Die Stirn bekränzt mit roten Berberitzen steht nun der Herbst am Stoppelfeld, in klarer Luft die weißen Fäden blitzen, in Gold und Purpur glüht die Welt.
Ich seh hinaus und hör den Herbstwind sausen, vor meinem Fenster nickt der wilde Wein, von fernen Ostseewellen kommt ein Brausen und singt die letzten Rosen ein.
Ein reifer roter Apfel fällt zur Erde, ein später Falter sich darüber wiegt — ich fühle, wie ich still und ruhig werde, und dieses Jahres Gram verfliegt.
Im Namen der vielen Menschen, die nach Vertreibung aus Österreich dort Heimat fanden und im letzten Jahrhundert wieder das Land verlassen mussten, habe ich dies Gedicht auch im Andenken an Immanuel Kant im Jahre 2004 verfasst. Obwohl ich nie dort gewesen bin, habe ich mich aufgrund der Erzählungen meiner Oma immer verbunden gefühlt. Geschichten mysteriöser Vorkommnisse einer kinderreichen Bauernfamilie, mit einem Hauch Melancholie behaftet, der immer noch durch meine Tage schwebt.
Ostpreußen
Östlicher Geist lässt mich nicht ruhn, verwurzelt tief in mir, erfüllt mein Herz, und als entfernte sich von dort mein Tun, trieb all’ mein Denken dennoch heimatwärts.
Konnte nicht lassen von den alten Plätzen, rief doch die Heimat tief in meiner Brust. Melancholie spricht hier aus diesen Sätzen, und weckt in mir die alte Sinneslust.
Du fernes Land, vertraut war mir dein Duft, in großer Weite bis zum Horizont der Blick, herb war dein Klima, rau die Küstenluft, gern denke ich an Königsberg zurück.
Wo dunkle Wälder sich in lichten Breiten erstrecken bis zum Memel Strand, wo Störche stolz durch weite Sümpfe schreiten, dort treibt der kalte Wind durchs flache Land.
Du, meines Wirkens Stätte, ach, so fern, längst wächst das Gras über die alten Mauern, wird die vergang’ne Zeit in meiner Seele Kern doch alle Ewigkeiten überdauern.
Volks- und Antikriegslied aus Westpreußen, Ostpreußen und dem Memelland.
Interpreten: Zupfgeigenhansel – Erinnerungskultur der Heimatvertriebenen
Zogen einst fünf wilde Schwäne,
Schwäne leuchtend weiß und schön.
Sing, sing, was geschah?
Keiner ward mehr gesehen, ja.
Sing, sing, was geschah?
Keiner ward mehr gesehn.
Wuchsen einst fünf junge Birken
Grün und frisch an Bachesrand
Sing, sing, was geschah?
Keine in Blüten stand, ja.
Sing, sing, was geschah?
Keine in Blüten stand.
Zogen einst fünf junge Burschen
Stolz und kühn zum Kampf hinaus.
Sing, sing, was geschah?
Keiner mehr kehrt nach Haus, ja.
Sing, sing, was geschah?
Keiner mehr kehrt nach Haus.
Wuchsen einst fünf junge Mädchen
Schlank und schön am Memelstrand.
Sing, sing, was geschah?
Keins den Brautkranz wand, ja.
Sing, sing, was geschah?
Keins den Brautkranz wand.
von Agnes Miegel (1879-1964) – Erinnerungen an Ostpreußen
Es war ein Land...
O kalt weht der Wind über leeres Land,
O leichter weht Asche als Staub und Sand!
Und die Nessel wächst hoch an geborstner Wand,
Aber höher die Distel am Ackerrand!
Es war ein Land, - wo bliebst du, Zeit?
Da wogte der Roggen wie See so weit,
Da klang aus den Erlen der Sprosser Singen
Wenn Herde und Fohlen zur Tränke gingen,
Hof auf, Hof ab, wie ein Herz so sacht,
Klang das Klopfen der Sensen in heller Nacht,
Und Heukahn an Heukahn lag still auf dem Strom
Und geborgen schlief Stadt und Ordensdom, -
In der hellen Nacht, - der Johannisnacht!
Es war ein Land, - im Abendbrand
Garbe an Garbe im Felde stand.
Hügel auf, Hügel ab, bis zum Hünengrab
Standen die Hocken, brotduftend und hoch,
Und drüber der Storch seine Kreise zog.
So blau war die See, so weiß der Strand
Und mohnrot der Mond am Waldesrand
In der warmen Nacht, - der Erntenacht!
Es war ein Land, - der Nebel zog
wie Spinnweb, das um den Wacholder flog,
Die Birken leuchteten weiß und golden,
und korallen die schweren Quitschendolden,
Die Eicheln knirschten bei deinem Gehn
In den harten Furchen der Alleen.
Ein Stern mir blinkte, fern und allein,
Und Du hörtest im Forst die Hirsche schrein
In der kalten Nacht, - der Septembernacht!
Es war ein Land, - der Ostwind pfiff,
Da lag es still wie im Eis das Schiff,
Wie Daunen deckte der Schnee die Saat
Und deckte des Elchs verschwiegenen Pfad.
Grau fror die See an vereister Buhne
Und im Haff kam Fischer und Fisch zur Wuhne.
Unter warmem Dach aus Stroh und Ried
Klappte der Webstuhl zu altem Lied:
„Wi beid’, wi sönn noch jong on stark,
wie nähr'n ons möt eigne Hände.-“
Es war ein Land, - wir liebten dies Land, -
Aber Grauen sank drüber wie Dünensand.
Verweht wie im Bruch des Elches Spur
Ist die Fährte von Mensch und Kreatur, -
Sie erstarrten im Schnee, sie verglühten im Brand,
Sie verdarben elend im Feindesland,
Sie liegen tief auf der Ostsee Grund,
Flut wäscht ihr Gebein in Bucht und Sund,
Sie schlafen in Jütlands sandigem Schoß, -
Und wir Letzten treiben heimatlos,
Tang nach dem Sturm, Herbstlaub im Wind, -
Vater, Du weißt, wie einsam wir sind!
Nie zu klagen war unsre Art,
Du gabst und Du nahmst, - doch Dein Joch drückt hart!
Vergib, wenn das Herz, das sich Dir ergibt,
Nicht vergisst, was zu sehr es geliebt.
Was Gleichnis uns war – und bleibt im Leid, -
Von Deines Reiches Herrlichkeit.
O kalt weht der Wind über leeres Land,
O leichter weht Asche als Staub und Sand!
Und die Nessel wächst hoch an geborstner Wand,
Aber höher die Distel am Ackerrand!
Die Hunde schlugen an um Mitternacht, bis über ihrem Bellen wild erschrocken des Gutsherrn jüngstes Kind vom Schlaf erwacht, es strich sich aus der Stirn die langen Locken.
Zitternd vor Furcht und Frost hob’s die Gardinen, um nach dem späten Wanderer zu spähn, doch einsam lag der Garten, mondbeschienen, und keine Spur war auf dem Schnee zu sehn.
Die Hunde aber bellten immer noch, und ihre Ketten klirrten. An der Hecke duckte der Tod sich, der vorüberkroch, damit sein Schatten nicht das Kind erschrecke.
Aus seinem weiten weißen Schafspelz stach der Sense Stahl und blitzte aus dem Graben. Das sah die Kleine, die verschlafen sprach: „Da liegt ein Mond im Schnee, den möcht‘ ich haben!“
Herr, gib uns helle Augen Die Schönheit der Welt zu sehn! Herr, gib uns feine Ohren, Dein Rufen zu verstehn. Und weiche, linde Hände Für unserer Brüder Leid Und klingende Glockenworte Für unsre wirre Zeit! Herr, gib uns rasche Füße Nach unserer Arbeitsstatt – Und eine stille Seele, Die deinen Frieden hat!
Frieda Jung(1865-1929) Ostpreußische Heimatdichterin geboren im Landkreis Gumbinnen
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