Das Jahr geht

Quelle: Pinterest
Der Sommer bäumt sich auf, 
als wär’s das letzte Mal
an dem er Trost und Licht sein kann;
denn trotz August im Jahreslauf,
trägt Sonnenlicht gedämpften Strahl,
wie auch der Herbst ihn bringt alsdann.

Die Vögel schweigen ringsumher,
umflattern uns mit Schauer;
er trägt den Hauch von Ewigkeit,
die uns den Todesbecher reicht -
nichts ist von langer Dauer. 

Alles geht fort! – Verlassensein 
durchstreift die alten Glieder.
Man dreht sich um und ist allein,
die Nächsten gehn - kein Blick zurück, 
sie kehren nie mehr wieder. 

Das Jahr geht ohne Wiederkehr,
wie alle, die gegangen;
die um mich lebten, sie sind hier -
gedanklich einen Steinwurf weit,
von Dunkelheit umfangen.

Würfelspiel

Claus Meyer (1856-1919) – Der Würfelspieler
Alle Würfel, die gefallen,
zeigen Niedergang und Sieg.
Ledern wird der Becher knallen,
wenn ein Holz darunter liegt.

Hand um Hand, den Wurf erringend,
kommt die Zufallszahl ans Licht.
Prasselnd klingt es und gelingend,
wenn sie durch die Reihen bricht.

Wie die Sieger triumphieren!
Schreien auf, wenn er vollbracht,
und im Wirtshaus jubilieren
feiernd sie die ganze Nacht. 

Als in frühen Morgenstunden
Alkohol und Börsen leer,
ist das Grölen längst verschwunden,
denn die Augen wurden schwer. 

Morgengrauen legt den Schatten
des Vergessens an den Tag,
man verkriecht sich, wie die Ratten,
in den häuslichen Verschlag. 

Nur der Schlaf entspannt die Glieder,
zugedeckt mit Einsamkeit.
Beim Erwachen treibt sie wieder
hin zum Würfelspiel im Leid. 

Die Begeisterung des Handels
in der Spielart ihres Treibens,
lässt so manchen Lebenswandel
in die Not der Armut gleiten. 

Jede Einsamkeit ist Sehnen
nach der Liebe, nach dem Licht.
Es vergehen Leid und Grämen -
Spielerei vertreibt sie nicht. 

Heilen wird ein leises Rufen,
tief in deiner Einsamkeit.
Folge ihm auf ew’gen Stufen,
hin zum Ort der Ewigkeit. 

Schauplatz des Lebens

Leiser Leo Ury (1861 -1931)
Wenn dich die Mühen deines Tages schwächen,
die Beine schwer sind, wie aus Blei;
wenn du dich leer fühlst, ohne Sinn zu sprechen,
du schweigend wünscht, dass es zu Ende sei. 

Schau an, die lauten Menschenmassen -
so ausdruckslos die Mienen um dich her. 
Es sind so viele, die alleingelassen,
ganz ohne Heimat, fühlen sie nichts mehr. 

Der Mensch der Erde ist sein eigner Schatten,
er bindet andere mit Liebesschwüren,
die schon beim ersten Hauch von Einsamkeit ermatten,
und ihn beim letzten Glockenschlag verlieren. 

Kein Mensch ist einsam, weil es alle sind!
Die Wüste „Einsamkeit“ hat große Straßen.
Sie sind belebt, dort herrscht ein rauer Wind.
Verborgen ist der Schmerz, den sie begraben.

Man eilt vorbei, ganz ziellos ist das Schauen -
auf diesen Straßen sucht man sich vergebens.
Gesenkte Lider – Männer gehn, wie Frauen,
passieren still den Schauplatz ihres Lebens.

Wenn die Nacht kommt

Quelle: Pinterest – „Sehnsucht“ – Kinga Britschgi
Wenn die Nacht kommt, 
hängen Schatten noch schwerer,
scheint der Raum um mich leerer,
nur die Gardinen bewegt der Wind.

Wenn der Schlaf kommt,
schließt mir Schwermut die Augen,
das Leben will sie mir rauben,
wie in Adern, das Blut sein darin. 

Wenn mir ein Traum kommt,
mit namenlosen Gesichtern,
bin ich abseits in blendenden Lichtern,
durchschienen und stumm.

Wenn ein Zeichen kommt,
eins mit den großen Zukunftsvisionen,
seh‘ ich mich im Nirgendwo wohnen,
unendlich glücklich darum. 

Außen und Innen

Quelle: Pinterest
Ich gehe meinen Weg durch herbstliche Gefilde,
nicht etwa durch die Landschaft, nur im Bilde,
das Rascheln unter meinen Schritten lauschend,
hör‘ ich, wie Winde durch die Bäume rauschen.

Die Frische streift den Hals und senkt die Glieder,
nach Wärme suchend, in die Taschen nieder. 
Gesenkten Kopfes über Bürgersteige eilen,
voran zum Platz der Wärme – dort verweilen. 

Bei einer Tasse Tee oder Kaffee sinnieren, 
aus dem Café heraus den Alltag spüren.
Die Menschen kommen oder gehen sehen,
die mir so fremd – unsichtbar dort zu stehen.

Von allem losgelöst, vom Außen eingeweiht,
dem Leben abgewandt, schiebt sich die Zeit,
so wie ein Deckel auf den Sarkophag,
damit ich eingeweiht das Innen spüren mag. 

Raum der Stille

Ich rufe euren Namen… LAUT!

Ihr hört mich nicht – seid fort, so weit.
Kein Wort dringt in die Einsamkeit hinein.
In meinem Raum der Stille steht die Zeit!
Nur Eines drängt sich in mein Herz, das Wort: ALLEIN.
Wo sonst ein Weitergehen, steht ein Nichts im Raum.
Es treibt ein Vakuum mir in die Sinne ein
und legt sich dunkel mir in jeden Traum.

Die Ströme der Gedanken stehen still,
um mich die laute Flut des welken Tags.
Wo monoton die Zeit nur stehen will,
das Müssen endlos an der Seele nagt,
dringt Schwere in die Langsamkeit der Zeit,
wird jeder Augenblick zur Fantasie,
bereitet ihm den Hauch von Ewigkeit;
der Tag scheint endlos – irgendwie.

Traum vom Kapuzenmann

Tarotkarte „Der Eremit“

Im Traum stand ich alleine und schweigend in meiner Küche. Alles war still. Als ich zur Türe blickte, sah ich meine ‚große Liebe‘ im Flur zur Haustüre hinausgehen, wie in Nebel hinein.

Dann vernahm ich plötzlich eine weitere Person neben mir. Sie war groß, ohne Gesicht, mit einer braunen Kutte bekleidet, die Kapuze weit über den Kopf gezogen.

Wieder blickte ich zur Türe. Als die dunkle Gestalt dann meine Hand umfasste, gruselte es mich. Dann bin ich erwacht.

Dieses Traumbild machte mir Angst, denn ich empfand plötzlich eine tiefe Einsamkeit. Da ahnte ich, dass das Ende der Affäre kurz bevor stand. Und so war es dann auch. Der Geliebte verließ mich wortlos und ging in sein altes Leben zurück.

Der Kapuzenmann war das Bild des Eremiten, wie auf entsprechender Tarotkarte. Ein Symbol für Alleinsein, Ruhe, Selbstfindung aber auch für Einsamkeit, Antriebslosigkeit und Isolation.

Herbstschwere

Schweigen, Stille, Dunkelheit –
nur das Rauschen müder Blätter,
die sich langsam lösen von den Zweigen.
Schaukelnd fallen sie der Nacht entgegen,
blühen noch einmal auf, in buntem Zauber,
legen eine farbenfrohe Decke auf die Wege;
majestätisch liegt die Welt im Sterben…
und der Tod, er schreitet still darüber,
um den Lebenskreislauf abzuschließen.

Herbstgedanken – Sonntagsstille !
Und die Uhr, sie tickt und tickt,
streut monoton Sekunden in das Grau,
das ruhig dahin fließt, wie ein träger Fluss.
Ich treibe haltlos, sinke in das Nirgends;
bin losgelassen, treibe ohne dich.
Ertrinke in den Fluten der Gedanken,
die mich ziehen, immer tiefer, und ich falle
wie die Blätter von den Bäumen…
und der Tod, er schreitet still darüber.

Über die Traurigkeit

Die Trauer kommt und geht ganz ohne Grund.
Und man ist angefüllt mit nichts als Leere.
Man ist nicht krank. Und ist auch nicht gesund.
Es ist, also ob die Seele unwohl wäre.

Vielleicht hat man sich das Gemüt verrenkt?
Die Sterne ähneln plötzlich Sommersprossen.
Man ist nicht krank. Man fühlt sich nur gekränkt.
Und hält, was es auch sei, für ausgeschlossen.

Man weiß, die Trauer ist sehr bald behoben.
Sie schwand noch jedes Mal, so oft sie kam.
Mal ist man unten, und mal ist man oben.
Die Seelen werden immer wieder zahm.

Erich Kästner (1899-1974)

Balsam des Vergessens

Caspar David Friedrich (1774–1840)

Bald* bist Du gänzlich fort aus meinem Leben!
Du gehst nicht ganz – ein kleiner Teil bleibt hier,
den senke ich mit liebevollem Weben
in die verborgne Kammer meines Herzens mir.

Nicht losgelöst sind alle Erdenstricke,
noch hält mich die Erinnerung gebannt,
doch bald pflegt Schwester Zeit mit leisem Schritte,
mir mein gebrochnes Herz mit sanfter Hand.

Sie wird den Balsam des Vergessens auferlegen,
der wie der Nachtwind sich in Seelen senkt.
Sie wird die Wunden heilen, die noch quälen
und tröstend Sehnsucht stillen, wenn der Tag beginnt.

Die Einsamkeit wird sich in Stille wandeln,
mein Herz wird heilen, irgendwann und -wie.
Nur manchmal senkt mir dein verklärtes Handeln
„Verbundenheit“ in meine Phantasie.

In diesem Dunstbild sehe ich dich wieder,
du hüllst mich ein, in weißes Traumgespinst.
Dein Geist singt mir am Tage Trauerlieder,
zeigt mir, dass Traumesbilder nicht das Leben sind.

*Das Gedicht entstand im Jahr 2008