Kraft aus Licht

Fast alle Türchen stehen offen,
noch vier, dann wird Bescherung sein;
die Alten, Armen stehn betroffen
vor festlich, schön geschmückten Reihen
in Kaufhäusern, die angefüllt, 
mit Weihnachtsmännern mancher Art,
dort lockt, was man mit schnödem Geld,
verlegen kauft und rasch bezahlt. 

Die Kinder stehn kaum noch und staunen,
das Christkind ist längst abgeschafft.
Nur noch die Kleinsten können glauben,
dass es sich selbst verschenkt, zur Nacht. 
Durch Glaubenskraft geborenes Wesen,
Gestalt gewordene Kraft aus Licht,
die Welt kann nur durch Dich genesen,
wenn Du in unsere Herzen sprichst. 

Weihnacht

Ich wünsche Euch…

Die Winterstürme durchdringen
die Welt mit wütender Macht. –
Da sinkt auf schneeigen Schwingen
die tannenduftende Nacht…

Da schwebt beim Scheine der Kerzen
ganz leis nur, kaum, daß du’s meinst,
durch arme irrende Herzen
der Glaube – ganz so wie einst…
Da schimmern im Auge Tränen,
du fliehst die Freude – und weinst,
der Kindheit gedenkst du mit Sehnen,
oh, wär es noch so wie einst!…

Du weinst!… die Glocken erklingen –
es sinkt in festlicher Pracht
herab auf schneeigen Schwingen
die tannenduftende Nacht.

Rainer Maria Rilke, 1875-1926

Der Wind, das himmlische Kind

Wind fegt die kalte Erde,
sattelt die wilden Pferde.
Sie schnauben und verwehen
und bleiben niemals stehen.

Weiß ist die Welt von Glitzer,
der Sturm ein Herrgottsschnitzer,
er weckt in kahlen Gärten,
des Winters Schlafgefährten,

nimmt mit in Windeseile
die losen Blätterteile.
Er braust durch Land und Straßen,
die Mensch und Tier verlassen.

Doch bald wird still das Sausen
und Ruhe folgt dem Brausen.
Das Volk, es schmückt die Fenster,
vertreibt die Wind-Gespenster

mit Tannengrün und Kerzen,
erhellt die trüben Herzen.
Im lichten Widerschein
tritt Seelenruhe ein.

Advent

Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird,
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit,
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)