Im Gaslicht

Den Jahren (1975-1976) gewidmet, in denen ich die Erfahrungen einer vorher für mich unbekannten Welt machen durfte. Eine Welt voller Männer, die Frauen mit Respekt und in Freundschaft behandelt haben. Ich denke gerne daran zurück.

Abseits liegt das Lokal im fahlen Licht,
wo Schein der Gaslaterne sich in Pfützen bricht.
Nur abends wird es hell hinter der Scheibe;
Kneipengeruch entweicht der dunklen Bleibe.

Ein Ort, der Stammkundschaft belassen,
für Kenner nur, auf abgeleg’ner Straße.
Es strömt herbei, was sich im Zwielicht band,
betritt die fremde Welt, die man hier fand.

An stets verschloss’ner Türe lässt man ein,
die passend sind zur Nacht im Lampenschein.
Plüschig, in Rot-Gold das Ambiente,
und die Musik spielt alte Elemente. 

Da tönt ein „Nur nicht aus Liebe weinen…“
Und „Waldemar“, dem wirklich Einen.
Wo man „Leander“ imitiert auf kleiner Bühne,
gastiert die Playback-Show der schwulen Szene.

Umhüllt von funkelnden Gewändern,
in greller Schminke und mit Federbändern,
bewegen sich die Männer wie die Frauen,
sind weiblich und in Pose anzuschauen.

Im Spiel das andere Geschlecht zu präsentieren
und trotzdem nicht den Wesenskern verlieren.
Nur nach der Show, hinter geschloss‘nen Türen,
die Tränen weinen, die zum Alltag führen. 
Ich wohn′ alleine mit Mama,
in einem alten Haus ganz nah
bei dem Theater,
und da ich immer einsam war,
hab' ich noch ein Kanari-Paar
und einen Kater.

Mama strengt alle Arbeit an.
Ich geh′ zum Markt und koche dann
mit viel Routine,
ich wasche ab und mache rein
und näh', sollt' es nötig sein,
auf der Maschine.

Mir macht fast jede Arbeit Spaß,
weil ich Gefühl für Form und Maß
und Stil besitze,
doch nachts erwacht erst mein Genie,
denn in der Kunst der Travestie,
da bin ich Spitze.
Bewundert ist mein Striptease-Akt,
am Ende steh′ ich völlig nackt,
ich kann das wagen.

Und alle Gäste rings im Raum,
die trauen ihren Augen kaum -
ich bin ein Homo, wie sie sagen.

Mit Freunden wird die Nacht gezecht,
da wird nach Neigung und Geschlecht
nicht unterschieden.
In irgendeiner Bar am Eck,
da spült man die Komplexe weg
und ist zufrieden.

Wir reden von den Leuten dann,
die unsereins nicht riechen kann,
die wir entsetzen.
Wir spotten mit Humor und Geist,
mit scharfem Witz, der lachend beißt,
statt zu verletzen.

Mitunter finden Kerle sich,
die suchen laut und lächerlich,
uns nachzumachen.
Sie haben Freude wie ein Kind,
uns arme Teufel, die wir sind,
noch auszulachen.

Sie sind im Ton und Gang bemüht,
so, wie man uns von außen sieht,
sich zu betragen,
wenn es auch mancher übelnimmt,
mich lässt es kalt, weil es ja stimmt:
Ich bin ein Homo, wie sie sagen.

Wenn dann der neue Tag erwacht,
Kehr′ ich zurück in meine Nacht,
der Einsamkeiten.
Das Kleid und die Perücke fällt,
ich bin ein Clown vor aller Welt,
nur da zu leiden.

Ich schlafe nicht, ich liege wach,
ich träume Liebesstunden nach,
die freudlos blieben,
und von dem Jungen, der, verdammt, 
mich immer wieder neu entflammt,
ihn heiß zu lieben.

Doch keinem werd' ich dieses Leid,
den süßen Schmerz der Zärtlichkeit,
je anvertrauen.
Er, der zum Wahnsinn mich gebracht,
liegt nämlich leider jede Nacht
im Bett bei Frauen.

Nein, keiner hat von euch das Recht,
hier, als entartet oder schlecht,
mich anzuklagen!
Der Grund, dass ich so anders bin,
liegt von Natur aus in mir drin,
ich bin ein Homo, wie sie sagen.