Fröstelnd geht die Zeit spazieren.
Was vorüber schien, beginnt.
Chrysanthemen blühn und frieren.
Fröstelnd geht die Zeit spazieren.
Und du folgst ihr wie ein Kind.
Geh nur weiter, bleib nicht stehen.
Kehr nicht um, als sei's zuviel.
Bis ans Ende musst du gehen,
hadre nicht in den Alleen.
Ist der Weg denn schuld am Ziel?
Geh nicht wie mit fremden Füßen
und als hättst du dich verirrt.
Willst du nicht die Rosen grüßen?
Lass den Herbst nicht dafür büßen,
dass es Winter werden wird.
Auf den Wegen, in den Wiesen
leuchten, wie auf grünen Fliesen,
Bäume bunt und blumenschön.
Sind's Buketts für sanfte Riesen?
Geh nur weiter, bleib nicht stehn.
Blätter tanzen sterbensheiter
ihre letzten Menuetts.
Folge folgsam dem Begleiter.
Bleib nicht stehen. Geh nur weiter,
denn das Jahr ist dein Gesetz.
Nebel zaubern in der Lichtung
eine Welt des Ungefährs.
Raum wird Traum. Und Rausch wird Dichtung.
Folg der Zeit. Sie weiß die Richtung.
„Stirb und werde!“ nannte er's.
Das ist ein Abschied mit Standarten
aus Pflaumenblau und Apfelgrün.
Goldlack und Astern flaggt der Garten,
und tausend Königskerzen glühn.
Das ist ein Abschied mit Posaunen,
mit Erntedank und Bauernball.
Kuhglockenläutend ziehn die braunen
und bunten Herden in den Stall.
Das ist ein Abschied mit Gerüchen
aus einer fast vergessenen Welt.
Mus und Gelee kocht in den Küchen.
Kartoffelfeuer qualmt im Feld.
Das ist ein Abschied mit Getümmel,
mit Huhn am Spieß und Bier im Krug.
Luftschaukeln möchten in den Himmel.
Doch sind sie wohl nicht fromm genug.
Die Stare gehen auf die Reise.
Altweibersommer weht im Wind.
Das ist ein Abschied laut und leise.
Die Karussells drehn sich im Kreise.
Und was vorüber schien, beginnt.
„Ziehen Sie die ältesten Schuhe an, die in Ihrem Schrank vergessen stehn! Denn Sie sollten wirklich dann und wann auch bei Regen durch die Straßen gehn.
Sicher werden Sie ein bisschen frieren, und die Straßen werden trostlos sein. Aber trotzdem: gehn Sie nur spazieren!… Und, wenn’s irgend möglich ist, allein.
Müde fällt der Regen durch die Äste. Und das Pflaster glänzt wie blauer Stahl. Und der Regen rupft die Blätterreste. Und die Bäume werden alt und kahl.
Abends tropfen hunderttausend Lichter zischend auf den glitschigen Asphalt. Und die Pfützen haben fast Gesichter. Und die Regenschirme sind ein Wald.
Ist es nicht, als stiegen Sie durch Träume? Und Sie gehn doch nur durch eine Stadt! Und der Herbst rennt torkelnd gegen Bäume. Und im Wipfel schwankt das letzte Blatt.
Geben Sie ja auf die Autos acht. Gehn Sie, bitte, falls Sie friert, nach Haus! Sonst wird noch ein Schnupfen heimgebracht. Und, ziehn Sie sofort die Schuhe aus!“
Nun gibt der Herbst dem Wind die Sporen. Die bunten Laubgardinen wehn. Die Straßen ähneln Korridoren, In denen Türen offen stehn.
Das Jahr vergeht in Monatsraten. Es ist schon wieder fast vorbei. Und was man tut, sind selten Taten. Das, was man tut, ist Tuerei.
Es ist, als ob die Sonne scheine, Sie lässt uns kalt. Sie scheint zum Schein. Man nimmt den Magen an die Leine. Er knurrt und will gefüttert sein.
Das Laub verschießt, wird immer gelber, Nimmt Abschied vom Geäst und sinkt. Die Erde dreht sich um sich selber. Man merkt es deutlich, wenn man trinkt.
Wird man denn wirklich nur geboren, Um, wie die Jahre, zu vergehn? Die Straßen ähneln Korridoren, In denen Türen offen stehn.
Die Stunden machen ihre Runde. Wir folgen ihnen Schritt für Schritt Und gehen langsam vor die Hunde. Man führt uns hin! Wir laufen mit.
Man grüßt die Welt mit kalten Mienen. Das Lächeln ist nicht ernst gemeint. Es wehen bunte Laubgardinen. Nun regnet’s gar. Der Himmel weint.
Man ist allein und wird es bleiben. Ruth ist verreist, und der Verkehr Beschränkt sich bloß aufs Briefeschreiben. Die Liebe ist schon lange her!
Das Spiel ist ganz und gar verloren. Und dennoch wird es weitergehn. Die Straßen ähneln Korridoren, In denen Türen offen stehn …
Ihr und die Dummheit zieht in Viererreihen In die Kasernen der Vergangenheit. Glaubt nicht, dass wir uns wundern, wenn ihr schreit. Denn was ihr denkt und tut, das ist zum Schreien.
Ihr kommt daher und lasst die Seele kochen. Die Seele kocht und die Vernunft erfriert. Ihr liebt das Leben erst, wenn ihr marschiert, Weil dann gesungen wird und nicht gesprochen.
Ihr liebt die Leute, die beim Töten sterben. Und Helden nennt ihr sie nach altem Brauch; denn ihr seid dumm und böse seid ihr auch. Wer dumm und böse ist, rennt ins Verderben.
Ihr liebt den Hass und wollt die Welt dran messen. Ihr werft dem Tier im Menschen Futter hin, Damit es wächst, das Tier tief in euch drin! Das Tier im Menschen soll den Menschen fressen.
Ihr möchtet auf den Trümmern Rüben bauen Und Kirchen und Kasernen wie noch nie. Ihr sehnt euch heim zur alten Dynastie Und möchtet Fideikommiss Brot kauen.
Ihr wollt die Uhrenzeiger rückwärts drehen Und glaubt, das ändere der Zeiten Lauf. Dreht an der Uhr! Die Zeit hält niemand auf! Nur eure Uhr wird nicht mehr richtig gehen.
Wie ihr’s euch träumt, wird Deutschland nicht erwachen. Denn ihr seid dumm und seid nicht auserwählt. Die Zeit wird kommen, da man sich erzählt: Mit diesen Leuten war kein Staat zu machen!
Nun hebt das Jahr die Sense hoch und mäht die Sommertage wie ein Bauer. Wer sät, muss mähen. Und wer mäht, muss säen. Nichts bleibt, mein Herz. Und alles ist von Dauer.
Stockrosen stehen hinterm Zaun in ihren alten, brüchigseidnen Trachten. Die Sonnenblumen, üppig, blond und braun, mit Schleiern vorm Gesicht, schaun aus wie Frau’n, die eine Reise in die Hauptstadt machten.
Wann reisten sie? Bei Tage kaum. Stets leuchteten sie golden am Stakete. Wann reisten sie? Vielleicht im Traum? Nachts, als der Duft vom Lindenbaum an ihnen abschiedssüß vorüberwehte?
In Büchern liest man groß und breit, selbst das Unendliche sei nicht unendlich. Man dreht und wendet Raum und Zeit. Man ist gescheiter als gescheit, – das Unverständliche bleibt unverständlich.
Ein Erntewagen schwankt durchs Feld. Im Garten riecht’s nach Minze und Kamille. Man sieht die Hitze. Und man hört die Stille. Wie klein ist heut die ganze Welt! Wie groß und grenzenlos ist die Idylle …
Nichts bleibt, mein Herz. Bald sagt der Tag Gutnacht. Sternschnuppen fallen dann, silbern und sacht, ins Irgendwo, wie Tränen ohne Trauer. Dann wünsche Deinen Wunsch, doch gib gut acht! Nichts bleibt, mein Herz. Und alles ist von Dauer.
Die Trauer kommt und geht ganz ohne Grund. Und man ist angefüllt mit nichts als Leere. Man ist nicht krank. Und ist auch nicht gesund. Es ist, also ob die Seele unwohl wäre.
Vielleicht hat man sich das Gemüt verrenkt? Die Sterne ähneln plötzlich Sommersprossen. Man ist nicht krank. Man fühlt sich nur gekränkt. Und hält, was es auch sei, für ausgeschlossen.
Man weiß, die Trauer ist sehr bald behoben. Sie schwand noch jedes Mal, so oft sie kam. Mal ist man unten, und mal ist man oben. Die Seelen werden immer wieder zahm.
Einsam bist du sehr alleine. Aus der Wanduhr tropft die Zeit. Stehst am Fenster. Starrst auf Steine. Träumst von Liebe. Glaubst an keine. Kennst das Leben. Weißt Bescheid. Einsam bist du sehr alleine – und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.
Wünsche gehen auf die Freite. Glück ist ein verhexter Ort. Kommt dir nahe. Weicht zur Seite. Sucht vor Suchenden das Weite.
Ist nie hier. Ist immer dort. Stehst am Fenster. Starrst auf Steine. Sehnsucht krallt sich in dein Kleid. Einsam bist du sehr alleine – und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.
Schenkst dich hin. Mit Haut und Haaren. Magst nicht bleiben, wer du bist. Liebe treibt die Welt zu Paaren. Wirst getrieben. Musst erfahren, dass es nicht die Liebe ist … Bist sogar im Kuss alleine. Aus der Wanduhr tropft die Zeit. Gehst ans Fenster. Starrst auf Steine. Brauchtest Liebe. Findest keine. Träumst vom Glück. Und lebst im Leid. Einsam bist du sehr alleine – und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit (1947)
Am zwölften Juli des Jahres 2003 lief folgender Funkspruch rund um die Erde: dass ein Bombengeschwader der Luftpolizei die gesamte Menschheit ausrotten werde.
Die Weltregierung, so wurde erklärt, stelle fest, dass der Plan, endgültig Frieden zu stiften, sich gar nicht anders verwirklichen lässt, als alle Beteiligten zu vergiften.
Zu fliehen, wurde erklärt, habe keinen Zweck, Nicht eine Seele dürfe am Leben bleiben. Das neue Giftgas krieche in jedes Versteck, man habe nicht einmal nötig, sich selbst zu entleiben.
Am 13. Juli flogen von Boston eintausend mit Gas und Bazillen beladene Flugzeuge fort und vollbrachten, rund um den Globus sausend, den von der Weltregierung befohlenen Mord.
Die Menschen krochen winselnd unter die Betten. Sie stürzten in ihre Keller und in den Wald. Das Gift hing gelb wie Wolken über den Städten. Millionen Leichen lagen auf dem Asphalt.
Jeder dachte, er könne dem Tod entgehen, keiner entging dem Tod und die Welt wurde leer. Das Gift war überall, es schlich wie auf Zehen. Es lief die Wüsten entlang, und es schwamm übers Meer.
Die Menschen lagen gebündelt wie faulende Garben. Andere hingen wie Puppen zum Fenster heraus. Die Tiere im Zoo schrien schrecklich, bevor sie starben. Und langsam löschten die großen Hochöfen aus.
Dampfer schwankten im Meer, beladen mit Toten. Und weder Weinen noch Lachen war mehr auf der Welt. Die Flugzeuge irrten mit tausend toten Piloten, unter dem Himmel und sanken brennend ins Feld.
Jetzt hatte die Menschheit endlich erreicht, was sie wollte. Zwar war die Methode nicht ausgesprochen human. Die Erde war aber endlich still und zufrieden und rollte völlig beruhigt ihre bekannte elliptische Bahn.
Das Wetter ist recht gut geraten. Der Kirchturm träumt vom lieben Gott. Die Stadt riecht ganz und gar nach Braten und auch ein bisschen nach Kompott.
Am Sonntag darf man lange schlafen. Die Gassen sind so gut wie leer. Zwei alte Tanten, die sich trafen, bestreiten rüstig den Verkehr.
Sie führen wieder mal die alten Gespräche, denn das hält gesund. Die Fenster gähnen sanft und halten sich die Gardinen vor den Mund.
Der neue Herr Provisor lauert auf sein gestärktes Oberhemd. Er flucht, weil es so lange dauert. Man merkt daran: Er ist hier fremd.
Er will den Gottesdienst besuchen, denn das erheischt die Tradition. Die Stadt ist klein. Man soll nicht fluchen, Pauline bringt das Hemd ja schon!
Die Stunden machen kleine Schritte und heben ihre Füße kaum. Die Langeweile macht Visite. Die Tanten flüstern über Dritte. Und drüben, auf des Marktes Mitte, schnarcht leise der Kastanienbaum.
Erich Kästner (1899-1974)
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