Kleines Solo

Carl Vilhelm Holsøe (1863-1935)

Einsam bist du sehr alleine.
Aus der Wanduhr tropft die Zeit.
Stehst am Fenster. Starrst auf Steine.
Träumst von Liebe. Glaubst an keine. Kennst das Leben.
Weißt Bescheid. Einsam bist du sehr alleine –
und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.

Wünsche gehen auf die Freite.
Glück ist ein verhexter Ort.
Kommt dir nahe. Weicht zur Seite.
Sucht vor Suchenden das Weite.

Ist nie hier. Ist immer dort.
Stehst am Fenster. Starrst auf Steine.
Sehnsucht krallt sich in dein Kleid.
Einsam bist du sehr alleine –
und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.

Schenkst dich hin. Mit Haut und Haaren.
Magst nicht bleiben, wer du bist.
Liebe treibt die Welt zu Paaren.
Wirst getrieben. Musst erfahren,
dass es nicht die Liebe ist …
Bist sogar im Kuss alleine.
Aus der Wanduhr tropft die Zeit.
Gehst ans Fenster. Starrst auf Steine.
Brauchtest Liebe. Findest keine.
Träumst vom Glück. Und lebst im Leid.
Einsam bist du sehr alleine –
und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit
(1947)

Erich Kästner (1899-1974)

Autor: Gisela

Bitte auf meiner Seite "Über mich" nachlesen.

10 Gedanken zu „Kleines Solo“

  1. Erich Kästner hat einen Zustand beschrieben, der sicherlich auf sehr viele Menschen zutrifft. Wenn das Feuer der ersten Verliebtheit so allmählich verlöscht und die Gleichgültigkeit für den Partner beginnt. Das ist doch einfach schrecklich! Dabei war es doch mal Liebe!

    Besonders aber hat mich folgender Satz berührt :
    „Einsam bist du sehr alleine –und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit!“
    Was für ein schrecklicher Zustand. Zusammen sein und sich nichts mehr zu sagen zu haben.
    Für mich sind das Menschen mit verkümmerten Seelen!
    LG Lilo

    1. Liebe Lilo, dieser Zustand ist kaum abzuwenden, wenn in einer Ehe Kinder vorhanden sind und man nicht gehen kann, weil dann alles verloren ist. Ich kenne den Zustand, den Kästner beschreibt, nur zu gut. Ja, das ist schrecklich! Genauso schrecklich ist es, wenn man sich auch unter vielen Menschen alleine fühlt. Auch diese Situation kenne ich. Deshalb habe ich wenig Kontakt und bin lieber alleine. Als verkümmerte Seele habe ich mich nie gefühlt – im Gegenteil. Für mich ist das Alleinsein wie eine Befreiung und das in die Stille gehn, wie ein Batterie aufladen. LG Gisela

      1. Liebe Gisela,
        es tut mir sehr leid für dich. Doch wenn es dein für dich gewählter Weg ist, dann muss dem schon etwas sehr Schlimmes voraus gegangen sein. Es liegt mir fern weiter in dich zu dringen und dir damit eventuell zusätzlichen Schmerz zu bereiten. Also belassen wir es dabei und nochmals „Sorry“!
        LG Lilo

        1. Lilo, danke für Dein Mitgefühl. Du musst Dich nicht entschuldigen. Schlimmes ist vorausgegangen – ein ganzes Leben lang. Ich musste mich damit arrangieren. Manches kann man nie vergessen, wohl aber verzeihen. Wenn man vergibt, ist das wie eine Befreiung. Den frühen Tod meines jüngsten Sohnes kann ich nicht ändern, obwohl ich täglich daran denke. Aber er lebt in mir weiter. Es ist alles gut! Ich mache das Beste daraus. LG Gisela

    2. Zustand „JA“, verkümmerte Seelen „NEIN“
      Ich denke das ist eine Lebensform mit der jeder auf seine Art und Weise zurechtkommen muss!
      Ich lebe auch in einer sogenannten „zweisamen“ Einsamkeit… aber ich habe die Gründe hinterfragt, sie erkannt und angenommen…
      LG

      1. Lieber Rolf, das muss wirklich jeder für sich entscheiden. Ich könnte das nicht. Männer ist die Liebe zur Bequemlichkeit dann doch meist wichtiger, als geistige Nähe und das, was man hier Liebe nennt. Sie bleiben bei ihren Frauen, weil sie ihre hausfraulichen Fähigkeiten lieben. Ich möchte eine solche Frau nicht sein, nur um einen Mann im Haus zu haben. Dann bin ich lieber alleine und zufrieden. LG

        1. Das ist in meinem Fall aber ganz anders… bei mir steht Verzicht an erster Stelle (ja, auch wir Männer können das)… alles andere ist Menschlichkeit.
          Meine Frau ist krank… nicht nur körperlich (!) Soll ich nun nach so vielen Ehejahren sagen: „Dankeschön, das wars, der Mohr hat seine Schuldigkeit getan!“ Nein… ich halte zu ihr, zeige ihr, dass sie nicht alleine ist, obwohl, (so denke ich) dass das mit Liebe nichts zu tun hat. Der Zug fährt auf einer anderen Schiene und Gleis!
          Und was den Haushalt betrifft… alles eine Erziehungssache!?
          LG 🤔

          1. Rolf, ich ziehe wirklich meinen Hut vor Dir. Das berührt mich sehr. Ich verstehe Dich. Wenn man so lange verheiratet ist, trennt man sich nicht, auch wenn es schwer fällt. Ich denke schon, dass das Liebe ist. Du bist über Dich hinausgewachsen und hast Deine eigenen Bedürfnisse vernachlässigt. Darf ich Dich umarmen? Ich würde es jetzt gerne. 🥰👼

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