Schon sechs Jahre sind vorbeigegangen,
seit ich dich zum letzten Mal gesehen;
nur gedanklich kann ich heut zu dir gelangen,
bist längst abgerufen, musstest gehen.
Hatte angstvoll meinen Blick auf dich gerichtet,
als Kind verehrt, dein Handwerk und Geschick.
Stets warst du dem Job im Werk verpflichtet,
der Wohlstand brachte, kein Familienglück.
Warst einst in eine Welt hineingeboren,
die hasserfüllt, barbarisch, voller Leid.
Kanntest nur das. - Vom Kriege auserkoren,
fiel dann dein Vater, führertreu, in dieser Zeit.
Du warst ein Junge von erst fünfzehn Jahren,
da rief man dich zum Dienen in den Krieg;
dort fing man dich, in seinen letzten Tagen,
in Frankreichs Lager gingst du, ohne Sieg.
Als du heimkamst, war deine Welt verdorben,
der alte Sinn geblieben, doch er schwieg;
der Gleichgesinnten Hand hast du erworben,
die dich dann liebend in die Ehe trieb.
Kinder mussten sein – so war es üblich;
allen zeigen, dass man’s machen kann.
Das Erziehen, lästig und verdrießlich,
man schlägt sie lieber, dann und wann.
Im bürgerlichen Haus warst du Tyrann,
der Dominanz verpflichtet, Ehefrau und Kinder.
Nicht in die Augen schauen, galt es dann,
wie einem Hund, der beißt sonst seinen Schinder.
Du warst einst stark, doch Alter brachte Schwäche
und eine neue Gattin - das, was war, zertrümmert;
als wenn nur noch dein Schatten zu mir spräche,
unter Tränen: „Hab mich nie um dich gekümmert!“
Hab längst vergeben, doch vergaß ich’s nie,
hat viele Lehren mit auf meinen Weg gegeben.
Bin ich ein Stück weit nicht auch so wie sie?
So viele Fragezeichen stehn in meinem Leben.
Foto: Almuth Köhler, Mein Vater backte die leckersten Torten
Familie, in die hineingeboren, ich mich wie ausgeliefert sah. Als Baby, neu und unverdorben, nahm ich den Vater ‚böse‘ wahr.
Sein Schreien, aggressiv im Tone, sein Schlagen, wenn ein Wort nicht passte, bis ich dem Männerbild zum Hohne ein Vater-Abziehbild verpasste.
Ich musste ‚Bitte, Bitte‘ machen, wenn Vater was gewähren sollte. Ins Wohnzimmer geschlichen bin ich, damit der Vater mir nicht grollte.
Foto: Almuth Köhler – Aus Familienbeständen
Und meine Mutter stand ganz stumm, wenn voller Furcht die Tränen rannen. Was Vater tat, schien ihr nicht dumm, ich sollte Folgsamkeit erlangen.
Und jede Träne war sein Ziel, er hasste meine jungen Schwächen. Für ihn war es ein ‚schwarzes‘ Spiel, mich bei Missfallen zu verdreschen.
Foto: Almuth Köhler – Aus Familienbeständen
Ich liebte ihn, trotz alledem. Er war mein ‚böser Friederich‘*. Erst spät im Alter konnt‘ ich sehn, weshalb am Leben man zerbricht.
So lieblos, wie man ihn erzog, gab er‘s cholerisch mir zurück. Dass man mit falschen Werten wog, ist der Gewissheit schweres Stück.
*aus dem „Struwwelpeter“
Anmerkung: Mein Vater wurde mit 15 Jahren zum Militär einberufen. Sämtliche Kameraden sind damals in Stalingrad gefallen. Er war zwei Jahre in französischer Kriegsgefangenschaft. Solch eine Erfahrung bleibt nicht ohne Folgen.
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