Blick zurück

Meine Gedanken, sie laufen weit fort
von der Gegenwart getrieben,
fern, so fern ist mein liebster Ort,
gestorben all meine Lieben.

Auch Vater, der in mir Übles sah,
das er lieblos großziehen musste,
ist in den Gedanken an gestern da;
wie durch mich seine Ablehnung sprosste.

Mutter seh ich am Bügeltisch,
am Herd, an der Nähmaschine;
von ihr lernte ich vieles und sicherlich,
wie man den Gatten bediente.

Auch das Ertragen lernte ich hier,
wenn Vater mich schlug, bis aufs Blut.
War doch nur wie ein geduldetes Tier,
und das nur, wenn es wortlos ertrug.

In der Elternschule hab ich gelernt,
den Männern das Recht zu gewähren,
„Me too“ von heute lag damals fern,
Frau war schuld an des Mannes Begehren.

Für Minirock und Make-up der Zeit
habe ich Prügel und Schelte bezogen.
Erstes Schminkzeug und das ‚schreckliche Kleid‘
sind in den Müll geflogen.

So kämpfte ich dort wie ein Pionier,
doch die Zeit schien so lang und die Jahre.
Es trieb mich die Angst um mein Leben von hier,
was mich vor dem Hass meines Vaters bewahrte.

Ein letztes Mal Vater beim Mittagschlaf sehen,
um dann eilig davonzuschleichen.
Ich seh mich noch zitternd am Hoftor stehen,
um vom Ort meiner Eltern zu weichen.
Ich – 15 Jahre alt (1968)

Autor: Gisela

Bitte auf meiner Seite "Über mich" nachlesen.

14 Gedanken zu „Blick zurück“

    1. Als kleines Kind kann man die Welt nicht verstehen, wenn sie garstig und gemein zu einem ist. Ich habe leider als Kind lernen müssen, wie ungerecht und grausam die Erwachsenenwelt sein kann. Ja, dieses schwere Päckchen hat mich stark gemacht. Danke für Deinen Kommentar, liebe Steph.

  1. Liebe. Gisela, deine Zeilen haben mich erschüttert – so viel Leid, das du ertragen musstest! Es ist ein Wunder, dass daraus diese mutige, kluge Frau mit einer so schönen Seele geworden ist! 💗 Ich wünsche dir von Herzen alles Liebe und weiterhin viel Kraft. Herzlichst, Elisa

    1. An der Toilette meiner Kneipe hing ein Schild, darauf stand: Freuen Sie sich nicht zu früh, das dicke Ende kommt noch!
      Ja, so war es dann auch, als ich mich aus dem Elternhaus entfernte. Ich war naiv, unerfahren und leichtgläubig. Diese Eigenschaften, zusammen mit einer großen Portion fehlendem Selbstbewusstsein, haben es mir schwer gemacht. Aber ich bin dadurch gewachsen und dankbar für jede Erkenntnis. Danke für Deine Wünsche und alles Liebe auch für Dich, Gisela

    1. Womöglich bin ich deshalb in der Lage nicht nur auf eine heile Welt zu schauen, sondern blicke auch dahinter. Dankbar bin ich für alles, was mir Erkenntnis bringt. Danke und liebe Grüße zurück!

    1. Damals begann meine Sturm- und Drangzeit auf der Suche nach dem Erwachsenwerden. Es gab keine Gebrauchsanweisung und keine Landkarte. Trotzdem ist man irgendwie durch diese lieblose Zeit gekommen.

    1. Objektiv gesehen ist es falsch gelaufen. Aber letztendlich gibt diese Einsicht den Blick auf das Richtige frei. Man kann diese Erlebnisse nicht abschütteln und vergessen. Ob man will oder nicht, man formt das Leben danach, bzw. das was war formte mein Leben. Gut ist, dass ich nicht nachtragend bin. Ich habe versucht, ihn zu verstehen: Er war mit 15 Jahren im Krieg und dann in Kriegsgefangenschaft. Vielleicht hat er seiner Mutter nie verziehen, dass sie ihn nicht beschützt hat. Wer weiß. Sein Vater war bei der SS.

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