Lehrgeld

Dorfschule – Wilhelm Ludwig Heinrich Claudius (1854–1942)
Wir bitten um das Heil der Welt
und schaffen anderen Qualen.
Die Erde ist ein Schulungsort -
wir müssen Lehrgeld zahlen!

Gott richtet nicht mit Höllenglut,
um Sünder zu verbrennen,
Mensch schürt’s sich selbst
und wird’s im Leid erkennen.

Kein Bußetun hilft Mensch dabei
Schwere an Schuld zu tilgen;
wäre ein Hohn, könnte er löschend
das Leid des Dulders mildern.

Der Große Geist, Er gab gerecht
uns Ordnung und Gesetze;
im Leid fühlt Mensch was gut, was schlecht,
heilt selbst, was ihn verletzte.

Spirituell bestimmen wir,
was schicksalhaft uns bildet.
Die Welt, die unvollkommen ist,
wird uns den Zustand schildern.

Trotzt jedem Sturm in weiser Kraft,
erfahrt das geistig Wahre.
Ein Funke hat das Licht entfacht,
das Gott uns offenbarte.

Drang des Handelns

Prozession im Nebel – Ernst Ferdinand Oehme (1797-1855)
Wir sind von sterbender Natur,
geboren, um zu bauen diese Welt;
im Auf und Ab des Daseins Schicksalsspur,
die nebelhaften Pfade gehn, wie’s uns gefällt.

Vertrauend folgen wir dem Drang des Handelns,
um, was wir schufen, staunend anzusehen:
Das Wissen steht im Licht des Wandels,
es offenbart sich hässlich oder schön.

Nichts scheint mehr sinnbefreit, dient dem Verstehen
und offenbart sein Für und Wider,
hat Ausgleich und Vergeltung vorgesehen -
was wertlos schien, gewinnt Bedeutung wieder.

Vollkommenheit – der Weg dorthin ein Wählen,
Naturgesetze sind die Pflastersteine;
Aufrichtigkeit befreit von allem Quälen,
Ausgleich für Fehler treibt die müden Beine.

Einbahnstraße

Kampf mit dem Drachen – Sulamith Wülfing (1901-1989)
Bin wie ein Schwamm,
hab alle Trauer aufgesogen,
von der End-Täuschung voll,
vom Lebensglück betrogen.

Wollt ich auf Einbahnstraßen
dem Tod ins Auge sehen,
zum lebensmüden Spaße,
ohne mich umzudrehen?

Trag selber ich die Schuld? -
Bin wohl falsch abgebogen,
als mich gedankenlos
des Limbus Mächte zogen.

Benutzte den Besitz,
den andere längst ihr Eigen.
War’s letzte Galgenfrist,
mein stolzes Haupt zu neigen?

Mein Kreuzweg endet hier;
die Tür zum Licht stand offen.
Bin nun zu Haus bei Dir,
vorbei das Suchen, Hoffen.

Die Irrfahrt durch mein Leben
leg ich in Deine Hände;
mein Mühen und mein Streben,
die Ernte nach der Wende.

Vertrau auf Deine Führung -
gabst Einsicht mir, zu sehen,
um nach des Leids Berührung,
als Blüte aufzugehen.

Weltgeschehen

Quelle: Pinterest
Unergründlich deine Rätsel,
Welt, du bleibst uns stets verschlossen,
und obwohl den Wissenschaftlern
viele Dinge sich erschlossen,
huscht der Mensch mit leichtem Sinn,
durch Legenden vom Beginn.

Schreibt über die Weltgewalt’gen,
die verwüsteten die Staaten,
Völker mordeten; doch Frevel
preist man oft als große Taten.
Resümee aus der Geschichte:
traue niemals dem Berichte.

Dummheit ist‘s, den Sturm zu tadeln,
wenn er Mast und Spieren knickte;
stille Wasser strebe an,
wenn den Kiel der Sturmwind drückte.
Wähl die Sanftmut, werd zum Bache -
Seelenheil ist Menschen Sache.

Mensch, bist du gleich Regentropfen,
der aus Feuchtigkeit gewoben,
der gestürzt ins Nichts hier unten
taumelt aus dem Nichts dort oben?
Regen, fruchtbar sei dein Fallen,
wie des Menschen Tat in allem!

Wie lang noch?

Bild: Karin M.
Frühling, Sommer, Herbst und Winter –
sind millionenfach vergangen;
flüchtig blieben sie, wie Zeiger
an der Uhr des Weltalls hangen.

Drehten langsam ihre Kreise,
und die Jahreszeiten gingen
über die gesetzten Gleise,
ließen die Natur gelingen.

Störte sich nicht an den Dingen,
die um sie herum passierten,
kurz des Lebenswegs Passage,
durch die sie schicklich manövrierte.

Natur – sie holt sich alles wieder,
trotz Menschenwerk und deren Krisen.
Wird es noch Jahreszeiten geben,
wenn alle Zeiger stillstehen müssen?

Leichtigkeit

Julien Dupré (1851-1910)
Abgehärtet durch das schwere Tragen
mancher Krisen, die hier Wunden schlugen,
war des Bauern Hand in alten Tagen,
als sie sich durch Dornenfelder gruben.

Gegen Stein und Disteln mussten kämpfen,
all die Arbeitsamen, die die Äcker bauten;
Schwielen, die die Schmerzempfindung dämpften,
wenn sie ihre Hände in die Dornen tauchten.

Spürten nicht einmal die tiefen Stacheln
und die Nesseln, wie sie ätzend bissen;
nahmen nicht so schwer des Krieges Krachen,
wenn die Bomben große Krater rissen.

Sensibler Mensch – auch heute trägst du Sorgen,
verletzlich kannst du Leben kaum ertragen;
geistig gereift sind deine Hände weich geworden,
leicht bluten sie an dornenreichen Tagen.

Seelengeformtes Schicksal deiner Stunden,
trage mit Leichtigkeit des Daseins Los;
lege Gelassenheit auf deine Wunden,
lass sie die Schwiele sein, die Schmerz verschloss.

Nachtzeit des Lebens

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Zünde ein Licht an in der Nachtzeit des Lebens,
wag dich durch das Dunkel, Schritt für Schritt;
wenn deine Füße über Hindernisse schweben,
dann hebt der dienende Geist dich ein Stück.

Mache Fragliches fassbar, beleuchte die Seiten,
manchmal wird der Grund dir unsicher scheinen;
geh durch all die quälenden Unwägbarkeiten,
lass die Stille in dir die Verwirrtheit verneinen.

Der Erkenntnis der Wahrheit reiche die Hände,
sie leitet auf sicherem Wege dein Schaffen;
folge der Weisheit durch erschlossnes Gelände,
wo große Empfindungen weinen und lachen.

Heulende Wölfe

Der Wolf in mir, ist wieder erwacht.
Er geisterte durch die Vollmondnacht,

die Lefzen triefend, die Zähne gefletscht,
zog er durch die Stadt, wie vom Teufel gehetzt.

Ist nur der Vollmond! - Wer ließ ihn frei?
Wer sprach die verbotene Litanei?

Was willst du in mir, du Seelendunkel?
Bist nur ein Trugbild im Vollmond-Gefunkel.

Deine roten Augen fürchte ich nicht!
Bist nur von Nacht gesponnenes Licht.

Wie der Mond versteck ich die dunkle Seite,
dass man verkennt, was ich selbst nicht begreife.

Es gibt viele Wölfe im eigenen Lande,
fürchten das Licht, wie die Treiberbande.

Wenn die Sterne tief am Nachthimmel stehen,
hör ich sie heulend den Mond anflehen.

Hell und Dunkel im Streit - ein Für und Wider!
Mondscheintraum – tiefgründiges Auf und Nieder.

Materie und Geist

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Nicht trennbar sind die Elemente,
auch nicht Materie und Geist;
sie sind verbunden, die Latenten,
die Geist zu kontrollieren weiß.

So richtet Ausmaß der Kontrolle,
sich nach Materie bedingter Regel,
sie zieht heran des Geistes Rolle,
der prüft die Richtung unserer Segel.

Gemeinsam machen sie Erfahrung,
sich zu entfalten, zu entwickeln,
werden des Lebens Offenbarung
als Funken Göttlichkeit vermitteln.

Allein

Wanderer über dem Nebelmeer – Caspar David Friedrich (1774-1840)
Dem Körper gibt’s du seinen Teil,
zeigst sein Gesicht, das schön und heil;
pflegst ihn und schmückst sein Kleid,
mit Lust und auch ein wenig Leid
sorgst du für Leib und Seele,
dass die Zufriedenheit nicht fehle.

Bist stolz auf Leistung und Erfolg,
verehrst dein Heimatland und Volk;
gehst von der Arbeit frei nach Haus,
mental machst du die Lichter aus,
schaust tief ins Innerste hinein,
spürst, jeden Weg gehst du allein.

Dann kommen Träume in der Nacht. -
Was ist’s, was dich so ängstlich macht?
Es ist doch nur des Mondes Licht,
das tief in deine Seele spricht:
„Allein, allein!“ – So gehst du hin;
lautlos und einsam, ohne Sinn.

Trotz vieler Menschen um dich her,
scheinst du ein Tropfen nur im Meer.
Du fühlst in dir die fremde Kraft,
die plötzlich in dir Klarheit schafft;
verwischt die Grenzen deines Seins
mit sachter Hand, du fühlst dich Eins.

Spürst alles, was da lebt und leidet,
die Mauer, die Geschöpfe scheidet;
siehst auch dein Glück, das kurz belohnte
und schnell verging, das altgewohnte.
Es greift nach deines Herzens Sehnen;
mit tiefen, nie gekannten Tönen,

rufst du nach dem, den du nie nennst,
den du bisher vom Alltag trennst;
hörst noch, wie all die anderen lachen,
wie hinter dir sie Späße machen.
SIE sind allein, du bist es nicht! –
weil in dir Licht und Weisheit spricht!

Reißt um die selbst erbaute Mauer -
nur Selbstbefreiung ist von Dauer.
Das höchste Glück wird nur der finden,
der anfängt, selbst sich zu ergründen,
um dann erlöst vom Weltgeschehen,
in Gott geruht, nach Haus zu gehen.