Im Grase

John William Waterhouse 1849-1917

Um mich schwärmender Bienen Gesumm;
fernher Singen von Schnittern;
Sommerlüfte, die heiß ringsum
über der Wiese zittern!

Hoch aus dem dunkelnden Himmelsblau,
drin die Wolken verschwimmen,
quillt es und rinnt hernieder wie Tau,
säuselt wie liebe Stimmen.

Gaukelt und lacht mir hinweg das Leid,
hebt die Erdengewichte,
bis die Seele, gelöst, befreit,
schwärmt in dem himmlischen Lichte.

Adolf Friedrich Graf von Schack 1815-1894 – gemalt von Franz von Lenbach

Das bucklige Männlein

Gezeichnet von Sulamith Wülfing 1901-1989

Erstausgabe in ‚Des Knaben Wunderhorn‘ von L. Achim von Arnim und Clemens Brentano 1806/08

Will ich in mein Gärtlein gehn,
Will meine Zwiebeln gießen,
Steht ein bucklicht Männlein da,
Fängt als an zu niesen.

Will ich in mein Küchel gehn,
Will mein Süpplein kochen,
Steht ein bucklicht Männlein da,
Hat mein Töpflein brochen.

Will ich in mein Stüblein gehn,
Will mein Müslein essen,
Steht ein bucklicht Männlein da,
Hat’s schon halber gessen.

Will ich auf mein Boden gehn,
Will mein Hölzlein holen,
Steht ein bucklicht Männlein da,
Hat mir’s halber gstohlen.

Will ich in mein Keller gehn,
Will mein Weinlein zapfen,
Steht ein bucklicht Männlein da,
Tut mirn Krug wegschnappen.

Setz ich mich ans Rädlein hin,
Will mein Fädlein drehen,
Steht ein bucklicht Männlein da,
Läßt mirs Rad nicht gehen.

Geh ich in mein Kämmerlein,
Will mein Bettlein machen,
Steht ein bucklicht Männlein da,
Fängt als an zu lachen.

Wenn ich an mein Bänklein knie,
Will ein bißlein beten,
Steht ein bucklicht Männlein da,
Fängt als an zu reden:

„Liebes Kindlein, ach, ich bitt,
Bet fürs bucklicht Männlein mit !“

Der Mond ist aufgegangen

Zwei Männer beim Betrachten des Mondes – Caspar David Friedrich

1790 vom Matthias Claudius als religiöses Abendlied geschrieben. Vertont wurde es noch im selben Jahr vom Hofkapellmeister Johann A. P. Schulz.


Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;

Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold!

Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!

So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder
Und wissen gar nicht viel;

Wir spinnen Luftgespinste
Und suchen viele Künste
Und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!

Laß uns einfältig werden
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sein!

Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
Durch einen sanften Tod!

Und, wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.

Verschon uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbar auch!

Matthias Claudius 1740-1815

Schicksalstage

Porträt Hermann Hesse 1905Ernst Würtenberger 1868-1934

Wenn die trüben Tage grauen,
kalt und feindlich blickt die Welt,
findet scheu sich dein Vertrauen
ganz auf dich allein gestellt.

Aber in dich selbst verwiesen
aus der alten Freuden Land,
siehst du neuen Paradiesen
deinen Glauben zugewandt.

Als dein Eigenstes erkennst du,
was dir fremd und feind erschien,
und mit neuem Namen nennst du
dein Geschick und nimmst es hin.

Was dich zu erdrücken drohte,
zeigt sich freundlich, atmet Geist,
ist ein Führer, ist ein Bote,
der dich hoch und höher weist.