Romanze

Goethes große, unerfüllte Liebe
Aus „Werthers Leiden“ von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
Charlotte von Stein (1742-1827)

Die Glocken, wie sie klingen! –
Ist’s noch der alte Schlag?
Mein Herz, es möchte springen,
an einen fernen Tag.

Die altvertrauten Zeiten
im abendlichen Ton,
wie damals hör’ ich’s läuten –
die Zeit lief uns davon.

Fühl’ ich noch deine Nähe
am wohl geheimen Ort,
späh’ ich nach dir, als sähe
ich dich von ferne dort.

Schmeck’ ich noch deine Küsse,
verboten, doch so süß,
verspüre Hochgenüsse,
wie einst im Paradies.

Seh’ deine Silhouette
am Horizont, im Geist;
verspüre noch die Kette
der Sehnsucht, die nie reißt.

Verschwunden in den Zeiten –
hör’ deiner Stimme Klang.
Sie wird mich stets begleiten,
Unendlichkeiten lang.

Historischer Friedhof in Weimar, Grabstätte von Charlotte von Stein