Strom des Lebens

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Wie fließend Wasser sind die Jahre,
und manchmal hofft man, tiefbekümmert,
dass dieser Strom sich offenbare,
wenn tränenfeucht die Wimper schimmert.

So traurig mancher Wege Schritte,
sie gehen ziellos, nur im Kreis;
die Zeit, sie tilgt die Spur der Tritte,
wie Wasser, das sie mit sich reißt.

Und auf dem Grunde dieser Klarheit,
da ruhen sie im Bett des Lebens,
in Tränentüchern voller Wahrheit
und spüren: Es war nicht vergebens. 

Fruchtbares Land

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Es geht kein Same auf im unfruchtbaren Land,
Wasser verdampft auf heißem Stein,
und wo es jemals floss durch Wüstensand,
fehlt jede Spur von Wachstum und Gedeihen.

Doch lebt die Wüste noch an manchem Ort,
der in sich Kraft trägt, die aus Tiefen kommt;
Obdach gibt er, wie ein beseelter Hort,
in dem der Durst gestillt und Hoffnung wohnt.

So gibt es Menschen, die auf Sand gebaut,
die ackern, lebenslang und ohne Sinn.
Sie fühlen nicht in sich, was tief vertraut
mit leiser Stimme ruft, schon seit Beginn. 

Selbst fruchtbar werden für den Rest der Welt,
inmitten toter Oberfläche kargem Schein;
die Kraft im Land sein, auf das Samen fällt,
kann fruchtbar Zukunft und Oase sein.  

Kühle des Morgens

Johann Christian Kröner (1838 -1911)
Zugedeckt mit schweren Schauern
war die Welt – der Sommer ging;
wusch die Hitze aus den Mauern,
kühlte sie zum Herbstbeginn. 

In lebendig neuen Bildern
herbstlich wohlgewählter Farben,
wird er Sonnenkräfte mildern,
Sturm wird Wolkenfelder jagen.

Tief im Wald verstummt ein Röhren,
Hirsche von der Lichtung fliehen,
wenn sie Hund und Jäger hören,
ist die Schonzeit längst dahin. 

Letzte Früchte lasst den Bäumen
und dem Strauch der Nüsse Zier;
durch die Tage geht ein Säumen,
Winterzeit steht vor der Tür.

Vater – 23.09.1927

Schon sechs Jahre sind vorbeigegangen,
seit ich dich zum letzten Mal gesehen;
nur gedanklich kann ich heut zu dir gelangen,
bist längst abgerufen, musstest gehen. 

Hatte angstvoll meinen Blick auf dich gerichtet,
als Kind verehrt, dein Handwerk und Geschick.
Stets warst du dem Job im Werk verpflichtet,
der Wohlstand brachte, kein Familienglück.

Warst einst in eine Welt hineingeboren,
die hasserfüllt, barbarisch, voller Leid.
Kanntest nur das. - Vom Kriege auserkoren,
fiel dann dein Vater, führertreu, in dieser Zeit.

Du warst ein Junge von erst fünfzehn Jahren,
da rief man dich zum Dienen in den Krieg;
dort fing man dich, in seinen letzten Tagen,
in Frankreichs Lager gingst du, ohne Sieg. 

Als du heimkamst, war deine Welt verdorben,
der alte Sinn geblieben, doch er schwieg;
der Gleichgesinnten Hand hast du erworben, 
die dich dann liebend in die Ehe trieb.

Kinder mussten sein – so war es üblich;
allen zeigen, dass man’s machen kann.
Das Erziehen, lästig und verdrießlich,
man schlägt sie lieber, dann und wann. 

Im bürgerlichen Haus warst du Tyrann, 
der Dominanz verpflichtet, Ehefrau und Kinder.
Nicht in die Augen schauen, galt es dann,
wie einem Hund, der beißt sonst seinen Schinder. 

Du warst einst stark, doch Alter brachte Schwäche
und eine neue Gattin - das, was war, zertrümmert;
als wenn nur noch dein Schatten zu mir spräche,
unter Tränen: „Hab mich nie um dich gekümmert!“

Hab längst vergeben, doch vergaß ich’s nie,
hat viele Lehren mit auf meinen Weg gegeben.
Bin ich ein Stück weit nicht auch so wie sie?
So viele Fragezeichen stehn in meinem Leben. 

Jeder Tag, ein fallendes Blatt

Wir sterben jeden Tag ein wenig mehr,
mitten im Leben ruft es uns zurück,
zurück in unsichtbare Dimensionen,
zu Sphären, wo die Unsichtbaren wohnen,
die Freiheit spüren, körperlos und wartend,
auf einen neuen Lebensauftrag, der sie zwängt,
in Panzer, wo die Fähigkeiten eingeengt;
in Körper, die mit tausendfachen Seelenteilen
mit Hoffnungen zur Sonne eilen.

Doch wer die Sonne sucht im Außen,
wird ihren Schein nur fühlen, niemals lauschen,
der Stimme, lichtvoll, unbewusst im Innen.
Er wird in den Gedankenkreisen schlingern
und suchend stets vor den Barrieren stehen,
die in die Irre führten und vergehen,
wenn er das Licht am Ende niemals findet.
Denn jeder trägt den Herbst in seinem Leben
zum Winter hin, dem neuen Tag entgegen.

Lebensabschnittsgefährten

So viele Menschen kamen in mein Leben,
ein Stück des Weges teilten sie mit mir.
Gefährten schöner Jahre, doch fiel Regen,
gingen sie fort und blieben nicht mehr hier. 

Ins Nirgends gingen sie durch Nebelwände,
nicht einsehbar, auf fährtenlosen Spuren;
verschwunden in der Zeit – nun sind sie Fremde,
in meinem Lebensspiel wie kalte Schachfiguren.

Gestalten wurden sie, zu dunklen und zu hellen,
die ‚Dame‘ schlagend in so manchem Zug.
Ich war der Baum, den sie versucht zu fällen;
nur Kerben blieben nach des Fallbeils Flug. 

Der Fremden Leben sind wie graue Schleier,
so wie der Herbst sie webt in kühler Nacht.
Verrauscht schon lang so manche Erntefeier,
reif die Erkenntnis, die vergessen macht. 

Wetterrauschen

Stürme, tobend Wetterrauschen –
herbstlich geht das Jahr dahin;
letzte warme Tage tauschen
Sommerstunden zu Beginn. 

Lüfte wirbeln in den Morgen -
Arbeitswelt ist lang erwacht,
folgen ihren Alltagssorgen,
müd‘ bedingt und flatterhaft. 

In den Gärten lila schauend
mancher Aster Blütenzier;
Wolken treiben, Regen brauend,
Blitz und Donner folgen hier.

Ball’n sich dunkelschwer zusammen,
Dünste, dichtgewob’ner Schleier;
Blitze hell am Himmel flammen,
sind der schwülen Luft Befreier.

Reinigende Lüfte zäumen
kräfteprüfende Gewalt;
nur gefestigt, wie die Bäume -
haben in sich selber Halt. 

Goldenes Tuch

Cathédrale Saint-Nicolas, Fribourg/Schweiz – Quelle: Pinterest
Aus Fäden gesponnen, zu einem Gewebe,
mal grob und mal fein, wie Seide gewirkt,
bis in uns der Geist des Großen lebe,
der sich in den kleinsten Maschen verbirgt. 

Rückschauend werden in ferner Stunde
Dinge vorbeiziehen, die gelebt und verklärt;
dann ziehen wir aus dem Innersten Kunde
von der Wahrheit, die uns das Leben gelehrt.

Wie goldene Fäden sind hierin verborgen,
die der Große Geist in uns wirkte und schuf;
voll Erstaunen stehn wir am neuen Morgen
und hören in uns seinen weckenden Ruf. 

Als dunkle Kulisse stehn Tränen und Leiden,   
von der sich die Schönheit des Stückes abhebt;
wie in Kirchen - bunte, verbleite Scheiben,
schwarz umrandet, doch vom Lichtschein belebt. 

Im Strahlen erkennen wir heilenden Segen,
welcher Löcher des Tuches golden verdeckt;
dass sich in unergründlichen Lebenswegen,
das erhabene Kunstwerk Gottes versteckt. 

Unter der Laterne

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Als würde Dunkelheit sich mit den Bösen einen,
und wenn die Lichter abends hier zu sehen,
dann kommen viele, die das Tageslicht verneinen;
aus dunklen Ecken strömen sie ins Weltgeschehen.

Die an den Straßen stehen, unter den Laternen,
umströmt wie Motten, die im Licht vergehen,
dort angezogen, laufen sie in ihr Verderben,
gefallen sind sie, ohne wieder aufzustehen.  

Geheimnisse, sie flüstern leis in dunklen Tönen,
jene, die wissen wollen, zahlen hoch den Preis,
ziehn schwer die Luft, wie Dunst und graue Schemen -
ist besser, wenn man schweigt und gar nichts weiß.

Es findet sich zusammen, was dorthin verschlagen;
Zwietracht und Gier, die sich im Streit gesellten,
der Bordstein hat der Schwalben Leid zu tragen -
was man am Tag versäumte, muss die Nacht vergelten. 

Wenn erst der Tag beginnt, flüchten die Schatten.
Die tauben Körper ruhen, doch ihre Seelen weinen;
sie fürchten sich im Traum vor dem Erwachen,
denn wenn es Abend wird, wird keine Sonne scheinen. 

Herbstschauer

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Verflüchtigt sind Tränen des Taus, der Blüten wie Perlen genässt;
kein Singen im trocknen Geäst, die Nester leer, 
und Manche sammeln sich schon jetzt zur Reise ohne Wiederkehr.

All die, die im Lichtstrahl erblühten, verglühten im sengenden Strahl,
Brunnen und Himmel versiegten, welk drückte des Sommers Qual.
 
Umhaucht von heißer Luft, der Schmuck weiter Fluren verschwand, 
Schatten auf Sonnenuhren, Hitzeflimmern über dem Land.

Die Königin samtener Blüten – Rose, die gerade erwacht,
sie welkt dahin in den Gärten, ergibt sich der langen Nacht. 

Öde sein wird es im Garten, schauernd erbebt das herbstliche Nah’n.
Still wird’s dann sein auf Erden, nur der Wind treibt die Stürme voran.