Am Abend

Hans Andersen Brendekilde (1857-1942)

Wenn einst verrauscht des Lebens wirr Getön,
lass mich nicht einsam in den Abend gehn!

Ein Plätzchen vor der Tür! Die Luft so lind,
und neben mir ein treues Menschenkind,
das freundlich mit mir geht die alten Wege,
ein wenig mit mir weint, ein wenig lacht,
wie alte Leute tun, – ganz kurz, ganz sacht! –

Im Nachbarhof, nicht ferne, geht die Säge
mit scharfem Schnitt durch einen Baum;
wir schau’n uns an und nicken wie im Traum:
„Ja, ja, – so geht’s!“
Stumm tastet Hand nach Hand,
mit leisen Schritten kommt die Nacht ins Land,
wir merken’s kaum. –

Wenn einst verrauscht des Lebens wirr Getön,
lass mich nicht einsam in den Abend gehen!

Frieda Jung (1865-1929)
Ostpreußische Heimatdichterin
geboren im Landkreis Gumbinnen

Gebet

Kurische Nehrung – Hans Kallmeyer 1882-1961

Herr, gib uns helle Augen
Die Schönheit der Welt zu sehn!
Herr, gib uns feine Ohren,
Dein Rufen zu verstehn.
Und weiche, linde Hände
Für unserer Brüder Leid
Und klingende Glockenworte
Für unsre wirre Zeit!
Herr, gib uns rasche Füße
Nach unserer Arbeitsstatt –
Und eine stille Seele,
Die deinen Frieden hat!

Frieda Jung (1865-1929)
Ostpreußische Heimatdichterin
geboren im Landkreis Gumbinnen