Lieb Vaterland, du hast nach bösen Stunden, aus dunkler Tiefe einen neuen Weg gefunden. Ich liebe dich, das heißt, ich hab dich gern, wie einen würdevollen, etwas müden, alten Herrn. Ich kann dich nicht aus heißem Herzen lieben. Zu viel bist du noch schuldig uns geblieben. Die Freiheit, die du allen gleich verhießen, die dürfen Auserwählte nur genießen. Lieb Vaterland magst ruhig sein, die Großen zäunen Wald und Ufer ein, und Kinder spielen am Straßenrand, lieb Vaterland. Lieb Vaterland, wofür soll ich dir danken? Für Versicherungspaläste oder Banken, und für Kasernen, für die teure Wehr, wo Schulen fehlen, Lehrer und noch mehr? Konzerne dürfen maßlos sich entfalten, im Dunkeln stehn die Schwachen und die Alten. Für Krankenhäuser fehlen dir Millionen, doch das Geschäft mit Schwarzgeld scheint zu lohnen. (1998 geänd.) Lieb Vaterland magst ruhig sein, die Großen zäunen ihren Wohlstand ein, die Armen warten mit leerer Hand, lieb Vaterland. Lieb Vaterland, wofür soll ich dich preisen? Zu früh schon zählt ein Mann zum alten Eisen. Wenn er noch Arbeit will, du stellst ihn kalt - als Aufsichtsrat sind Greise nicht zu alt. Die alten Bärte rauschen wieder mächtig, doch junge Bärte sind dir höchst verdächtig, Das alte Gestern wird mit Macht beschworen, das neue Morgen, deine Jugend, geht verloren. Lieb Vaterland, magst ruhig sein, doch schlafe nicht auf deinen Lorbeeren ein. Die Jugend wartet auf deine Hand, lieb Vaterland. Lieb Vaterland, magst ruhig sein, doch schlafe nicht auf deinen Lorbeeren ein. Die Jugend wartet auf deine Hand, lieb Vaterland!
Text: Udo Jürgens / Eckart Hachfeld 1974