Freiheit
Gedanken zum Tag der deutschen Einheit
Die Freiheit als eine schöne Kunst betrachtet
Jeden Tag kamen Adam und Eva an die Stelle des Gartens, die ihnen verboten war und blickten voll Begierde auf die einzige Beschränkung ihres Lebens. Unzufrieden waren sie, dem Einerlei der paradiesischen Verhältnisse überdrüssig. Sie hatten alle Freiheiten, doch die verbotene Frucht am Baume der Erkenntnis lockte und weckte ein Verlangen, das unstillbar in ihnen nach Befriedigung schrie. Als das zuerst leise, verführerische Schlangenflüstern die Lautstärke eines Megaphonklanges erreicht hatte, unterlagen unsere Ahnen der Versuchung, was schließlich zum Verspeisen der frugalen Kost und somit zum Sündenfall führte.
Wie konnte Gott ihnen diese Beschränkung auferlegen? Das Beispiel des Apfels*), der mit süßem Duft lockend im Garten Eden prangte, zeigt deutlich, dass ein Mensch stets nach der gänzlichen Freiheit strebt, und diese, was immer es ihn kosten mag, durchzusetzen bereit ist. Aber es zeigt auch, dass man sich seiner vielen Freiheiten gar nicht mehr bewusst ist, sondern vielmehr die Verbote eine besondere Größe einnehmen.
*)in der gesamten Bibel findet sich keiner
Die Nachkommenschaft hatte ein schweres Erbe anzutreten und eigenverantwortlich zu tragen, was in ursprünglicher Einfachheit und Naivität geschehen war. Auch wenn die Menschen mit unterschiedlichem geistigem Potential ausgestattet sind, dürfte selbst der Einfältigste fähig sein, den Unterschied zwischen Gut und Böse zu begreifen.
Die Gedankenfreiheit, die Friedrich Schiller in seinem „Don Karlos“ einforderte, war den ersten Menschen bereits gegeben. Doch der Sündenfall unserer Vorfahren führte dazu, dass wir letztendlich statt des eingebüßten Paradieses, unseren freien Willen erhielten. Von allen Verboten und Zwängen befreit, kann und muss die Menschheit nun so leben, wie sie es will. Jetzt hat der Mensch die Macht und das Nachsehen; ist selbst Schöpfer von Freiheit und Unfreiheit, Himmel und Hölle.
Doch was lehrt uns diese beispielhafte Geschichte? Ist es richtig, sich widerstandslos jeder Leidenschaft hinzugeben, jeden noch so niedrigen Trieb zu befriedigen? Kann eine Seele wachsen und eine höhere Stufe erreichen, ohne zuvor durch ein tiefes Tal des Verzichts und der Zwänge gegangen zu sein? Fühlt man seine irdischen Aufgaben und die wahren und edlen Werte des Lebens nicht erst auf der Durststrecke zwischen Wüste und der nächsten Oase? Was macht die Seele groß, was hält sie klein; sind es alleine die Handlungen, die den Menschen veredeln? Sobald er die Wege des Notwendigen verlässt und mit Interesse und Liebe neue Wege beschreitet, wird ihn genügend Pioniergeist, Selbstlosigkeit und Gottvertrauen vom Niedrigen zum Höheren erheben. Geht er diesen Weg jedoch aus Gründen des puren Eigennutzes, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer und nimmt sich selbst nicht zurück, um dem Nächsten zu dienen, so wird die zuvor vielleicht edel anmutende Fassade brüchig, denn die Gesetze des Anstands und Edlen werden nicht respektiert.
Doch wo sind diese Gesetze verankert und wer hat sie festgelegt? Ist als Grundbedingung zu deren Umsetzung eine ästhetisch und moralisch hoch entwickelte Gesellschaft notwendig? Was geschieht, wenn Menschen den einfachsten Regeln des Miteinanders abschwören, rauben, morden und ehebrechen, wenn es keine sittlichen Tabus mehr gibt und die Moral aus den Fugen gerät, wenn Neid und Missgunst regieren und Respektlosigkeit den Mitmenschen und Eltern gegenüber zur Selbstverständlichkeit wird? Was passiert, wenn die Menschheit Gott für tot erklärt, wie Nietzsche es behauptete und infolgedessen die Eigenliebe groß und die Nächstenliebe klein geschrieben wird? Die Welt würde im Chaos versinken und den Traum von Freiheit in einen Alptraum verwandeln!
Martin Luther hat es in seiner Freiheitsschrift 1520 mit anderen Worten niedergeschrieben: „Ein Christenmensch ist sein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Schon in der Bibel steht: Gal 5,13 „Ihr aber, liebe Brüder, seid zur Freiheit berufen. Allein seht zu, daß ihr durch die Freiheit nicht dem Fleisch Raum gebt; sondern durch die Liebe diene einer dem andern.“
Das heißt, der Mensch sollte nicht dem Materiellen und Sinnlichen dienen! Sobald er anfängt, dies zu tun, wird er sich eine Hölle, anstelle des Paradieses schaffen! Nur die Liebe gibt Freiheit, was wiederum bedeutet, dass nur der Weg über Gott zur Freiheit führen kann, denn Gott ist die Liebe!
Immanuel Kant formulierte für das Sittengesetz oder Vernunftgebot: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“ Jesus Christus sagte dies mit anderen Worten: „Ihr sollt den andern tun, was ihr wollt, dass man euch tue.“
Obwohl der Mensch frei geboren wird, legt man ihm sogleich, bedingt durch gesellschaftliche Normen, beschränkende Fesseln an. Alsdann erfolgt die Fütterung des „gemeinen“ Kleinkindes mit erzieherischem Einheitsbrei, und die Gesellschaft fordert mit strenger Stimme, pflichtbewusst und richtungweisend: Tue dies und jenes lasse sein! Da gibt es Dinge, die erlaubt sind, weil sie dem Interesse und Geschmack der gesellschaftlichen Mehrzahl entsprechen! Andere wiederum sind verpönt und untersagt. Doch ist es ein steter Wandel, ein ständiges Ändern und Anpassen. Was heute akzeptiert und praktiziert wird, wird morgen vielleicht schon als schlecht entlarvt, verboten und abgeschafft.
Das kindliche, natürliche, den kosmischen Urgesetzen gehorchende Gemüt, das sich zu Beginn seiner Entwicklung noch alles Wahre und Schöne auszusprechen getraut, verbirgt mit fortschreitendem Alter das freie Wort hinter einer anpassungsfähigen Fassade der Höflichkeit, und die Gefühle geraten zusehends in die Dressur der Erwachsenenwelt. Schließlich versteckt der Heranwachsende seine wahre Natur hinter einem alltagstauglichen Pokergesicht, und er wird zwangsläufig ein „Mit-dem-Strom-Schwimmer“, der sich der jeweiligen Gesellschaftsform anpasst, um nicht in ein gesellschaftliches und wirtschaftliches „Aus“ zu geraten.
Zu allen Zeiten hieß es: Fressen oder gefressen werden! Ein „Sich-Beugen-müssen“, ein „Alles-Hinnehmen“ nimmt dem Menschen nicht nur Anmut und Würde, sondern lenkt sein Empfinden von Moral und Ethik möglicherweise auf falsche Gleise, weil sein Selbsterhaltungstrieb über den Dingen steht und hier das Wort: „Jeder ist sich selbst der Nächste“ zu gelten scheint.
Doch ist dies Augenverschließen nicht auch eine Art von Freiheitskampf, nämlich ein Kampf um die eigenen Vorteile? Rücksichtslos wird noch um den kleinsten Gewinn gerungen. Man heult mit den Wölfen, aus Angst, als Lamm erkannt zu werden und aus Furcht, alle lebenslang erkämpften Freiheiten mit einem Schlag einbüßen zu müssen. Man tut alles, um sein kleines Paradies nicht wieder zu verlieren; notfalls geht man dafür über Leichen. Das ist purer Egoismus, der nur dem Einzelnen Freiheiten schafft und andere benachteiligt! Um Vergünstigungen zu erreichen, wird spioniert, denunziert, verraten und devot geschmeichelt. So herrscht in einer Diktatur gesellschaftliche Unfreiheit, und Freiheit wird Privileg der Herrschenden. Aber auch im Kapitalismus herrscht die Freiheit des Stärkeren, was nicht unbedingt Freiheit für den Einzelnen bedeutet.
Oft dienen Grobheit, Gefühlsarmut, Verrohung und Skrupellosigkeit den Mitteln der Macht und der eigenen Bereicherung, womit der Ausübende wiederum die Freiheiten seiner Mitmenschen unterdrückt und einengt.
Verbote und Edikte von Regierenden und Kirche waren schon zu allen Zeiten Mittel der Freiheitsbeschränkung. Besonders damals, als sich Deutschland, bis ins 18. Jahrhundert hinein, von den Folgen des 30-jährigen Krieges erholte, war es zu einer Steigerung der fürstlichen Macht, verbunden mit einer starken Unterwürfigkeit des Volkes gekommen. Die Nation war gänzlich in drei Teile gespalten. Der Adel orientierte sich an den Sitten oder eher an der Sittenlosigkeit der ausländischen Höfe, und versuchte sich dadurch verstärkt vom Pöbel abzugrenzen. Das Bürgertum blickte voller Ergebung zum Adel hinauf und nahm sich die Aristokratie zum Vorbild, wobei das übrige Volk alleine schon aus dem finanziellen Mangel heraus, ein durch Armut und Krankheit geprägtes trostloses Dasein führte. Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts erwachte das bürgerliche nationale Bewusstsein erneut und das Streben nach einer geistig sittlichen Widererhebung begann.
Die vielen kleinen Fürstentümer orientierten sich am Ausland, besonders französische Sitten und Gebräuche wurden zum Vorbild. Jeder noch so unbedeutende Landesfürst versuchte daher den Lebensstil Ludwigs des XIV. zu kopieren. Sittlicher Verfall der Nation und Verfall des Volksgeistes waren die Folge. Die Bildung war oberflächlich, tiefere Geistestätigkeiten wurden abgelehnt, es herrschte kleinliche Eitelkeit und rücksichtslose Eigenliebe. Schmeicheleien und Liebesdienereien waren Mittel des Weiterkommens. Selbst die Gelehrtenwelt verhielt sich schweigend und duldend aus vorstehenden Gründen.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts erwachte eine Gegenbewegung zur Beseitigung dieser Sittenlosigkeit. Die Mittelklassen begannen ein selbstbewusstes geistiges Aufstreben und wandten sich gegen die herrschende Oberflächlichkeit der höfischen Kreise. Geistigen Fortschritt erlebten vor allem die Universitätsstädte, aber auch die großen Handelsstädte waren Hochburgen des wieder erwachenden geistigen Lebens.
Gelehrte Wissenschaften und die Philosophie passten sich anderen Nationen an; es entwickelte sich eine tiefe religiöse Bewegung, moralische Wochenschriften kamen in Mode und der Sinn für philosophische Betrachtungen wuchs ebenso wie der Sinn für Lyrik und Literatur. Es kam zu einer allgemeinen Verjüngung der Nation. Wissen und Bildung gelangten zu neuer Wichtigkeit und eröffneten die Voraussetzungen, von ganz unten herauf Karriere zu machen. Dies hat uns vor allem Friedrich von Schiller vorgelebt. Er, der sich ein Leben lang für die Freiheit einsetzte, hat sich den Aufstieg zum Gipfel des Olymps, durch einen Kampf mit Worten mühevoll errungen. Allen Repressalien zum Trotz ging er diesen, für ihn überaus steinigen Weg, immer sein geistiges Ziel vor Augen: Der Menschheit von Nutzen und ihr in punkto Gedankenfreiheit ein Vorbild und Wegbereiter zu sein.
Zwang und Autorität der Fürstenhöfe und der Kirche wurden damals zunehmend von den Menschen gehasst. Die neue Art zu Denken war die logische, allein schon um die Welt und das Leben zu begreifen, aber auch, um Kritik an der Prunk- und Luxussucht der Fürstenhäuser zu üben. Natur, Einfachheit, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit waren die gefühlsbetonten Attribute der damaligen Literatur.
Die französische Revolution erschütterte gewaltsam die politische Welt und forderte mit lauter Stimme: „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“. Doch die politischen Auswüchse derselben, mit ihren unkontrollierbaren Gräueltaten, überschatteten die ursprünglich gute Absicht. Daraus erwuchs Schillers Überzeugung, dass wahre Freiheit niemals Willkür und Gesetzlosigkeit sein könnte und, dass die menschliche Gesellschaft noch nicht zur Vollendung reif sei. Ein solcher Grad könnte nur durch eine strenge ästhetische Erziehung, durch die Schönheit, das Ideal der Kultur, verwirklicht werden. Schiller selbst fühlte sich berufen, diesen Weg dorthin zu ebnen und durch die Kraft des Wortes zu verwirklichen. Dort, wo der Menschengeist sich in der Kultur eine freie Welt gestaltete, war Schiller heimisch, im Gegensatz zu Goethe, der in der Notwendigkeit der Natur die Heimstätte seines Geistes fand.
Schiller wusste nicht, ob Freiheit, so wie er sie sich vorstellte, überhaupt möglich sei, denn die Macht der Materie schien allzu groß. Sind die Ziele Freiheit und Gleichheit überhaupt miteinander vereinbar? „Gesetzgeber oder Revolutionäre, die Gleichheit und Freiheit zugleich versprechen, sind entweder Phantasten oder Scharlatane.“ formulierte Johann Wolfgang von Goethe.
Die Idee der Liebe, welche als göttliches Gesetz die Welt und die menschliche Gesellschaft zusammenhalten soll, war das Ideal der Schillerschen Dramen und gleichbedeutend mit der Idee der Freiheit. Folgerichtig war Schillers Vision die des ästhetischen Staates, in dem die Liebe des Gesetzes die Grundlage zur Einheit des Menschentums bildet. Schillers Ideal war eine das Recht verwaltende Gesellschaft.
Freiheit aber ist nichts anderes, als die Selbstbestimmung durch das Gesetz der Vernunft. Zwischen der reinen und praktischen Vernunft vermittelt die ästhetische Urteilskraft, in der das Gefühl der Schönheit wurzelt. Doch gibt es ein objektives Prinzip des Geschmacks oder der Schönheit? Schiller sah Kunst als Erlebnis. Seine Überzeugung war, dass nur das Werk schön zu nennen sei, das dieses Erlebnis der ästhetischen Freiheit auszulösen vermochte. In seinen Kallias-Briefen schrieb er: „…Schönheit ist Freiheit in der Erscheinung.“ Diese Freiheit gelangt uns dadurch zum Bewusstsein, dass wir nicht genötigt werden, nach einem Grund der Erscheinung zu fragen, der außerhalb des Gegenstandes liegt. Schön sei die Form, die sich selbst erklärt.
Hier wird Freiheit zum Spiel von Sinnlichkeit und Vernunft, das zwanglose Erlebnis der Schönheit. Ein Kunstwerk ist Freiheit in der Erscheinung, wenn die Vielfalt der Teile sich zur Einheit der Idee zusammenschließt, wenn sich Fülle, Farbe und Form, Gesetz und Individualität in Harmonie versöhnen. So sah Schiller Kunst als eine Tochter der Freiheit – losgelöst von rein materiellen Bedürfnissen.
Vernunft als Forderung der Aufklärung zu entwickeln, war jedoch einzig und alleine ein Privileg der männlichen Gesellschaft, nicht jedoch die der Frauen. Gelehrte Frauenzimmer waren von der Männerwelt nicht gerne gesehen und galten als exotische Ausnahme. Gefragt war die gefällige Gattin, die zwar über gewisse populäre Kenntnisse verfügen musste, jedoch dem Manne formbar blieb, damit sie seinen Bedürfnissen gerecht wurde. Männerfreiheit auf Kosten der weiblichen Welt! In unserer modernen deutschen Gesellschaft hat die Patriarchie keinen Platz mehr. Heute sind „starke“ Frauen gefragt, die sowohl in ihrer Mutterrolle, als auch im Beruf ihren „Mann“ stehen.
Friedrich von Schiller hat in seinem Lied von der Glocke die Rolle der Frau von damals deutlich gemacht: „…Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder, und herrschet weise im häuslichen Kreise…“ Wo eine Frau, noch vor nicht allzu langer Zeit, Hüterin des Hauses war, will und muss sie sich heutzutage in einer Welt behaupten, die in früheren Zeiten nur dem Manne vorbehalten war. Hat die „freie“ Frau von heute dadurch einen Teil ihrer Weiblichkeit eingebüßt? Ist dieser Rollentausch in der Natur vorgesehen und richtig, oder wird die Gleichberechtigung der Geschlechter auf Dauer für beide Parteien unbefriedigend sein?
Johann Wolfgang von Goethe schrieb im „Faust“: „Das ist der Weisheit letzter Schluss; nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß!“
Frei den Aufenthaltsort bestimmen zu dürfen oder das Land, in dem man leben möchte, frei wählen zu können, ist auch heutzutage noch nicht möglich. Die Welt, wird von Menschen begrenzt und regiert. Die reiche Welt wird längst nicht allen zugänglich gemacht! Jeder Fremde wird genauestens registriert und durchleuchtet. Es wird sortiert, nach Herkunft und Einreisegründen. Den Industrieländern geht es gut, doch sie jammern und klagen. Wie wird sich der Ausländer fühlen, der mit ein paar fadenscheinigen Begründungen wieder in seine Armut zurückgeschickt wird?
Auch er hat ein Recht auf Nahrung und Arbeit, auf körperliche Unversehrtheit seiner Familie. Er sieht unsere vollen Teller und Schaufenster und wird sich fragen: „Warum gibt es das hier und nicht in meiner Heimat? Bin ich weniger wert, nur weil ich aus einer anderen Kultur stamme?“ Der Freiheitswunsch unserer ausländischen Mitmenschen, begründet sich nicht alleine im Wunsche nach Wohlstand. Die Ärmsten kommen zu uns, heimatlos, ihrer Wurzeln beraubt, geflohen vor Verfolgung, Folter und Terror, mit einer tiefen Sehnsucht nach einer friedvollen Existenz in ihren Herzen. Brauchen wir Landesgrenzen, wenn wir doch alle freie Weltbürger sind? Doch schon Otto von Bismarck meinte: „Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht jedermann leisten kann.“
In seinen Don Karlos Briefen schrieb Friedrich von Schiller: „Die schönsten Träume von Freiheit werden im Kerker geträumt!“ Was würden wir tun, wenn der innere Ruf nach Freiheit täglich lauter und zwingender würde? Wenn die Seele rebelliert, sucht sie nach Möglichkeiten der Änderung und versucht auszubrechen! Was sich zunächst in einigen flüchtigen Gedanken oder wenigen dahingesagten Worten äußert, verlangt nach einer Umsetzung und Verwirklichung und rüttelt im tiefsten Innern die letzten Kraftreserven wach.
Auch Friedrich von Schiller war in seiner Jugend täglich einer demütigenden Folter und Isoliertheit ausgesetzt. Die Welt außerhalb der militärischen „Pflanzschule“ konnte er nur wie durch „Gitterstäbe“ betrachten, wie ein Tiger im Käfig, der sich wund läuft am täglichen Einerlei und an der Trostlosigkeit seines Daseins verzweifelt. Dort draußen gab es eine völlig fremde Welt, die Schiller nur gedanklich berühren durfte, und die er nur aus seinen geliebten Büchern kannte. Schillers Streben nach sittlicher Freiheit glich damals einer ersten Liebe, die feurig und stark erblühte, wie eine duftende Rose. Getrieben vom Hass gegen seinen herzoglichen Unterdrücker, machte er sich schließlich frei von Herrscherwillkür und unterwürfigem Gehorsam und ging auf dem einzigen Auswege, der Flucht, seiner großen Bestimmung entgegen.
Täglich drückende Pflichten und Sorgen sind die Ketten der Unfreiheit für jedermann. Johann Gottfried von Herder hat einmal geschrieben: „…Welchen Sklaven die Kette freut, genießt die Freiheit nie!“
Wann haben wir hierzulande zuletzt über Freiheit nachgedacht? Beim Fall der Mauer? Oder etwa beim täglichen Griff ins leere Portemonnaie, wenn wir die Reichen um ihr „finanzielles Freisein“ beneiden? Vielleicht wehte uns im Urlaub ein Hauch von Freiheit entgegen, und wir wandelten, losgelöst von der täglichen Pflicht, auf den Spuren eines legendären Abenteurers? Als Wanderer mittags zu entscheiden, wo abends geschlafen werden soll, könnte vielleicht ein kleines Stück Freiheit sein!?
Möglicherweise ist es die Wahlfreiheit gewesen, oder vielleicht die freie Partnerwahl über die wir zuletzt nachdachten? Eventuell genießen wir im Moment die Freiheit des Ungebundenseins oder die Entscheidungsfreiheit beim Autokauf? Aber, denken wir über derartige Selbstverständlichkeiten in unserem Lande überhaupt noch nach?
Freiheitsgedanken entwickeln sich meist nur unter dem Druck der Gegebenheiten. So entgeht Freiheit leicht unserer Aufmerksamkeit, weil wir ständig darin leben. Aber wird sie uns entzogen, entbehren wir sie aufs Schmerzlichste und wären sogar bereit, dafür zu sterben.
Was geschieht, wenn man von den gesellschaftlichen Normen abweicht und seine eigenen Vorstellungen vom Leben verwirklicht? Als in den wilden 60er und 70er Jahren die Jugend zwischen Protest und Konsum neue Wege suchte, um sich frei zu machen von alten Klischees und dem Spießertum den Rücken zukehrte, herrschte in Deutschland Aufruhr. Jung rebellierte gegen Alt, verurteilte verstaubte Weltanschauungen, Traditionen und Gesetze. Der Vietnamkrieg war nach der Weltwirtschaftskrise und beginnenden Arbeitslosigkeit wichtigstes Gesprächsthema dieser Zeit. Aber auch der neue Zulauf bei der rechtsradikalen NPD beängstigte die Bevölkerung und trieb besonders linksgerichtete Studentengruppen auf die Barrikaden. Man wollte sich frei machen von den ‚ewig Gestrigen’ und gelangte zu einem neuen politischen Bewusstsein.
Unter dem Leitgedanken „Gleichberechtigung und Frieden“ schlossen sich immer mehr Bürger einer in den USA neu begründeten Bewegung an. Der Hippiekult, welcher der prüden Gesellschaft mit Flowerpower eine extreme Form von Freiheit in sexueller Hinsicht vorlebte, wurde von der älteren Generation kopfschüttelnd abgelehnt und als drogenverklärte Spinnerei empfunden. Die Jugend
widersetzte sich der alten Ordnung mit freier Liebe. Erstmals standen sich die Neuen Linken und die NPD kampfbereit gegenüber. Der in den USA verpönte und bekämpfte Putschist von Kuba, Che Guevara, wurde zum Held der Jugend und stand als Symbol für Freiheit und Kampf gegen konservative Wertvorstellungen. Man verweigerte sich der neu entstandenen Konsumgesellschaft und nahm sich die Freiheit, Kleider- und Körperpflege zu vernachlässigen. Protest und Widerstand, provokante Haarlängen, Parka und Jeans. Es war eine Zeit der Demonstrationen, Studentenbewegungen, Kommunen und des Rock’n Roll, aber auch eine Zeit, die den Menschen, durch Umsturz des Alten, neue Perspektiven bot.
“Unser Volk braucht wie jedes andere seine innere Ordnung. […] Solche demokratische Ordnung braucht außerordentliche Geduld im Zuhören und außerordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen. Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ verkündete Willy Brandt in seiner Regierungserklärung vom 28.10.1969 und öffnete der Freiheit damit weitere Türen.
Die Gesellschaft grenzt aus oder belächelt, verurteilt, richtet und verbietet. Wie auf einem Tribunal der Cäsaren entscheidet das Volk oder
der Staat, mit dem Daumen nach unten oder oben, über Leben oder Tod, über Sein oder Nichtsein!
Als im Jahre 1933 in Deutschland die Nationalsozialisten regierten, brannten nicht nur die Bücher, die mit dem Makel des „undeutschen Geistes“ ausgesondert wurden, sondern auch die Herzen der im Deutschen Reiche unerwünschten Autorenschaft. Was geschah damals mit der Freiheit des Wortes? Die NS-Regierung übte Macht aus, besonders an den Wehrlosen, an denjenigen, die sie bereits mit dem Makel „Minderwertig“ abgestempelt hatte. Kritikern wurde so der „Mund gestopft“, Intellektuelle zum Schweigen gebracht. Jüdischen, aber auch christlich orientierten Schriftstellern wurde das Schreiben untersagt. Hitlers Angst vor der Gewalt des Wortes steigerte sich schließlich bis in den Wahn, Schillers Wilhelm Tell könnte Auslöser für ein Attentat gegen ihn werden. Der Dichter der Freiheit passte nicht zum Diktat der Mächtigen von damals.
Das Volk jubelte, weil es sich Wohlstand und Arbeit erhoffte. Was anfänglich wie ein trügerisches Bild von Pfadfinderromantik, mit Sonnenzeichen auf braunen Hemdsärmeln aussah, entwickelte sehr bald ein mörderisches Eigenleben. Da verstummte mit einem Male der Jubel und das Volk suchte unter Trümmern und Leichenbergen den Ausweg, zurück zu einer freiheitlich gestalteten Gesellschaftsstruktur. Nun erst konnte das Wort wieder frei sein und man kehrte zu alten Werten, wie Selbstständigkeit, Eigenständigkeit und zur autonomen Selbstbestimmung zurück.
Auch Goethe wusste zu seiner Zeit: „Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben!“ Deutschland weitete die Flügel, wie ein gefangener Vogel, dem man die Käfigtüre öffnet und versuchte zu neuen Ufern zu fliegen. Doch der Flug dauerte nicht lange, denn er endete mit gebrochenem Flügel. Im Osten ließ man nicht nur Federn, sondern auch sein halbes Herz zurück. Wieder politische und persönliche Unfreiheiten, erneute Autarkie, Staatswillkür und Unterdrückung für die Hälfte der deutschen Bevölkerung! Aber in unseren Wurzeln blieben wir verbunden. Die Macht des Blutes war stärker, als die Macht des Diktats!
Als sich endlich 1989 nach all den langen Jahren der Entbehrung die Mauer öffnete, schlug das Herz der Freiheit stärker als je zuvor in deutscher Brust. Wir waren vereint, doch nur durch Nächstenliebe werden wir auch unsere Herzen gänzlich und ohne Vorbehalt füreinander öffnen und Bedenken endgültig beiseite schieben können. Frei machen von altem Ballast heißt, frei werden von entwicklungshemmenden Vorurteilen.
Die Welt verändert sich, wenn wir uns verändern! Die Welt liebt uns, wenn wir uns entscheiden, die Welt zu lieben! „Die Liebe ist das Kind der Freiheit, niemals das der Herrschaft!“ schrieb einst Erich Fromm.
Jede klar denkende Person weiß, dass Hitler den Holocaust, mit all den furchtbaren Geschehnissen, nicht alleine vollzogen hat. Ohne die Hilfe und Unterstützung von Tausenden von Menschen wären seine teuflischen Visionen nicht umsetzbar gewesen. Wenn viele vielleicht auch nicht seine Ansichten teilten, so konnten sie doch nicht die moralische Kraft zu einem „Nein“ aufbringen. Auch wenn wir nicht garantieren können, dass nie wieder ein Hitler geboren wird, so können wir doch eine freie Welt erschaffen, in der, selbst wenn ein weiterer „großer Führer“ auftauchte, so viel Liebe herrscht, dass ihm kaum jemand zuhören oder sich gar mit ihm verbünden würde.
Letztendlich hängt es von unserem eigenen Willen ab, wie frei wir zukünftig sein werden und wohin die menschliche Entwicklung führen wird. Kurt H. Biedenkopf bemerkte: „Freiheit ist nicht nur ein Recht. Freiheit ist eine permanente Aufgabe, ein dauerhafter Prozeß.“ Jeder einzelne Bürger steht in der Pflicht, Bewahrer dieses Reifeprozesses zu sein und ihn zu fördern.
Mögen wir zur Liebe zurückkehren und unser aller Geist geheilt werden. Mögen wir alle gesegnet sein und unseren Weg in eine bessere Zeit finden: Vom Schmerz zum Frieden, von der Angst zur Liebe, von der Hölle zum Himmel und von der Unfreiheit zur Freiheit. Schaffen wir uns ein neues, schlangenfreies Paradies, in dem Erkenntnis-Äpfel süß und nicht bitter schmecken.
Friedrich von Schillers eindringliche Worte, die er in dem Fragment Deutsche Größe niederschrieb, mögen uns im Gedächtnis bleiben: „Höhern Sieg hat der errungen, der der Wahrheit Blitz geschwungen, der die Geister selbst befreit, Freiheit der Vernunft erfechten, heißt für alle Völker rechten, gilt für alle ew’ge Zeit.“
©Gisela Seidel