Gedenken an Friedrich von Schiller – zum Todestag am 09. Mai 1805

aus meinem autobiografischen Roman „Schiller Erinnerungen
Gemälde von Anton Graff

Den Abend des 28. April hatte ich bei Hofe in meiner prächtigen grünen Galauniform verbracht, und Voß (Anm.: Professor am Weimarer Gymnasium) hatte beim Ankleiden beteuert, dass ich gut und gesund aussähe.

Am Abend des 30. April begegnete ich Goethe zum letzten Male vor meinem Haus, als ich gemeinsam mit meiner Schwägerin Karoline auf dem Weg ins Theater war. [..]

Als das Stück endete, kam Voß wie gewohnt zu mir in die Loge, um mich nach Hause zu begleiten und fand mich in einem solch heftigen Fieber, dass mir vom Schüttelfrost die Zähne klapperten. Schon auf dem Weg ins Theater war mir mein Zustand seltsam vorgekommen, denn ich spürte mit einem Male den Schmerz meiner linken Seite nicht mehr, der mich jahrelang begleitet hatte. 

Zu Hause angekommen, ließ ich mir zur Stärkung einen Punsch machen, und Voß fand mich am Morgen des 1. Mai völlig apathisch auf dem Sofa liegend. Meine Kinder kamen zu mir und küssten mich, was ich teilnahmslos hinnahm, ohne darauf zu reagieren. Lotte ließ mein Bett im Arbeitszimmer aufstellen und benachrichtigte Doktor Huschke, da Professor Stark mit der Großfürstin in Leipzig weilte. Huschke tat alles Mögliche, um mir zu helfen, doch es fehlte ihm die Erfahrung, denn er hatte eine solche Krankheit noch nie behandelt und diagnostizierte in seiner Unwissenheit ein rheumatisches Seitenstechfieber, ohne zu ahnen, dass es sich um eine akute Lungenentzündung handelte.

Anfangs empfing ich Besuch, doch da das Sprechen meinen Husten vermehrte, war es mir am liebsten, wenn Lotte und ihre Schwester alleine um mich waren, und auch als Voß sich erbot, weiter des Nachts an meinem Bett zu wachen, blieb ich lieber mit meinem treuen Diener Rudolph alleine. Ich sehnte mich sehr nach dem Besuch meines Schwagers, der sich jedoch ebenfalls in Leipzig aufhielt.

Bis zuletzt beschäftigte mich mein Demetrius, und obwohl ich mir selbst verbot, meinen Zustand bewusst wahrzunehmen, versuchte ich meinen eigenen Worten: „Der Tod könne kein Übel sein, da er etwas Allgemeines sei“, zu vertrauen. Die Ängste kamen trotzdem, nicht nur vor dem Unausweichlichen, sondern auch davor, meiner Familie „Adieu“ sagen zu müssen – sie alleine zu lassen, wo meine jüngste Tochter gerade erst auf der Welt war.

Wie gerne hätte ich manches noch ausgesprochen, doch am 6. Tag schwand meine Sprache, und aus Angst vor Schmerzen bat ich Gott, er möge barmherzig sein mit mir und dem Leiden schnell ein Ende setzen. Sobald ich schlief, sprach ich im Delirium und sah im halbwachen Zustand, wie sich der Vorhang zwischen der irdischen und geistigen Welt langsam öffnete und mir ein Einblick gewährt wurde, der mich ruhig werden ließ.

Ich fragte, ob das die Hölle oder der Himmel sei, und beim Erwachen blickte ich zufrieden lächelnd in die Höhe, um dem Lichtwesen nachzusehen, das mir tröstend erschienen war, um mich abzuholen.

Noch einmal verlangte ich meine jüngste Tochter zu sehen, um sie ein letztes Mal zu betrachten und ihre kleine Hand zu halten. Mein Innerstes war voller Ruhe, und ich bat darum, man möge die Vorhänge öffnen, denn ich wollte noch einmal den Himmel sehen.

In der folgenden Nacht kreisten die Gedanken wieder um den Demetrius, und am Morgen des 9. Mai 1805 schlief ich bis gegen zehn Uhr, und da ich darüber klagte, dass mir Angst ums Herz sei, verordnete mir Doktor Huschke die anstrengende Maßnahme eines Bades, mit dem ich mich schwertat.

Um meinen Kreislauf zu stärken, gab er mir ein Glas Champagner, doch dann trat Besinnungslosigkeit ein. Ich sprach im Delirium und erkannte keinen Menschen mehr, auch nicht Lotte, die verzweifelt neben meinem Bett kniete und meine Hand hielt. Gegen drei Uhr nachmittags trat vollkommene Schwäche ein, mein Atem fing an zu stocken, und es fuhr wie ein elektrischer Schlag durch mich hindurch, bevor sich der irdische Vorhang schloss und mir der himmlische geöffnet wurde.

An Friedrich von Schiller 
von Gisela Seidel
Fort bist du lange schon,
doch hier noch so präsent,
dass deine Gegenwart zu spüren,
augenschließend ich vermag.
Lässt mir das große Schweigen,
das niemals meinen Namen nennt.
So plötzlich kam der Schmerz,
verfinsterte den Tag.
Suchtest den Weg in ferne Dimensionen,
gabst von der Ewigkeit, die du versprachst,
mir nur ein kleines Stück;
wo Seraphinen in Traumwelten wohnen,
dorthin brachte dein Todesengel dich zurück.
Gewährte Zerberus dir Einlass in sein Reich,
so zahl ich heute noch dafür Gebühr.
Erscheint dein Antlitz vor mir engelsgleich,
streck’ ich in manchem Traum die Hand nach dir.
Werd’ niemals wieder deiner Stimme lauschen
und niemals deinen warmen Atem spür‘n.
Wie könnt’ ich mich an deiner Gegenwart berauschen,
wie sehr möcht’ ich mit dir den Himmel sanft berühr’n!
Vergangen und vorbei – vergessen, nie so ganz;
am Ende meines Weges sei bereit,
reich’ mir die Hand zum eig’nen Totentanz
auf dem Parkett durch die Unendlichkeit.

Alter Klang

Quelle: Pinterest
Wie ein antik-vergilbtes Notenblatt
aus einem weitgereisten Koffer alter Zeit,
in dem der Moder keine Wirkung hat,
umfasst die Patina das welke Kleid. 

Mit rötlich-braunen Flecken hier und dort,
die Handschrift undeutlich verschwommen -
vergang’ne Harmonie ans Licht geholt,
auf ein Papier für Klang und Ton ersponnen. 

Wer war die Hand, die dir das Leben lieh?
Welch‘ Geist umfasste Seele und Gemüt?
War’s deines Glückes hellste Melodie,
die dir wie eine Rose aufgeblüht?

Wie lange warst im Dunkeln du verbannt,
wann klang das Lied zum allerletzten Mal?
Im Koffer zur Vergessenheit verdammt,
war es, macht sein Vermächtnis rar. 

Ein Mollakkord hängt in der Abendluft -
der Geige Jubel klingt so königlich. 
Versprüht im Geist von damals Maienduft.
Hör‘, wie es singt! Erlöst es jetzt auch mich?

Würfelspiel

Claus Meyer (1856-1919) – Der Würfelspieler
Alle Würfel, die gefallen,
zeigen Niedergang und Sieg.
Ledern wird der Becher knallen,
wenn ein Holz darunter liegt.

Hand um Hand, den Wurf erringend,
kommt die Zufallszahl ans Licht.
Prasselnd klingt es und gelingend,
wenn sie durch die Reihen bricht.

Wie die Sieger triumphieren!
Schreien auf, wenn er vollbracht,
und im Wirtshaus jubilieren
feiernd sie die ganze Nacht. 

Als in frühen Morgenstunden
Alkohol und Börsen leer,
ist das Grölen längst verschwunden,
denn die Augen wurden schwer. 

Morgengrauen legt den Schatten
des Vergessens an den Tag,
man verkriecht sich, wie die Ratten,
in den häuslichen Verschlag. 

Nur der Schlaf entspannt die Glieder,
zugedeckt mit Einsamkeit.
Beim Erwachen treibt sie wieder
hin zum Würfelspiel im Leid. 

Die Begeisterung des Handels
in der Spielart ihres Treibens,
lässt so manchen Lebenswandel
in die Not der Armut gleiten. 

Jede Einsamkeit ist Sehnen
nach der Liebe, nach dem Licht.
Es vergehen Leid und Grämen -
Spielerei vertreibt sie nicht. 

Heilen wird ein leises Rufen,
tief in deiner Einsamkeit.
Folge ihm auf ew’gen Stufen,
hin zum Ort der Ewigkeit. 

Tageslicht

Josephine Wall – Quelle: Pinterest
Das Licht dringt ins Zimmer - der Tag ist erwacht,
das Dunkel vergeht mit der endenden Nacht.

Bewegt, wie der Vorhang in strömender Luft,
versinkt der Raum im erfrischenden Duft;

der Vögel Stimmen zaubern Frohsinn und Klang -
ein zu Herzen gehender Morgengesang.

In der Kühle im Raum und vergehender Zeit,
Empfindungen von Unendlichkeit. 

Die Traumwelt verdrängt durch Bilder und Licht,
die Welt erwachte in neuem Gesicht,

erfüllt mit nicht endenden Farben und Klängen,
im eindrucksvoll strebenden Vorwärtsdrängen,

als wenn die Strahlen aus Sonnenhänden,
den Morgen in bunte Kränze bänden. 

70

norwegische Künstlerin Lisa Aisato (*1981)
In der Bilderkiste kramen –
ist doch schon so lange her,
und die Stellen vieler Namen
bleiben trotz des Grübelns leer.

Wie herausgebrochene Szenen
meines Daseins Weggefährten,
die einst unter tausend Tränen,
mich den Ernst des Lebens lehrten.

Bilder, die den Glanz verloren –
schließ‘ den Deckel meiner Kiste.
Fotografisch eingefroren,
Menschen, die ich einst vermisste.

Das zeigt meinen Baum des Lebens,
den der Geist der Ahnen pflanzte,
dessen Pflege - oft vergebens,
Löcher in die Seele stanzte.

Wenn ich vor dem Spiegel stehe,
sehe ich ein zitt’rig Bild.
„Bin das ich, was ich dort sehe?“,
frag ich mich und lächle mild.  

Lebenslicht

norwegische Künstlerin Lisa Aisato (*1981)
Wie durch eine Fontäne der Zeit,
machte das Licht den Weg uns bereit,
rinnen die Geister der Leben dahin,
in vielen Gestalten, seit Anbeginn.

In den dunklen Schollen der Erde
sind verwoben, das Sein und Werde;
es bietet den Boden für neues Leben,
dem alten folgend, dem Schicksal ergeben.

Nach Gottes Geheiß wachsen und werden,
das ist der höhere Sinn auf Erden.
Die eigene Hülle mit Weitsicht ertragen,
IHM danken, an guten und schlechten Tagen.

DU bist DER EINE in allen Gestalten,
DEIN Lebensfunke ist in jeder erhalten,
ob klein oder groß, ob in Mensch oder Tier,
in der Pflanzenwelt – DU bist in allen hier.

Osterzeiten

Foto: Gisela Seidel
Ein letzter Tag in bunten Osterzeiten,
der, wie so manch ein and‘rer Tag verging,
gleich einem Bogenstrich, auf alten Saiten,
bereit zum Sprung, ein wundgescheuert‘ Ding. 

Gefärbte Eier, wie an Kindertagen -
niemand, der lacht und strahlt vor Glück.
Allein bleib ich mit all‘ den vielen Fragen,
nach denen, die aus meiner Welt entrückt.

Doch redsam ist die Stille in den Wänden,
gibt mir ihr Geist, der immer noch bei mir,
die Antwort in mein Herz: „Es wird nie enden!
Bist du bei mir, so bin ich auch bei dir.“  

In dieser Hoffnung werd‘ ich wieder Eier färben, 
werd‘ denken an vergang’ne Ostertage;
trübe Gedanken sollen nicht verderben,
was ich in all‘ der Zeit erfahren habe. 
Ich (Ostern 1957 + 1958)

Kleine Meditation – Ein Versuch

Zum ersten Mal ist meine Stimme zu hören. Es ist mir gelungen, diese kleine MP3-Meditation hochzuladen, die ich vor zig Jahren geschrieben habe. Der Klang ist nicht optimal, aber mit Mikrofon des Android-Handys geht es nicht besser. Ich musste das Format konvertieren.

Frage: Ist meine Stimme ‚bühnenreif‘ oder sollte ich lieber schweigen?
Ich bin gespannt auf Eure Reaktion!

Ton des Videos bitte leise stellen, sonst wird die Sprache übertönt.

Schulzeit

Ich, 5 Jahre alt (1958)
Vergangen ist, was längst dahin,
erinnerungstief verschlossen;
doch wird so oft, des Geistes Sinn,
mit Tränen übergossen. 

Man wühlt in allem, was geschehn,
sieht sich in Kinderjahren
mit anderen im Reigen drehn,
im Hof an Schülertagen.

Wo sich im steinig klaren Quell
der alte Brunnen füllte
und sich die Kinder an der Stell
den Durst mit Wasser stillten.

Als uns der Pausenhof verband
zum Fangenspiel und Lachen,
wo Kinder sich noch Hand in Hand
im Singspiel Freude machten. 

Das Butterbrot in Zellophan,
mit Milchgeld für die Klasse,
in Reih und Glied standen wir an,
vorm Eingang in der Masse.

Es war geordnet, ruhig und schön,
das bunte Schulhoftreiben;
respektvoll gar wurd‘ angesehen,
was Lehrer tun und schreiben.

Mittags, da war die Schule aus.
Mit Ranzen auf dem Rücken
gingen wir wohlgemut nach Haus,
den Weg in unseren Blicken.

Da war kein Auto, kein Verkehr,
nur unser heimwärts gehen.
Heut‘ wird bestimmt, vom Handy her,
der Blick in’s Zeitgeschehen. 
Schulspaziergang – Albert Anker (1831-1910)