.
Ich hab mich vor der Welt verkrochen,
als das Vertrauenslicht erlosch.

Himmlisches Versprechen

Sulamith Wülfing (1901-1989)
Wenn du mich rufst, dann komme ich
durch finst’re Nacht zu dir.
 
Wenn du mich suchst, dann brennt ein Licht
ganz hell an meiner Tür.
 
Du findest mich im Überall,
siehst mich in deinen Träumen;
 
bin schneller bei dir als der Schall,
wie Wind in allen Bäumen.
 
Den Plan für deine weit’ren Wege,
halt ich in meiner Hand;
 
du wirst sie sicher finden,
darauf hast du mein Pfand.
 
Ließ ich doch mein Vertrauen
und meine Liebe dir,
 
so lass’ mich durch dich schauen,
des Lebens Wunder hier.
 
Dann fließen alle Fragen
und alle Zweifel fort,
 
nie soll dein Herz verzagen,
an einem falschen Wort.

Ein sprudelnder Brunnen

Quelle: Pinterest
Ein sprudelnder Brunnen mit Wasser des Lebens,
füllt ohne Unterlass Schalen des Lichts,
gesegnetes Schenken des selbstlosen Gebens, 
einer Quelle, die finstere Schatten durchbricht.

Wo ein Regenbogen den Ursprung spiegelt
und der Gold-Topf am Ende die weltliche Sphäre,
hat Gott die Sicht ins Jenseits versiegelt,
nur der Glaube daran füllt die seelische Leere. 

Engel tragen das Licht in geöffnete Herzen,
füllen leere Münder mit göttlichen Worten, 
dann öffnen sich Türen, weichen die Schmerzen,
und der Schleier öffnet die Jenseitspforten.  

Flügelschatten

Quelle: Pinterest
Als mich des Schicksals Flügel streiften,
nahm es mir einst die Liebe fort.
Verbindung, die vertraulich reifte,
wurde zum lügenvollen Ort.

Der Glanz des Glücks ist längst verschwunden,
mit ihm verschwand die Sehnsuchtspein.
Frei, in Erinnerung verbunden,
so sollen meine Jahre sein.

War nur Gefühl und Unvermögen,
zu halten, was nicht halten kann. 
Mein Wunsch, dass wir zu Höhen flögen,
war nicht der seine, nur mein Plan.

Noch über mir die Flügelschatten,
fand nicht den Weg zum Neubeginn,
sah mich in Einsamkeit ermatten,
erschöpft erkannte ich den Sinn.

Alles im Außen musste sterben,
verging, verblasste und erlosch,
damit ich unter ‚Leichenbergen‘,
die Tür zum Innersten erschloss. 

Es schenkte mir das Schicksal, was es nahm,
weil nun das Licht aus meinem Herzen kam. 

Geistige Qualitäten

Quelle: Pinterest – donhosho
Der Mensch packt eine leichte Tasche,
stark voll Bewusstsein und Verstand,
sein Körper wird zum Staub, zur Asche,
nachdem er körperlich verschwand. 

Sein Geist ist einzig, ihm zu eigen -
er ist ganz Geist auf Studienfahrt.
Ein physisch losgelöstes Treiben,
mit Eigenschaften seiner Art.

In ihm die Fähigkeit zu lieben
und zugeneigter Empathie;
sein Geist ist frei, im Sein geblieben,
zu neuer Lebensharmonie.

Wie die Blätter einer Rose

von Ephides
Bild von Stefan Schweihofer auf Pixabay
Wie die Blätter einer Rose
fallen Tage, welk geworden,
in den Schoß, aus dem sie kamen.
Heißt das: Sterben und Vergehen?
Heißt das nicht: Das Wiederkehren
eines stets verjüngten Urbilds?

Auch der Bäume leises Frösteln,
wenn das grüne Kleid des Sommers,
sich verfärbend, niederrieselt,
teilt der Mensch. Er teilt Ermatten
und ihr großes Einsamwerden
und das frühe Schlafengehn. 

So auch teilt er ihr Geheimnis,
sich im Tode zu erneuern,
ew’gen Werdens Kleid zu weben.
Also steht es aufgeschrieben
auf den Blättern aller Bäume,
auf den grünen und den welken!

Der November

von Erich Kästner

Quelle: Pinterest
Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor...
Der Sturm ritt johlend durch das Land der Farben.
Die Wälder weinten. Und die Farben starben.
Nun sind die Tage grau wie nie zuvor.
Und der November trägt den Trauerflor.

Der Friedhof öffnete sein dunkles Tor.
Die letzten Kränze werden feilgeboten.
Die Lebenden besuchen ihre Toten.
In der Kapelle klagt ein Männerchor.
Und der November trägt den Trauerflor.

Was man besaß, weiß man, wenn man's verlor.
Der Winter sitzt schon auf den kahlen Zweigen.
Es regnet, Freunde. Und der Rest ist Schweigen.
Wer noch nicht starb, dem steht es noch bevor.
Und der November trägt den Trauerflor.
Erich Kästner (1899-1974)

Glauben und erkennen

Fraktale: Karin M.
Du bist ein Teil des Plans,
dem reinen Geist der Liebe
in Wohltätigkeit zu dienen,
dich als sein Antrieb zu sehen,
selbst dann,
wenn du die Dinge, die dir widerfahren,
nicht verstehen kannst,
und zu erkennen, 
dass sie dennoch Teil des ewigen Plans sind -
die unumstößliche Absicht des All-Einen.

Fremder im Spiegel

Christoffer Wilhelm Eckersberg (1783-1853) –
Collage Pinterest
Jugend vergeht, mit ihr geh‘n Zukunftspläne,
man reist ins Leben und verändert sich,
und die Verluste fordern manche Träne,
weil auf dem Weg sich Licht und Schatten bricht.

Vor anderen zeigt man stolz Besitz und Status,
doch manchmal wiegt er schwer wie Blei und fällt.
Leben wird einsam, Weg von Pontius zu Pilatus,
wenn Geld zum dürft’gen Überleben fehlt.  

Auf Sand gebaut, was auf Materie gründet,
bestandlos wird es sein, hält kurze Zeit.
Was man in den Gesichtern wiederfindet,
ist Hülle, Schale, nicht die Wirklichkeit.

Wir schauen in Spiegel und erkennen nicht,
dass wir das eigene Ich nicht fanden.
Ein fremder Schatten liegt auf dem Gesicht;
sich selbst zu finden, ist uns schier entgangen.