Teil 1
Hier einen solchen Romanauszug zu präsentieren ist schwer, zumal er sehr lang ist, obwohl ich schon etliches gekürzt habe. Anstelle des fehlenden Textes steht dieses Zeichen [..]
Die Geschichte ist Bestandteil des Romans „Marie Verwahnen“ (genannt: die Wachsmarie) von Joseph von Lauff (1855-1933). Ein Autor, den ich liebgewonnen habe, ebenso war er Lieblingsautor und Oberstleutnant des letzten deutschen Kaisers, der Kritik an der katholischen Kirche in seinen Romanen nicht verbarg. Im Gegenteil, er machte sie zu einer Karikatur, worüber man sich am ‚schwarzen‘ Niederrhein die Mäuler zerriss.
Eine Geschichte um den jüdischen Mitbürger Moses Herzlieb und dessen Sprößling Schlaume:
Isidor, der schwarze Ziegenbock
…oder Satan persönlich galoppiert in die Gemeinde, die gerade eine katholische Messe zu Ostern am Niederrhein verlässt.
Schon beizeiten und in aller Sonntagsfrühe hatte Schlaume Herzlieb seinen stattlichen Ziegenbock auf die Weide getrieben, um ihm die Wohltat des frischen Grases zu verstatten. Der meckernde Gesell war das Eigentum Schlaumes. Er konnte nach eigenem Ermessen über ihn schalten und walten, mußte allerdings alle Lasten, die mit der Haltung des Tieres verknüpft waren, tragen, war dafür aber auch der unumschränkte, glückliche Nutznießer des prächtigen Herrn aus dem Ziegengeschlecht, der als vielbegehrter Sprung- und Deckbock ein Erkleckliches abwarf.
Alle Ziegen der Nachbarschaft wurden diesem Pascha zugeführt, waren ihm tributpflichtig und genossen seine Liebe gegen die Hinterlegung eines Kastemännchens, das nach geschehenem Sprunge in die Tasche Schlaumes hinabklingelte. So häufte sich im Laufe des Jahres Kastemännchen auf Kastemännchen. Allmonatlich wurde die Kasse einer Revision unterzogen, und stets wies das Fazit ein erfreuliches Resultat auf.
»’s stimmt!« sagte alsdann der kleine Schlaume und schloß die Kassette wieder ab, auf deren Deckel die inhaltsschweren Worte ›Bock- und Sprunggelder for Salomo Herzlieb‹ in flüssiger Kurrentschrift verzeichnet standen.
Trotz des christlichen Jontefs (jüdisch für Festtag) hatte Schlaume zur Weide getrieben, und während Isidor gravitätisch durch das frische Grün stelzte, den Bart schleifte und mit dem Schwänzchen kapriolte und fröhliche Rädchen schlug, lag der kleine Judenbengel rücklings am Wiesenrand, schlenkerte das rechte über das aufgestemmte linke Bein und blinzelte zum Himmel auf, der in strahlender Bläue die weite, duftige Grasfläche überspannte. Schlaume war glücklich. In dieser Glückseligkeit nickte er dem bereits etwas steifbeinigen, aber würdigen Pascha zu – und dieser verstand ihn.
»Isidor!« rief der kleine Schlaume.
Der Bock meckerte auf.
»Übermorgen kommt die Weiße von Herrn Cornelis Janßen zu uns: macht ein Kastemännchen.«
»Mäh!« sagte der Pascha.
»Nü – un zu kommenden Freitag die Schwarz-Braune mit’s dumme Gesicht von Herrn Eusebius Dornkat.«
Der Bock meckerte wieder.
»Macht zwei Kastemännchen,« ergänzte Schlaume in tiefer Betrachtung. »Un denn kommt die Rahmweiße, die Zimperliche mit’s himmelblaue Bändchen von die Damens Käschen. ’ne Kapitalziege …! – Wieder ein Kastemännchen.«
Im behaglichen Vorgefühl der kommenden Dinge schloß der Steifbeinige die Augen, gab etliche Rosinen von sich und ließ sie durch eine schnelle Bewegung des Schwanzes turbinenartig rotieren.
»Isidor, un denn kommt die Schwarze mit die Hängeohren von Perdje Puhl – un denn die Fromme vom Herrn katholischen Pfarrer – un denn die Blässe mit’s dicke Euter von der liebreichen Frau Ankerwirtin. – Drei Kastemännchen auf einmal…! – Nu, Isidor«– un wo gefällt Dir die Sache?«
Dreimaliges Meckern von seiten des Paschas.
»Un denn,« fuhr Schlaume fort, »Isidor, gehst Du kapores! – un denn kommen die fünf mit die Glöckchens vom Entenbusch, un denn zuletzt – aber, Isidor, nimm’s mir nich übel! – die Lahme mit’s abgebissene Ohr: dem Herrn Meyer Pinkus die seine. Macht sechs Kaste Männchen ßusammen.«
Allein Schlaume hatte dieses Mal die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Höchst indigniert, verächtlich und mit langem Gesicht drehte sich der Pascha auf seinen steifen Beinen herum und gewährte Schlaume den Anblick seiner hinteren Seite. Er würdigte den Rechenkünstler keines Blickes mehr. Stocksteif und mit eingezogenem Buckel sah er in die Gegend hinaus.
»Isidor, bist Du meschugge?! – Is sie doch auch ’ne Ziege, die Lahme mit’s abgebissene Ohr: dem Herrn Meyer Pinkus die seine.«
Es war umsonst. Jeder Zuspruch fiel auf unfruchtbaren Boden. Isidor ließ sich auf nichts mehr ein, graste weiter und schnappte gelegentlich nach einer braunroten Erdhummel, die nicht müde wurde, um seine Nase zu taumeln.
»Püh – denn nich!« sagte Schlaume. »Gefällt Dir die Sache nich – mir aber gefällt sie. – Macht ßusammen zwölf Kastemännchen, gleich ’nem Taler preußisch Courant. Isidor, ’s stimmt.«
Also meditierte Schlaume, kümmerte sich nicht weiter um den halsstarrigen Bock, legte sich wieder rücklings ins Gras und schlug die Beine übereinander.
So mochte er etliche Stunden gelegen haben, als mit feierlichen Schlägen die Glocken zum Hochamt riefen. –
Fortsetzung folgt…