Ich glaube nicht

Friedrich von Schiller: „Das Universum ist ein Gedanke Gottes. …
Möglich, daß das ganze Gerüste meiner Schlüsse ein bestandloses Traumbild gewesen. Aber eine Wahrheit ist es, die gleich einer festen Achse, durch alle Religionen und alle Systeme geht! – Nähert Euch dem Gott, den ihr meinet!“

Hin und wieder geißl‘ ich mich und geh‘ hart mit mir ins Gericht
und befrag‘ mich hochnotpeinlich, ob ich glaube oder nicht.
Nur ein bißchen Folter und schon erpress‘ ich mir den Beweis,
dass ich erstens gar nichts glaube und zweitens gar nichts weiß.

Ich glaub‘ nur, dass, wenn es ihn tatsächlich geben sollte,
Er, was hier in seinem Namen abgeht, gar nicht wollte.
Erstmal glaub‘ ich, dass die Weihwasserbeckenfrösche ihn stören
und die viel zu großen Häuser, die angeblich ihm gehören.
Glaubt ihr denn, er ist auf Lakaien und Grundbesitz erpicht?
Ja-Sager und Immobilien?
Ich glaube nicht!

Ich glaub‘ nicht, wenn es ihn wirklich gibt, dass er’s überaus liebt,
dass sich jemand hartnäckig als sein Stellvertreter ausgibt
und sich für unfehlbar hält.
Ich glaub nicht, dass es ihm gefällt,
dass man ihm krause Ansichten als ’sein Wille‘ unterstellt.

Ich verwette mein Gesäß: Brimborium und Geplänkel
Mummenschanz und Rumgeprotze gehn ihm auf den Senkel.
Dieses Ringeküssen, diese selbstgefäll’gen Frömmigkeiten,
dies in seinem Namen Eselei’n und Torheiten verbreiten.
Glaubt ihr, dass er will, dass irgendwer an seiner Stelle spricht?
Irgend so ein kleines Licht?
Ich glaube nicht!

Ich glaub‘ nicht, dass er in seiner Weisheit, seinem ew’gen Rat
sowas Abartiges ausgeheckt hat, wie den Zöllibat.
Denn sonst hätt‘ er sich zum Arterhalt was andres ausgedacht
und uns nicht so fabelhafte Vorrichtungen angebracht.
Welch ein Frevel, daran rumzupfuschen, zu beschneiden,
zu verstümmeln! Statt sich dran zu erfreu’n, dran zu leiden.

Und wenn Pillermann und Muschi nicht in den Masterplan passen,
glaubt ihr nicht, er hätt‘ sie schlicht und einfach weggelassen?
Glaubst du Mensch, armsel’ger Stümper, du überheblicher Wicht,
dass du daran rumschnippeln darfst?
Ich glaube nicht!

Ich glaub‘ nicht, dass ihm der Höllenlärm etwas bedeutet,
wenn man in die göttliche Ruhe hinein die Glocken läutet.
Ich bin sicher, dass er es als schlimme Lästerung betrachtet,
wenn man, um ihn zu bestechen, kleine Lämmerchen abschlachtet.
Und er muss sich sofort übergeben, denkt er nur ans Schächten,
oder an die schleim’gen Heuchler, an diese gottlosen Schlechten,
die scheinheilig die Kinderlein zu sich kommen lassen
und ihnen in die Hose fassen.

Ich glaub‘ nicht, dass er in euren pompösen Palästen thront.
Ich glaub‘ eher, dass er beim geringsten meiner Brüder wohnt.
Eher bei den Junkies, bei den Trebern im Park als in Rom,
eher in den Slums, den Schlachthöfen, den Ghettos als im Dom.
Im Parterre bei Oma Krause, in der Aldi-Filiale,
eher auf dem Straßenstrich als in der Kathedrale,
Wo Schiefköpfige, Händeknetende Schuldgefühle schüren,
Eitel, selbstgerecht, als würden sie ihn an der Leine führen.
Eher als in eurer düstren, modrig-lustfeindlichen Gruft,
Sitzt er unter freiem Himmel in der lauen, klaren Luft,
neben mir auf der Bank vor der Gartenlaube,
bei einer Flasche Deidesheimer Herrgottsacker.
Ja, ich glaube!
Ja, ich glaube!

Quelle: Musixmatch
Songwriter: Reinhard Mey

Autor: Gisela

Bitte auf meiner Seite "Über mich" nachlesen.

3 Gedanken zu „Ich glaube nicht“

  1. Liebe Gisela, danke vielmals für dieses Reinhard-May-Lied. Es hat eine grosse Kraft, finde ich, es geht unter die Haut und beeindruckt immens. Du findest immer so passende Texte und Bilder – nicht zuletzt schreibst du selbst bewundernswerte Gedichte. Liebe Grüsse, Elisa

    1. Vielen Dank, liebe Elisa.
      Leider ist der Text des Liedes nahe am Geschehen. Ich glaube an Gott, nicht aber an die Kirchen. Da gehe ich lieber ins „stille Kämmerlein“ zum Beten.
      Herzliche Grüße und ein schönes Wochenende!

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