See der Erinnerungen

Eugen Taube (1860-1913)
Was wir als ‚überstanden‘ wähnen,
treibt noch im tiefen See „Erinnerung“,
wir stehn am Ufer, fassungslos und stumm,
füllen das Nass mit neuen Tränen.

Ein Teil von uns liegt auf dem Grund,
Vergangenheit beschwert, wie Stein,
bald gleiten wir, zu unbekannter Stund‘,
ganz tief in seine Fluten ein.

Vergesslich ist der Mensch im schnellen Schritt,
die Zeit wirft Schatten, malt ein dunkles Bild.
Wir fühlen das, was einst hinunterglitt,
Gedanken voll mit Hoffnung, Schmerz erfüllt. 

Wir gehn den Kreuzweg der Natur, allein;
die Tiefen, in uns selbst bezwungen,
zurückgerufen werden wir einst sein -
in neue Höhen ist der Geist gedrungen.

Erinnerung - ein stilles Lebensgrab.
Der See liegt ruhig im mondenmilden Schein;
sein silbrig‘ Band schmückt Ort und Wanderstab,
zeigt, was es heißt, Träne im See zu sein.