Friedhof der Gedanken / Vollmondgräber

Wie ein vergessener Friedhof ist so manche Brust,
mit umgestürzten Kreuzen und eingefallenen Gräbern,
unter sich begraben die Verlorenen, die Lebensinhalt waren,
verbundene Herzen, die mit einem Mal stillstehen.

Zu dunkler Stunde schleichen sie geisterhaft
über die einsamen Wege ihrer längst gestorbenen Hoffnungen,
lassen sie aufleben in nächtlichen Gedankengängen,
die Untoten, Ruhelosen, tot Geliebten und Verlassenen.

Wenn Geister der toten Liebe umgehen, der Leidenschaften,
verwandeln sich die Träume zu Stätten der Traurigkeit.
Modergeruch der Verdammnis steigt aus Erinnerungen,
blasse Bilder zeigend von Glück und Unglück, Anfang und Ende.

Mit all ihren Schmerzen, Sehnsüchten und Leiden
trieb der Rauch des Vergessens gen Himmel,
mit ihm die leer gedachten Gesichter, die dem Gedächtnis entflohen.

Was bleibt ist das Ungelebte, das zu früh zu Grabe getragen
nie mehr pulst und pocht, das entflammt und erloschen.
Liebe - kein Hab und Gut, ohne jeglichen Besitzanspruch,
vom Unsichtbaren gegeben oder genommen.

So versanken selbstbemessene Ziele ins Ungewisse,
doch erscheinen sie im Licht der Gedanken viel größer und reiner,
viel intensiver als die verwirklichten Alltäglichkeiten
und die ungelebte, genommene Liebe als die einzig wirkliche.

In diesen Nächten genieße ich die zarte Stille des Vollmonds,
der geisterhaft über die Dächer steigt und mit kaltem Glanz
in die Gedanken der Schlaflosen dringt.

Er hält das Bewusstsein wundersam in Schranken,
lässt Traumwünsche verblühen und verwelken,
die im Sonnenlicht aufs Neue in den Himmel wachsen.
Wunsch an Wunsch, in wachen, reifen Gedanken.

Seelenflammen

William Adolphe Bouguereau 1825-1905

So, wie der Flamme gold’ner Schein
sich züngelnd streckt gen Himmel sanft empor,
so werden auch die alten Seelen
zu den lichten Höhen streben.
 
Und öffnet sich durch Endlichkeit
des Erdendaseins fremder Sphären Tor,
verbindet sie die Ewigkeit des Seins,
um sie in fernste Galaxien fort zu heben.
 

Sonntägliche Zeit

Spring – Sir John Everett Millais (1829-1896)
Willkommen, sonntägliche Zeit!
Es klingt aus hundert Kehlen,
aus Busch und Bäumen, weit und breit,
hör‘ ich‘s vom Tag erzählen.

Blüten, die noch verschlossen stehn,
sie träumen vom Erwachen,
die lange Nacht wird bald vergehen,
die Sonne wird bald lachen.

Was hinterm Sinn liegt und Verstand,
weiß niemand recht zu deuten,
doch fühlen wir des Vaters Hand,
wenn heut die Glocken läuten.

Es leuchtet andachtsvoll die Welt
im Klang der vielen Stimmen,
wie aus dem Himmelreich bestellt,
lässt Gott uns Wahrheit bringen.

Schicksalsmelodie

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay
Wie eine Weise tönt das Leben,
mit Noten, die das Schicksal schreibt;
mal leicht in Dur, mal klingt‘s daneben
in Moll, was trüb im Herzen bleibt.

Der eignen Melodie zu lauschen,
düster und hell, mal mit Gesang,
ist wie das heimatliche Rauschen
der stolzen Bäume Blätterklang.

Es geht ein wunderbares Scheinen
vom andachtsvollen Ton und Klang,
will all das Kolorit vereinen,
das disharmonisch nicht gelang.

Das, was uns ‚zu-fällt‘ kommt von oben,
als Resonanz auf all die Laute,
die, aus der Harmonie geflogen,
mit Missklang einst die Zukunft bauten.

Tanzt zu den reinen, klaren Tönen,
bereinigt manchen Halbton-Klang,
Empfindung wird alsdann verschönen,
wohl temperiert, den Lebensgang.

Ungebunden

Foto: Gisela Seidel
Träg und leer gehn meine Stunden,
mit Vergangenem darin,
tänzeln Zeiger der Sekunden,
ticken Takte ohne Sinn.

Ruhe glaubte ich zu finden,
im Alleinsein, das ich wählte,
denn ich wollte mich nicht binden,
wie die vielen Alt-Vermählten.

Wollte meine Freiheit wahren,
selbstbestimmt sein, grenzenlos,
keinen um Erlaubnis fragen,
niemals sein des Zeitgeists Spross.

Langsam schleich ich, wie die Stunden,
leblos scheint des Tages Lauf;
Einsamkeit hab ich gefunden,
wo ich doch die Liebe brauch.

Doch die vielen ‚Eintagsfliegen‘,
die das Leben mir beschert,
haben meinen Geist gemieden
und den Körper nur begehrt.

Lieben heißt sehnen

Sulamith Wülfing  (1901-1989)

Das Sehnen ist ein Band, das liebend bindet,
die Zauberschnur, die niemals reißt und bricht.
Wo sich die alte Liebe wieder findet,
da wird das tiefste Dunkel hell und licht.
 
Du strahlst in mir, wie Diamanten strahlen,
du reflektierst das Licht, so, wie ein Edelstein.
Lass‘ deiner Augen Glanz auf meine fallen,
du wirst der Glanz auf meiner Seele sein.
 
Du bist mir fern, doch öffnen sich die Schleier,
so wie die Sonne durch die Wolken bricht.
Und jedes Wort, das du mir schreibst erneuert,
was du mit deiner Gegenwart versprichst.
 
Die Liebe hält uns fest und ganz umschlungen,
nichts wird sie lösen – nicht in Ewigkeit!
Und ist dein liebes Wort schon lang verklungen,
dann schwebt es selig weiter durch die Zeit.
 
Das Band der Liebe ist um uns geflochten,
es bindet sanft, doch hart fordert die Pflicht.
Was unsre Träume, Wünsche, nicht vermochten,
nun eine andre Macht für uns erficht.
 
Gott gab uns Liebe, er wird uns geleiten,
damit wir rechte, lichte Wege gehn.
Er wird vor uns die Möglichkeiten breiten,
damit wir wagen, glauben und verstehn.
 

Wenn du wiederkommst

Eiler (Carl) Sorensen (dänisch, 1869 – 1953)

Wenn du wiederkommst,
wird meine Seele jubilieren.
Wie ein fruchtbarer Boden
zwischen kalten Steinen
wirst du erscheinen.
Mein Herz kann nicht still sein,
will dich nicht verlieren,
im Weinen.

Meine Arme sind leer,
meine Sinne so trübe –
als grübe sich dumpfer Schmerz
in mein Denken.
Mir ist das Leben so schwer,
fühl’ mich unendlich müde.
Wohin wird es mich lenken?

Wie ein Liebesbrief
mit gebrochenem Siegel,
der versteckt vor der Welt
deinen Namen trägt,
bist du mein Ich hinter dem Spiegel,
das sich wie ein Gewissen in mir regt.

Untrennbares löst sich,
es bindet das Leben;
das Schicksal trägt in sich,
was geht und beginnt.
Die Hoffnung breitet in Liebe die Flügel,
wenn du wiederkommst,
mit dem Frühlingswind.

She

Charles Aznavour

Text:

She may be the face I can′t forget
A trace of pleasure or regret
May be my treasure or the price I have to pay

She may be the song that summer sings
May be the chill that autumn brings
May be a hundred different things
Within the measure of a day

She may be the beauty or the beast
May be the famine or the feast
May turn each day into a heaven or a hell

She may be the mirror of my dream
A smile reflected in a stream
She may not be what she may seem
Inside her shell

She who always seems so happy in a crowd
Whose eyes can be so private and so proud
No one’s allowed to see them when they cry

She may be the love that cannot hope to last
May come to me from shadows of the past
That I remember till the day I die

She may be the reason I survive
The why and wherefore I′m alive
The one I’ll care for through the rough and rainy years

Me, I’ll take her laughter and her tears
And make them all my souvenirs
For where she goes, I′ve got to be
The meaning of my life is she, she, she

Übersetzung:

Sie

Sie mag das Lied sein, das der Sommer singt
Kann die Kälte sein, die der Herbst bringt
Kann hundert verschiedene Dinge sein
In den Maßen eines Tages

Sie mag die Schönheit sein oder das Biest
Kann die Hungersnot oder das Fest sein
Kann jeden Tag in einen Himmel oder in eine Hölle verwandeln

Sie mag der Spiegel meines Traumes sein
Ein Lächeln, das sich in einem Strom spiegelt
Sie mag nicht sein, was sie zu sein scheint
In ihrer Schale

Sie, die immer so glücklich scheint in der Menge
Deren Augen so privat und so stolz sein können
Keiner darf sie sehen, wenn sie weinen

Sie mag die Liebe sein, die nicht hoffen kann, zu dauern
Vielleicht kommt sie zu mir aus den Schatten der Vergangenheit
An die ich mich bis zum Tag meines Todes erinnere

Sie mag der Grund sein, warum ich überlebe
Der Grund, warum und wieso ich lebe
Diejenige, für die ich durch die rauen und regnerischen Jahre sorgen werde

Ich, ich werde ihr Lachen und ihre Tränen nehmen
Und mache sie alle zu meinen Souvenirs
Denn wo sie hingeht, muss ich sein.
Der Sinn meines Lebens ist sie, sie, sie

Länder ohne Frieden

Quelle: Pinterest

Länder ohne Frieden, ausgebombt die Dächer, offen und zerstört die Mauern.

Frühling kam, drängt stürmisch durch die kalten Wände; wo es grünen sollte, liegen Häuserfronten, Steine, Eisen.

Werden irgendwo durch diesen Schutt die Blüten steigen?

Dort, wo das bröckelnde Gestein über gebrochenen Balken die Toten begräbt, dort ist das österliche Licht erloschen, bluten die gegeißelten Wunden.

Ausgeharrt die Wenigen, die den Strahl des Zukunftsglaubens empfingen, ihn immer noch durch die sterbende Stadt tragen und mit verschleierter Sicht auf Erlösung hoffen.

Seht nicht auf die Einsamkeit des Ortes, auf den Ursprung der Tat. Schaut auf den nächtlichen Himmel; seht die Sterne, die auch über den Wüsten die Welt mit ihrem Schein bezaubern.

Seht, es ist der Mensch, der die Erde bedeckt durch den eigenen Schatten!

Wann ist’s genug? Unzählig sind Menschen gestorben. Mitten im Leben gefällt durch die Hand des Nächsten, aus Willkür, Hass und Diktat, wie blühende Bäume gestürzt. Frevel ist es, wenn menschliches Geheiß uns zu morden gebietet, wenn die Not uns befiehlt zu töten, was wir lieben könnten – unseren Nächsten.

So ragen die Stämme der Bäume zerschossen aus dem Schutt der Gemäuer, wo sie ihre blühenden Kronen verloren. Bis zuletzt mit erhobenen Häuptern, wie die gefallenen Kämpfer es taten. Sie sind untergegangen, wie die Sterne, die trotzdem am Himmel sichtbar bleiben.

Über den Ruinen liegt eine verschleierte Schönheit, und in Fenstern, die keine Scheiben mehr tragen, taucht fahles Mondlicht die Nacht in Vergessen.

Der Erinnerung Blüten winden sich zum Kranz, legen Segen in die Herzen, die vergehen.

Morsch und leer sind die Ruhmeshallen! Denn darin welkt der Duft des Todes und der großen Einsamkeit.

Muss Sterbliches gehen, wo Er seinen Blick erhebt?
Seht: Er richtet nur unsere Schatten, trägt sie ins Licht!

Kunstwerk

Peder Severin Krøyer (1851-1909)
Nun wird die Erde hell, die Sonne scheint,
und eine Drossel, die früh singt, bringt Segen;
die Meisen sammeln zwitschernd, froh vereint,
Zweige und Flaum zum Nestbau auf den Wegen.

Die Kinder halten Hündchen an der Hand,
die kläffend heiter voran gehn und springen,
der Himmel zieht sein blaues Band durchs Land
und lässt die alte Welt zur Hochzeit singen.

Vom Sonnenstrahl erhellt, ist es erwacht,
das kühle Land - es lässt die Seele steigen;
es malt das Graue bunt und über Nacht
sieht man ihr Kunstwerk leuchtend in den Zweigen.