Ostpreußen

Ostpreußenlied

Land der dunklen Wälder
und kristallnen Seen;
über weite Felder
lichte Wunder gehn.

Starke Bauern schreiten
hinter Pferd und Pflug;
über Ackerbreiten
streicht der Vogelzug.

Tag hat angefangen
über Haff und Moor;
Licht ist aufgegangen,
steigt im Ost empor.

Und die Meere rauschen
den Choral der Zeit;
Elche steh`n und Lauschen
in die Ewigkeit.

Heimat wohlgeborgen
zwischen Strand und Strom,
blühe heut‘ und morgen
unterm Friedensdom.

Herbert Brust (1900-1968)

Familie Buskies, Jagstellen

Ännchen von Tharau

Mystische Welt Ostpreußen


Oma und die Geisterwelt

Meine Oma war als Tochter eines Gutsbesitzers zusammen mit acht Geschwistern im Memelland aufgewachsen und hatte bei einem Kürschner das Nähen gelernt. In stillen Stunden schwelgte sie sehnsuchtsvoll in Erinnerungen, erzählte von der elterlichen Pferdezucht und dem geschwisterlichen Spiel auf dem Heuboden. Sie schwärmte von den Störchen, die sie besonders liebte, aber auch von den dunklen Wäldern, den Elchen, dem Flussufer der Memel mit Wiesen voller Frösche und Libellen und der Weite des Landstriches, von dem sie sagte, dass er dem Niederrhein ähnlich sei. Zusammen mit ihrem Mann, Robert Nicolay, lebte sie zunächst in Duisburg-Meiderich. Die Heirat fand dort 1924 statt. Ihr Heimatland lag nicht nur weit vom Ruhrgebiet entfernt, sondern war im Krieg, nach Vertreibung der Deutschen und Besetzung durch die Russen, unerreichbar für sie geworden.

Omas Schwestern Hedwig (die Braut auf dem Hochzeitsfoto) und Olga lebten ebenfalls in Duisburg-Beeck.

Amanda Olga Nicolay, geb. Buskies (1898-1952)

Oma war sehr gläubig. Sie war evangelisch erzogen und las oft in der Bibel. Ob es Aberglaube war oder nicht, Oma hatte immer Recht, wenn sie von mystischen Dingen sprach. Einmal blühte im Spätherbst die Hecke nach. Das war ihr ein Zeichen, dass jemand aus der Nachbarschaft sterben würde, und es traf ein. In der Nacht, als der Nachbar starb, hatte Oma Geistwesen in ihrem Schlafzimmer gesehen, die über den Kranken im Nebenhaus sprachen. Wie weiße Schwaden hätten sie im Raum gestanden und geflüstert: „Jetzt ist es vorbei!“

Ein anderes Mal erwuchs aus einer Blume im Garten eine Knospe, in der sich zwei Blüten befanden. Jemand aus der Familie würde heiraten, prophezeite Oma, und so kam es dann auch.

Schon, als ich noch relativ klein war, erzählte mir Oma die Geschichte ihres Bruders Artur Hermann, der sich auf dem elterlichen Gutshof erhängt hatte. „Er hat das „Sechste und Siebente Buch Moses“ gelesen“, hatte sie gesagt, „und damit die Toten gerufen!“ Anschließend sei er sie nicht mehr losgeworden. Das Buch sei sieben Mal versiegelt gewesen. Der Bruder hätte aus Neugierde alle diese Siegel gebrochen und wäre mit jedem Mal tiefer in die Hände der dunklen Astralwelt geraten. Schließlich hätten diese ihn in den Selbstmord getrieben.

„Die Toten muss man ruhen lassen!“, hatte Oma stets eindringlich gewarnt. „Niemand darf sie rufen!“ Früher einmal hatte meine Mutter mit anderen zusammen Séancen abgehalten und den Geistern beim „Tischchen rücken“ Fragen über die Zukunft gestellt. Man probierte es auch mit einem kleinen, dreibeinigen Holztischchen, an dem ein Bleistift befestigt war. Meine Mutter legte die Karten und konnte immer voraussagen, wann es einen Todesfall geben würde. Die bibeltreue Oma mochte das gar nicht.

„Wenn die Toten schon lange von der Erde weg sind, wird ihre Schrift undeutlich“, hatte Oma über das „Schreiben der Geister“ gesagt, „es eine Sünde, die Toten zu befragen.“    

Über ihre Schwester Marta erzählte Oma mysteriöse Dinge. Einmal sei diese ins Dorf zum Tanz gegangen und hätte dort einen Mann kennen gelernt. Völlig verändert wäre Marta danach ins elterliche Haus zurückgekehrt. Sie sei fortan wie verhext gewesen und geistesabwesend herumgeirrt. Oma erzählte, sie habe ihre Schwester daraufhin gefragt, was denn passiert sei.

„Jede Nacht kommt jemand und holt mich!“, hatte Marta ihr wie in Trance berichtet. Oma wollte das nicht glauben und bot ihr an, am nächsten Abend das Bett zu tauschen. Als Oma in Martas Bett lag, erwachte sie mitten in der Nacht, weil jemand an ihrer Decke zog und raunte: „Das ist sie nicht!“ Dann wäre ein Heulen durch Haus und Garten gegangen, das Hoftor sei mit einem lauten Knall ins Schloss gefallen, und die Tiere im Stall hätten gelärmt. Der Spuk war nach diesem Vorfall vorbei gewesen und Martas Zustand hatte sich wieder normalisiert.

Elisabeth Marta Eichholz, geb. Buskies (1890-1964)

Das waren für mich als Kind und Jugendliche die ersten Einblicke in die Welt der Mystik und der Geister. Diese Erlebnisse haben mich geprägt und stets begleitet.

Oma starb 1988; mein Opa war zu diesem Zeitpunkt schon viele Jahre tot. Bereits als Omas Schwester Hedwig starb, hatte sie diese im Traum mit einem schwarzen, großen Hund auf der Straße laufen sehen. Vor diesem Hund hatte Oma große Angst gehabt. Ein paar Wochen vor ihrem eigenen Tod hatte sie ihn neben sich im ehelichen Bett liegen sehen. Sie schlief von Stund an nur noch im Wohnzimmer und starb dort wenige Zeit später mit 93 Jahren.

Später habe ich mich natürlich oft gefragt, warum gerade ein Hund das Zeichen des nahen Todes gewesen sei. War es Zerberus gewesen, der Wächter des Totenreiches? Kam er, um Oma abzuholen? Ich denke nein, denn der schwarze Hund wirkt im Bewusstsein der Menschen als Todesangst.

In der griechischen Mythologie wird dieser mehrköpfige Hund als Dämon des Hades beschrieben, der das Tor zur Unterwelt bewacht. In den homerschen Gesängen erzählt Odysseus:


„Auch den Kerberos sah ich, mit bissigen Zähnen bewaffnet
Böse rollt er die Augen, den Schlund des Hades bewachend.
Wagt es einer der Toten an ihm vorbei sich zu schleichen,
So schlägt er die Zähne tief und schmerzhaft ins Fleisch der Entfliehenden
Und schleppt sie zurück unter Qualen,
Der böse, der bissige Wächter.“

Helene Berta Nicolay, geb. Buskies (1895-1988)
Robert Nicolay (1903-1969)

Das war das Lieblingslied meiner Oma, das sie immer wieder sang.

Text: Hermann Löns (* 29. August 1866 in Culm, Westpreußen; † 26. September 1914 bei Loivre in der Nähe von Reims, Frankreich)

Helene Buskies
Großeltern mit meiner Mutter – 1929
Eugen Ewald Buskies…
Eugen Ewald Buskies (1896-1944)

war der Lieblingsbruder meiner Oma. Er war Landwirt und bewirtschaftete einen Hof in Auritten (später Mankuslauken) oder Woitkathen.

Eugen wurde am 01.03.1896 in Kanterischken geboren und starb am 20.11.1944 in Labiau – so hat es jedenfalls meine Oma notiert.

Leider weiß ich nicht viel über ihn. Auf Hedwigs Hochzeitsbild ist er mit seiner ersten Frau zu sehen. Den Grund, weshalb die Eheleute getrennt worden sind, kenne ich nicht. Eugen heiratete nämlich ein weiteres Mal, wie mir sein Sohn Alfred berichtete.

Wie vieles in der Familie, ist sowohl das Sterbedatum, als auch die Todesursache mysteriös. Meine Großmutter führte Buch über viele Dinge. Sie erzählte mir, dass ihr Bruder in den letzten Kriegsmonaten auf der Flucht erschossen worden sei. Seine zweite Frau, Käthe Buskies, geb. Laußus, war damals schwanger gewesen. Der Sohn kam erst nach Eugens Tod, im März 1945, zur Welt.

In der mir mittlerweile vorliegenden Sterbeurkunde steht etwas ganz Anderes, besiegelt mit Adler und Hakenkreuz. Am 17.10.1944 wurde beurkundet, dass Eugen an einem Herzklappenfehler und Lungeninfarkt verstorben sei und zwar am 15. Oktober 1944 im Kreiskrankenhaus Labiau. Was ist nun richtig?  Kannte Oma die Wahrheit? Was machte Eugen in der Region im Kreis Labiau, weit entfernt (ca. 400 km) von seinem Hof im Kreis Heydekrug? Ein trauriges Schicksal, weil er bereits 1918, im 1. Weltkrieg, schwer verwundet wurde.

Eltern:  oo 27.10.1879 in SchakuhnenKinder:
Vater:  Gutsbesitzer
Erdmann Buskies geb. 15.05.1848 in Grandeningken,
gest. 17.01.1937 in Jagstellen, Krs. Heydekrug
 
Maria Meta Trutnau, geb. Buskies, geb. 15.09.1882 in
Grandeningken, Krs. Tilsit, gest. 29.01.1920 in Essen
 
Mutter:
Maria Bertha Buskies, geb. Jurksch (o. Jurkszas),
geb. 03.02.1859 in Szandszen, Krs. Niederung,gest. 17.07.1936 in Jagstellen, Krs. Heydekrug
 
Artur Hermann Buskies, geb. 03.11.1884 in Grandeningken, gest. 10.09.1922 in Jagstellen
 
August Emil Buskies, geb. 13.12.1886 in Grandeningken, gest. ?, lebte in Büderich bei Werl, Krs. Soest/Westfalen
 
Georg Willy Buskies, geb. 06.07.1889 in Grandeningken, gest. ?, lebte in Köln-Vingst, Bambergerstr. 20
 
Elisabeth Marta Eichholz, geb. Buskies, geb. 11.09.1890 in Grandeningken, gest. 30.03.1964 in Bedburg-Hau.
 
Helene Berta Nicolay, geb. Buskies, geb. 07.01.1895 in Kanterischken, Krs. Heydekrug, gest. 09.04.1988 in Duisburg-Homberg
 
Eugen Ewald Buskies, geb. 01.03.1896 in Kanterischken, gest. 20.11.1944 in Labian
 
Amanda Olga Nicolay, geb. Buskies, geb. 19.09.1898 in Kanterischken, gest. 20.12.1952 in Duisburg-Beeck
 
Anna Hedwig Nicolay, geb. Buskies, geb. 10.11.1902 in Kanterischken, gest. 60er/70er Jahre in Duisburg-Beeck
 
Maria Meta Trutnau, geb. Buskies
Maria Meta Trutnau, geb. Buskies (links)

Ostpreußen (von Gisela Seidel)
 
Östlicher Geist lässt mich nicht ruhn,
verwurzelt tief in mir, erfüllt mein Herz,
und als entfernte sich von dort mein Tun,
trieb all’ mein Denken dennoch heimatwärts.
 
Konnte nicht lassen von den alten Plätzen,
rief doch die Heimat tief in meiner Brust.
Melancholie spricht hier aus diesen Sätzen,
und weckt in mir die alte Sinneslust.
 
Du fernes Land, vertraut war mir dein Duft,
in großer Weite bis zum Horizont der Blick,
herb war dein Klima, rau die Küstenluft,
gern denke ich an Königsberg zurück.
 
Wo dunkle Wälder sich in lichten Breiten
erstrecken bis zum Memelstrand,
wo Störche stolz durch weite Sümpfe schreiten,
dort treibt der kalte Wind durchs flache Land.
 
Du meines Wirkens Stätte, ach, so fern,
längst wächst das Gras über die alten Mauern,
wird die vergang’ne Zeit in meiner Seele Kern,
doch alle Ewigkeiten überdauern. 

Foto: Annelie Stöllger – Portal Memelland

Meine Ur-Großeltern blieben bis zuletzt auf ihrem Hof in Jagstellen. Auf dem Friedhof in Kanterischken haben sie ihre letzte Ruhestätte gefunden.

Vor einiger Zeit fand ich durch Zufall das Bild ihres Grabsteines im Internet, was mich sehr berührt hat, denn ohne die Eltern meiner Oma mütterlicherseits gäbe es mich nicht. Ich werde diesen Friedhof wohl niemals selbst besuchen können, daher ist die Freude über das Foto übergroß.  

Foto: Annelie Stöllger – Portal Memelland
Marie Bertha BUSKIES, hier mit ihrem Enkel Herbert (Mutter: Maria Meta Trutnau, geb. Buskies)

Erdmann BUSKIES
15.05.1848 in Grandeningken
+ 17.01.1937 in Jagstellen

Marie Bertha BUSKIES, geb. JURKSZ
03.02.1859 in Szandszen (Krs.Niederung)
+ 17.07.1936 in Jagstellen

Gebet – Frieda Jung
Blick nach Ostpreußen
Hartes Landleben
Wagen an Wagen – Agnes Miegel
Es war ein Land – Agnes Miegel
Zogen einst fünf wilde Schwäne – Volkslied

Gedicht von Frieda Jung (1865-1929) Ostpreußische Dichterin:

Was bebst du so, meine heilige Heimaterde?
Mich treten fremde Füße, mich stampfen Kosakenpferde.
Ihr blassen Sterne, sagt an, was schaut ihr auf eurer Wacht?
Fressende Feuer ringsum Nacht für Nacht!
Wind, Wind, du trägst seltsamen Ton in meine Kammer.
Flüchtlingsjammer!
O Morgensonne, was zauderst du, was kommst du so spät?
Mag’s schauen nicht, wenn mein treuestes Kind
von dannen geht!

Der Erste Weltkrieg brachte vielen Ostpreußen die Flucht, als die russischen Truppen 1914 immer näher rückten.

2 Gedanken zu „Ostpreußen“

  1. Liebe Gisela,
    ein sehr interessanter Bericht für mich, die selbst noch in Ostpreußen geboren ist, vor dem Krieg als kleines Kind fliehen musste nach Österreich, dort vertrieben wurde und erst nach langen Umwegen eine Bleibe fand. Meine Mutter hatte ihre Heimat nie vergessen und immer davon erzählt. Das hat mich auch geprägt. LG Marie

    1. Liebe Marie, vielen Dank für Dein Interesse. Ich stand meinen Vorfahren in Ostpreußen immer näher als allen anderen, obwohl ich nie dort war. Die Erzählungen meiner Oma waren für mich als Kind immer faszinierend und das hat mich geprägt.
      Herzliche Grüße, Gisela

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