Kindheitstrauma

Felix Schlesinger (1833-1910)
Ich überflog in meinen Träumen
die dichten Hagebutten-Hecken,
saß unter Kirsch- und Apfelbäumen,
an vielen lieb gewordenen Ecken.

Bemooste Dächer unsres Hauses -
uralt die Schindeln auf den Sparren;
wo Spatzen unterm Giebel hausten,
hör‘ noch die Dielenböden knarren.

Klein war ich, nahm noch alles hin,
was vorgelebt mein Dasein prägte.
Nichts Übles kam mir in den Sinn,
wenn niemand die Kaninchen pflegte.

Saß auf dem grauen Leiterwagen,
den Vater zog bis in den Bruch,
wir pflückten Gras und Löwenzahn
bis sie geschlachtet, fett genug.

Saßen in viel zu engen Ställen,
auf ihrem Kot mit feuchten Füßen,
bis Vater sie nach langem Quälen
mit ‚Fangschlag‘ hat erlösen müssen.

Ein Trauma ist es mir geworden,
als „Hansi“ an den Pfosten hing,
ließ meiner Kindheit Liebe morden,
bis mir der Appetit verging.

Kaninchen

Paul Hoecker (1854-1910)

Hinter dem Haus – ein Kaninchenstall,
bot ihnen ein liebloses Heim.
Das war halt so, ich warf lieber Ball,
zum Nachdenken war ich zu klein.

Urin durchtränkt und von Kot übersät,
war der Stall – kein schöner Ort.
Vater war der, der säubert und mäht,
denn sie fraßen in einem fort.

Doch hinter dem Haus war zu wenig Grün,
und wir zogen mit Leiterkarren
in „den Bruch“, um Kettensalat zu ziehen,
für alle, die hungrig waren.

*Bruch = Rheinaue Homberg

Felix Schlesinger (1833-1910)

Nach einem halben Jahr etwa,
ging Vater allein in den Garten.
und sonntags gab es dann sogar
Kaninchen als Sonntagsbraten.

Dann eines Tages lernte ich schnell,
was mich schier mit Leid berührte,
als mein geliebter „Hansi“ ohne Fell,
hing an der alten Türe.

Ich war schockiert, war lange betrübt
und habe seitdem beschlossen,
nie wieder zu essen, was ich geliebt,
schon gar keine Hausgenossen.