Erinnerungswelt Weihnachten

Foto: privat – Weihnachten 1956

Das Zimmer roch nach Tannengrün,
am frisch gefällten Nadelholz,
dem, Ständer passend, Maß verliehen,
war es der Eltern Weihnachtsstolz.

Im Glanz der brennend weißen Lichter,
am grünen Tannenbaum geschmückt,
umspielte Freude die Gesichter
und jeder Mensch schien tief beglückt.

Silberne Vögel an den Zweigen
mit mundgeblas’ner Christbaumspitze,
und zwischen dem Lametta Reigen
sah man die Kugeln silbrig blitzen.

Der Raum roch ganz nach Wunderkerzen,
die Funken sprühten, knisternd sachte,
sie brannten sich in Kinderherzen,
wo ihnen lichte Wunder lachten.

Ich mag keine Puppen und Stoff-Bären

Was sonst so grob, schönte die Miene
durch Schokolade, Zuckerzeug.
So kostbar waren Apfelsinen
und Nüsse, die das Auge freut.

Schon lange sind die Kindheitsträume
im Niemandsland Erinnerungswelt.
Nur in den Himmeln wachsen Bäume
mit Weihnachtsschmuck, die niemand fällt.

Foto: privat – Weihnachten 1968

Mein Engel

Patrick Seidel (1981-2019)

Mein Engel warst du – hab‘s zu spät erkannt.
War Mutter dir, musste auch Vater sein.
Dein richt’ger, der im andern Land,
längst fort für immer, er ließ uns allein.

Hab mich bemüht, wie’s jede Mutter tut,
die ihren Schatz behüten will und muss.
Stets Sorge trug ich. War das alles gut?
Es bleiben viele Fragen, nach dem Schluss.

Dein Kindermund – er hat so gern gelacht!
Er war mir alles, doch ich hab geschwiegen.
Dass ich dich liebe, hab ich dir gesagt;
ich wünschte, dich noch mal im Arm zu wiegen.

Stolz war ich, wo die übrigen Familienkreise
nur abwertend über dich sprachen.
Hautfarbe: braun, und nicht wie sie, die Weißen,
als „Niggerkind“, den ‚Stab über dich brachen‘.

Du warst mein Augenstern! Die kleine Welt,
die ich dir bot, war alles, was ich geben konnte.
Ich war allein auf mich gestellt,
als Gott mich mit dir reich belohnte.

Gelassenheit hast du mir vorgelebt,
wo ich die Ordnung suchte und den Halt.
Du bist mir voll des Lebens fort geschwebt,
als man dich rief, ging die Gestalt.

Für welche Schuld ist meines Leidens Lohn?
Ist sie bezahlt? Nun kommt geweiht, die Nacht!
Feiere sie jährlich nur mit dir, mein Sohn.
Schau, viele Kerzlein hab ich schon entfacht.

Und bald hebt an das wundersüße Singen,
wenn Gott es will, nimmt er mich mit.
Hebt mich zu dir, auf unsichtbaren Schwingen…
mein Traumbild flieht…muss noch ein kurzes Stück.

Das letzte Wegstück ist des Kreuzes Sinn,
wird bitter auf mir ruhn – ein schwer Geschick.
Doch Kreuzesträger sein, ist Menschenlohn,
getragenes Leid wird allergrößtes Glück.

Erinnerungen aus der Waschküche

Bild von Prawny auf Pixabay

Ich war noch klein, die Neugier groß,
die Welt lag vor mir, wie ein Garten.
Alles schien bunt und sorgenlos,
als würd‘ das Leben auf mich warten.

Und manchmal gab’s gewisse Tage,
die waren anders, voller Staunen.
Für Frauenhände eine Plage,
sehr arbeitsam und voller Launen.

Der Ofen war Brikett gefeuert,
vorbei die Nacht, es graut der Tag,
als Mutters Waschbrett schon bescheuert,
mit rauer Hand, nach alter Art.

Geschrubbt, gewrungen und geschlagen,
mit blauen Fingern ohne „Ach“,
zog trübe an so manchen Tagen,
der Laugenbrühe Schwaden ab.

In kalten Stunden deckten Stellen
aus Wasserdampf die Kübel zu.
Im Laugen-Sud schwenkte die Welle
im Bottich hin und her im Nu.

Die Dämpfe in des Tages Frühe
rochen nach Soda und nach Seife.
Gespült, gewrungen voller Mühe,
bekamen Kragen ihre Steife.

Mutter und Oma schleppten Körbe
mit frischer Wäsche in den Garten.
Damit was nass, schnell trocken werde,
wo draußen Wind und Sonne warten.

Sterbetage

Die Tage ziehn weiter, das Jahr geht dahin.
Bald kommen die düsteren Tage.
Ende Oktober ist Sterbebeginn,
dann trag ich sie nochmal zu Grabe.

Nur manchmal hab ich am Rand gestanden,
meinen Blick in die Tiefe gewandt,
dort lagen sie, die sich im Sarge befanden.
Haben sie meine Seele gekannt?

Mit ihnen verbrachte ich Lebensstunden,
habe schweigend geweint und gelernt.
Seit Jahren sind sie vom Erdball verschwunden,
der Tod hat sie von mir entfernt.

Es war keine Bindung, keine Liebe zu spüren,
meine Kindheit war tägliches Muss.
Bis heute will sich keine Träne rühren,
trotz des Dramas tragischem Schluss.

Die Gruft meiner Eltern belegt Mutter allein,
Jahrzehnte konnten nicht binden.
Nachdem sie starb, verkaufte Vater das Heim,
konnte noch eine zweite Frau finden.

Auch sie sind schon fort; mein Vater liegt fern.
Im Gedächtnis werden sie nicht schwinden.
Dann starb mein Sohn – verloschen sein Stern,
er ruht nun in friedlichen Gründen.

So weht des Lebens Hauch durch die Zeit,
wie ein Atemzug unserer Erde,
es erntet der Tod, macht den Platz bereit
und spricht sein stilles „Es werde!“

Kosenamen

Als man mir Kosenamen gab,
war ich klein, in Vertrauen gebettet,
doch die Welt ist gemein, das Namensgrab
hat mich nicht vor Schlägen gerettet.

Vater und Mutter erlebte ich staunend,
wie ein Pionier im Niemandsland.
Eine Vielzahl von Leuten, Wörter ‚raunend‘,
trugen Fragen in meinen Kinderverstand.

Der Faktor „Niedlichkeit“ stand fürwahr
meiner Größe ‚ins Gesicht‘ geschrieben.
Ein Pummelchen (mit lockigem Haar),
…ist leider im Alter geblieben.

Ich hatte mir eine Scheinwelt erbaut,
aus Luftschlössern und Träumen,
mein Himmel hat darüber geblaut,
mit Sonnenstrahlen und Bäumen.

Es gab kaum Entbehrung, manch kleines Leid,
es gab Blumen, Tiere und Lieder,
das Leben war Glück und Fröhlichkeit,
die Menschen, ehrlich und bieder.

Meine Welt war komplett ein Zweckverband,
blieb unverstanden im Herzen,
das Leben, in dem ich mich wiederfand,
schien lieblos, voll Seelenschmerzen.

So stürzte es ein, das erträumte Glück,
die vertraute Welt brach zusammen.
Ich begrub unter Trümmern vom Himmel ein Stück,
konnte hier keine Liebe empfangen.

Sommersonnenwende

Hugo Mühlig (1854-1929) – Heuernte am Niederrhein

Die Reife des Sommers bringt Ernte ins Land,
saß als Kind auf dem Heuwagen, oben.
fühlte den Weizen unter der Hand,
seh‘ die Halme im Sommerwind wogen.

Brachten die Schnitter mit Sense und Müh‘
das Getreide in Mühle und Scheuer,
erwartete uns Kinder bereits in der Früh‘,
ein willkommenes Abenteuer.

Hab versucht, auf den Plätzen von einst,
Szenen von damals zu finden,
doch die Gassen sind fremd, die Höfe verwaist,
muss den Strauß aus Erinnerung binden.

Der Schnitter macht vor Menschen nicht Halt –
es sind schon so viele gegangen.
Nach dem Ende des Sommers wird es bald kalt,
das Gedächtnis mit Nebel verhangen.

Ein auf Kopfsteinpflaster endender Klang,
Nachhall gemachter Schritte,
gleicht Sisyphus Arbeit ein Leben lang,
verbleibt im Körper, als Schwere der Tritte.

Schönheit verging, erst heimlich, dann schnell.
Der Frühling ist lang schon Geschichte,
dessen Last trag ich heut noch, wie ein Rebell,
zum Richtplatz… auf dem ich vergebe, nicht richte.

Von oben herab

Sulamith Wülfing (1901-1989)

Die fernen Himmel singen ein Lied von uns’rer Welt
und alle Zauber schwingen herab vom Himmelszelt.

Trägt Harmonie und Segen, kosmisch und ohne Zeit,
macht Irdisches durch Klänge für Künftiges bereit.

Die Töne rieseln leise und fliegen mit dem Wind,
wo jeder voller Anmut uns Linderungen bringt.

Trägt Liebe, Kraft und Freude in unser müdes Herz,
lässt kalte Herzen fühlen, ein Lauschen, himmelwärts.

Wenn Menschenwerk vernichtet auf Nimmerwiederbringen,
ist unentdeckter Klang ein ständiges Besinnen,

ist stetiges Erinnern an Fehler, falsches Handeln;
will sich vom Unbewussten bald zum Bewussten wandeln.

Die Harmonie der Stimmen im Moll- und Dur-Gesang,
ein überirdisch‘ Klingen, ein wahrer Himmelsklang.

Bringt Ursprung meiner Quelle, erinnernd, greifend nah,
ein ständig Neubeginnen, ewig erneuernd, immer da.

Vertraute Töne

Claude Monet (1840-1926)

Es tönt in uns, wie ein vergessenes Lied,
die Stimme Gottes klingt vertraut
und unser Herz erblüht.
Es ist, als schreiten wir durchs milde Abendlicht,
vorbei an fremden Gärten, fremden Türen,
und plötzlich lauschen wir gespannt und spüren
die Stimme eines Engels, her geweht,
aus fernen Himmeln, wie der Mutter Singen,
so süß und weich wie einst.
Wir stehen still und lauschen.
Will sie uns bringen
Erinnerung aus unsrem Kinderreich?
Ist es ein wohl vertrauter Klang aus Vaters Haus?
Das Lied der Freude löscht die Fremdheit aus,
und wie durch Zauberhand
blüh’n Heimatblumen uns in fremden Gärten,
und fremde Sterne leuchten traulich, Licht an Licht,
wenn Deine Stimme, Gott, aus einem Menschen spricht.

Die Schaukel

An einer alten Wäschestange,
baute sie Vater, gar nicht lange,
so, gut vertäut an großen Haken,
konnte ich’s schließlich kaum erwarten,
das Sitzbrett unter’n Po zu schieben,
nach kurzem Zögern wollt ich fliegen.

Die Schatten huschten an den Giebeln,
es spukten Bilder an den Ziegeln
der Nachbarhäuser, auf und nieder,
mit jedem Wiegen sah ich’s wieder,
spürte in meinem Kindersinn,
dass ich ganz nah dem Himmel bin.

Ich schwang dem Schattenbild entgegen,
genoss das Fliegen und das Schweben,
mal vorwärts und mal hintenüber,
war ganz verträumt und schloss die Lider,
um eins zu sein mit Zeit und Wind,
war glücklich, wie‘s nur Kinder sind.

In unsrer kurzen Lebenszeit
gibt Freude schwebend Leichtigkeit
im Fallen und im Steigen,
wenn sich die Schatten neigen,
durchfliegen wir das Sein im Wind,
hinauf, hernieder wie ein Kind.

Schatten der Vergangenheit

Johann Heinrich Füssli (1741-1825)

Ich fühle, wie Gestalten
im Dämmerschatten stehen,
sind unsichtbar verknüpft
mit meinem Zeitgeschehen,
zeigen hilflose Momente,
warnend und wohlbekannt,
von denen ich mich trennte –
vernarbtes Lebensband.

Möcht’ ich mich auch entziehen,
in wilder, langer Flucht,
so kann ich nicht entfliehen,
aus dieser Lebensschlucht.
Schau mutig ich hinüber,
mit ungetrübtem Blick,
bringt dieses Schau’n doch wieder
Erinnerung zurück.

Sind’s dunkle Lebensflecken,
die dort im Nebel stehen,
die mir aus finster’n Ecken
tief ins Bewusstsein gehen.
Die vielen off’nen Wunden –
sie heilen wird die Zeit –
sind noch nicht überwunden,
obwohl Vergangenheit.