Die Tür‘ fällt leis‘ ins Schloss!
Du musst verlassen deines Wirkens Stätte.
So, wie ein langer Regen sich ergoss
und dann versickert tief im Erdenbette,
so flossen deine Tage voller Schaffen,
doch langsam wich die Kraft aus deinen Zellen,
vorbei der Ansporn, das Zusammenraffen,
der Zahn der Zeit, er nagt an allen Stellen.
Ein letzter Blick fällt auf das Altvertraute,
ein tiefer Seufzer den Erinnerungen.
Der mit Elan einst Zukunftsschlösser baute,
ist ohne Ziele, hoffnungslos durchdrungen.
Die Wehmut lenkt die Schwere deiner Schritte,
nichts hält dich, niemand der dein Dasein wandelt;
was du einst liebtest und dich hielt in deiner Mitte,
ist doch längst fort, vorbei und abgehandelt.
Hältst Zwiegespräche mit den Unsichtbaren,
die schon vor langer Zeit die Welt verließen.
Hilflosigkeit wächst mit den täglichen Gefahren
und tückisch scheint der Weg unter den Füßen.
So gehst du hin in eine Heimstatt, die man wählte,
und überschaubar werden deine letzten Jahre.
Am Ort, wo die Vergessenheits-Gequälten
vergessen werden, steht bereits die Bahre.
Wenn Menschenhände dich längst losgelassen,
du mit Erinnerungen nur im Damals lebst,
bleibt dir nur Gott – er wird dich nicht verlassen,
wenn du auf deine letzte Reise gehst.
Wie vergänglich doch die Schönheit,
geht mit jedem Tag ein Stück,
und die Weisheit folgt der Jugend,
fort sind Liebreiz, Frühlingsglück.
Wenn der Herbst des Lebens kommt,
scheinen Uhren schnell zu gehen;
Leben treibt zum Horizont,
und das Alter bleibt nicht stehen.
Einmal mich in Schönheit denken,
unbekümmert und vertrauend,
ahnungslos den Schritt zu lenken,
tausend Leben überdauernd.
Kommt kein Frühlingstag mir wieder,
lenkt Erkenntnis meinen Schritt.
Auch, wenn alt und müd die Glieder -
Weisheit ist des Alters Glück.
Wenn stiller Tag Erinnerungen findet, der Jahre, die vorüber, eilt die Zeit. Wie eine Spule, die sich schneller windet, wenn nur noch wenig abzuspulen bleibt.
Nur noch ein kleines Bisschen! Die Spirale, sie dreht fast unsichtbar im raschen Kreis. Die Optik täuscht. Kurz steht es vorm Finale, in dem der Spule letzter Inhalt reißt.
Ein Schattenspiel – es endet im Verblassen, macht manche dunklen Töne hell und licht. Durch Nebel geht das irdische Verlassen, wenn Sonne durch die Himmelsfirnis bricht.
So duftig trägt der Wolkenzug das Ende, wie Zuckerwatte, süß, in höchstem Glück, und die Spirale zieht schon längst in Wende, ein neues Band – ein neues Lebensstück.
Irdische und himmlische Liebe – FRANZ VON LENBACH (1836 ‐ 1904)
Vorbei die Zeit des Gegenüberstehens, verborgene Blicke des Vorübergehens, ein Ahnenlassen, wie das Herz empfindet, voll Scham erröten, völlig unbegründet, verlegen dann die Hand zum Gruße reichen, ungern von der geliebten Seite weichen.
Die Jugend ist vorbei, ist abgehandelt, kein Trieb, der meine Sinne wandelt. Mit alter Seele frei von Leidenschaft, aus tiefstem Herzen manches Mal gedacht: Befreiung heißt Verzicht und nicht Verbot, ist die Gewissheit vor dem Abendrot.
Liebt man nicht nur das Bild im Spiegel, sein selbst kreiertes Gütesiegel?! Kann Unbekanntes Seligkeiten bringen, das nicht gestaltet ist nach eignen Dingen? Die rosarote Blindheit der Gedanken eröffnet die im Alter auferlegten Schranken.
Doch gab ich meinen Kräften neuen Sinn, damit ich hier auf Erden nah dem Himmel bin.
Ein alter Baum, der sich gen Himmel streckt, zu dessen Krone Zweig an Zweig sich binde, der unter dunkel, harter Borkenrinde die Ringe seiner Jahre wohl versteckt.
In hundert Jahren wird er noch hier stehen, wenn sich die Zeit schon lang gedreht und neuer Geist durch Land und Köpfe weht, hat er so manchen Sturm gesehen.
Sein Laub singt uns im Wind die alte Weisen, von Liebesglück und Leid, das er geschaut, und nur ein winzig Herz, geritzt in seine Haut, wird mit ihm in die ferne Zukunft reisen.
Wenn einst verrauscht des Lebens wirr Getön, lass mich nicht einsam in den Abend gehn!
Ein Plätzchen vor der Tür! Die Luft so lind, und neben mir ein treues Menschenkind, das freundlich mit mir geht die alten Wege, ein wenig mit mir weint, ein wenig lacht, wie alte Leute tun, – ganz kurz, ganz sacht! –
Im Nachbarhof, nicht ferne, geht die Säge mit scharfem Schnitt durch einen Baum; wir schau’n uns an und nicken wie im Traum: „Ja, ja, – so geht’s!“ Stumm tastet Hand nach Hand, mit leisen Schritten kommt die Nacht ins Land, wir merken’s kaum. –
Wenn einst verrauscht des Lebens wirr Getön, lass mich nicht einsam in den Abend gehen!
Frieda Jung (1865-1929) Ostpreußische Heimatdichterin geboren im Landkreis Gumbinnen
The Mirrow – Sir Frank Francis Bernard Dicksee (1853-1928)
Oh, du Ergraute, wie fremd wird mir dein Bild, das Altvertraute, und wie erscheint es mir so unbekannt?
Wo gestern noch der späte Sommer wob mein Lebensband, dort spüre ich den Herbst nun leise schleichen und meinem unbeschwerten Ausseh’n mussten Falten weichen.
Noch gestern blickte ich in junge Augen, doch heute schau’n sie müde, voller Sorgen, spür’ ich die Zeit an meinen Lebenskräften saugen, frag’ ich dich Spiegel, was zeigst du mir morgen?
Fantasiere von Menschen, die mit Smartphone vorüberstreben; die wortlosen Alltagsgespenster, geistern mit Ego in Händen durchs Leben.
Am Fenster sehen sie mich nicht. Bin alt und dadurch unsichtbar… eine von gestern, kein Werbegesicht. Doch ohne Alte wären sie nicht da.
Mich ruft niemand an! Unruhe wälzt sich durch Stunden. Das Ticken der Uhr ist zeitlos, verschwunden.
Wieder Vollmond mit schlaflosen Nächten… als wenn Träume das längst Verlor’ne wiederbrächten.
Jemand ist da! Bin im Traum nicht allein. Ich seh‘ mich im Dunkel laufen und laufen: die Stadt, ihr Fremdsein, mein Untertauchen.
Begleitet von einem Scherenschnitt-Mann, dessen wahres Gesicht ich nie sehen kann.
Er gibt sich vertraut, so seelenverwandt. Wenn die Ruhe kommt, nimmt er meine Hand.
Er redet mit mir, wo sonst Schweigen ist, und wenn ich weine, umarmt er mich.
Treibt gedanklich mit mir durch die nächtliche Stadt. Teilt das, was vom Fernsehen übrig ist und sieht sich an Weltlichem satt.
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