Die Spinne

Bild von Sven Lachmann auf Pixabay

Als ich Kind war, liebte ich den Garten,
spielte stets im Hof und bei den Bäumen,
war erfüllt von kleinen Mädchenträumen,
konnte kaum mein Reich des Glücks erwarten.

Lehnte oft am Anbau alter Mauern,
die den Hühnerstall zum Hof begrenzten,
schaute, was die Rosen, rot, bekränzten,
sah sie meine Kindheit überdauern.

Spielte mit den Spinnen an den Netzen,
die mit Kreuzen auf dem Rücken hingen;
pflückte sie und forschte, wie mit Dingen,
es fiel schwer, sie dann zurückzusetzen.

Einmal fühlte ich zwei Augen schauen,
als ich an der groben Stalltür stand,
Blicke fühlend, habe ich mich umgewandt.
Was ich sah, erfüllte mich mit Grauen.

An der weiß getünchten Mauer hing‘s,
ganz bedrohlich über meinem Kopfe,
sah wie‘s Herz der Spinne pochte,
merkte, wie ihr schmaler Atem ging.

„Heute kommst du noch davon!“,
fühlte ich gedanklich, lief und weinte.
Sie war schwarz und hatte lange Beine,
groß und haarig…war wie ein Spion.

Nie mehr wieder sammelte ich Spinnen,
unsichtbar befohlen, waren sie tabu
und es war, als schaute ‚sie‘ mir zu,
als wenn ihre Blicke nie vergingen.

Ballspiel

Bildauszug „Ballspielende Kinder“ -Albert Burkart (1898-1982)
Die Hauswand bebte,
als ich mit Kinderhänden,
ballwerfend,
das Spiel erlebte.

Aufprall und Takt,
mit kindlichen Gemüt erdacht,
bis Ballspiel schallend an den Wänden
Geräusche macht.

Ein altes Spiel -
geworfen, aufgefangen,
die Bälle, die die Hauswand trafen.
Niemals den Grund berühren,
bloß nicht daneben langen!

Zehnmal das Werfen zu Beginn,
zehnmal das Fangen;
neunmal in nächster Runde,
erhöhten Grad erlangen.

Mit einmal Händeklatschen oder zwei,
mal hinten und mal vorne,
im Stehen und im Bücken,
unter den Beinen durch,
zuletzt noch hinterm Rücken.

Schwierigkeitsgrad erhöht,
bei immer kürzeren Runden,
so scheint die Lebenszeit –
verkürzt mit Jahr und Stunden.

Mir war es verboten, im Haus zu spielen. Um drin zu bleiben, musste es draußen regnen und stürmen. Also ging ich auf den Hof, meist alleine, und spielte stundenlang mit zwei Bällen gegen die Hauswand. Meine Mutter muss wohl starke Nerven gehabt haben.

Das Ballspiel ist alt und den Kindern heutzutage unbekannt. Ich hatte viel Spaß daran und kenne heute noch die Regeln. Das Spiel besteht aus zehn Schwierigkeitsgraden. Die Runden reduzieren sich, nachdem man das Ziel erreicht hat.

Ein Ball oder mehrere werden zehnmal hintereinander an die Wand geworfen und wieder aufgefangen. Dabei dürfen sie nicht zu Boden fallen. Hat das geklappt, geht es in die nächste Runde.

Vor dem Fangen muss einmal in die Hände geklatscht werden. Weiter geht es achtmal hintereinander mit einem doppelten Klatschen. Siebenmal muss man einmal vor und einmal hinter dem Körper klatschen und sechsmal muss der Ball unterm rechten Bein hindurch an die Wand geworfen und wieder aufgefangen werden und danach fünfmal unterm linken Bein hindurch. Viermal wird der Ball wieder mit den Fäusten, den Knien oder auch dem Kopf zurück an die Wand geprellt, bevor er gefangen wird. Dreimal wird der Ball von hinten gefasst und über die Seite an die Wand geworfen und in der vorletzten Runde muss man sich drehen, bevor man den Ball auffängt. Zu guter Letzt wird der Ball vom Rücken aus über den Kopf an die Wand geworfen und wieder aufgefangen.

Bei diesem Spiel werden Kindheitserinnerungen wach.

Winterfreude

Iwan Iwanowitsch Schischkin (1832-1898) – Winter

Ach, wie war es eine Freude,
wenn wir morgens aufgewacht;

wenn das Eis am Fensterkleide
Blumen pflanzte über Nacht,

fielen sanfte Winterträume
flockendicht auf den Asphalt,

lag der Schnee auf allen Bäumen,
deckte Böden, Tal und Wald,

haftend auf des Weges Strecke;
Flocken trieben himmelsfern.

Hell erstrahlt die Straßendecke,
leuchtet, wie ein lichter Stern.

Unter’m Glanze der Laternen
streut die weiße Glitzermacht

flatterhafte Funkelsterne
flockenprächtig in die Nacht.

Hell erleuchtet sind die Fenster,
wo die Menschen stehn und schaun.

denn das kalte Wintertreiben
deckt längst Weg und Apfelbaum.

Ach, es sind nur Kindheitsträume.
Hier schneit es schon lang nicht mehr.

Und die letzten Apfelbäume…
ach, wie lang ist das schon her.

Foto: privat

Weihnacht

Ich wünsche Euch…

Die Winterstürme durchdringen
die Welt mit wütender Macht. –
Da sinkt auf schneeigen Schwingen
die tannenduftende Nacht…

Da schwebt beim Scheine der Kerzen
ganz leis nur, kaum, daß du’s meinst,
durch arme irrende Herzen
der Glaube – ganz so wie einst…
Da schimmern im Auge Tränen,
du fliehst die Freude – und weinst,
der Kindheit gedenkst du mit Sehnen,
oh, wär es noch so wie einst!…

Du weinst!… die Glocken erklingen –
es sinkt in festlicher Pracht
herab auf schneeigen Schwingen
die tannenduftende Nacht.

Rainer Maria Rilke, 1875-1926