Bunt sind schon die Wälder

Interpreten: Zupfgeigenhansel
Musik von Johann Friedrich Reichardt (1752-1814)

Bunt sind schon die Wälder,
gelb die Stoppelfelder,
und der Herbst beginnt.
Rote Blätter fallen,
graue Nebel wallen,
kühler weht der Wind.

Wie die volle Traube
aus dem Rebenlaube
purpurfarbig strahlt!
Am Gelände reifen
Pfirsiche, mit Streifen
rot und weiß bemalt.

Dort im grünen Baume
hängt die blaue Pflaume
am gebognen Ast
gelbe Birnen winken
daß die Zweige sinken
unter ihrer Last

Welch ein Apfelregen
rauscht vom Baum! es legen
in ihr Körbchen sie
Mädchen, leicht geschürzet
und ihr Röckchen kürzet
sich bis an das Knie

Winzer, füllt die Fässer
Eimer, krumme Messer
Butten sind bereit
Lohn für Müh und Plage
sind die frohen Tage
in der Lesezeit

Unsre Mädchen singen
und die Träger springen
alles ist so froh
Bunte Bänder schweben
zwischen hohen Reben
auf dem Hut von Stroh

Geige tönt und Flöte
bei der Abendröte
und bei Mondenglanz
schöne Winzerinnen
winken und beginnen
frohen Erntetanz

Text von Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762-1834)

Quelle: Wikipedia

Amsterdam

von Wolf von Kalckreuth

The Montelbaanstower in Amsterdam – Cornelis Christiaan Dommersen  (1842–1928)

Gleich stillen Farben auf erschlossnem Fächer
Eint sich der schmalen Häuser Grau und Rot,
Und über grünem Kahn und weißem Boot
Der Schmuck der Giebel und der tausend Dächer.

Das Brausen der bewegten Kais wird schwächer
In diesen Straßen, wo der Lärm verloht.
Und in der Ferne bleichen Mast und Schlot,
Die Fischerewer und die Wellenbrecher.

Unzähl’ge helle Fensterreihen schaun
Auf die Kanäle, wo die Nachen stocken,
Wo vor den Brücken sich die Schuten staun.

Die Sonne taut durchs Laub in großen Flocken
Und in der Luft perlmutterfarbnes Blaun
Entfließt und singt das lichte Spiel der Glocken.

Wolf Graf von Kalckreuth, um 1903 (1887-1906)

Dichterseele

Johann Wolfgang von Goethe zum Geburtstag am 28. August 1749

Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832

Geh’ durch die Stadt, die ich so liebte,
suchend mein Blick nach all’ den Plätzen
der fernen Zeit, die gnadenlos einst siebte,
die guten von den wenig guten Sätzen,
 
die ich einmal zu schreiben wagte.
So viele Bücher, die ich füllte –
und oft, erst als der Morgen tagte,
sich meine Dichtersehnsucht stillte.
 
Die Zeilen rannen aufs Papier,
mal zäh, mal flossen sie in Strömen.
Oft landete mein Denken schier
auch neben den erlaubten Tönen.
 
War ich gesellschaftlich gebunden,
so war doch frei mein Dichterband,
das sich so manches Mal verschlungen
um wohl verbot’ne Wege wand.
 
Ich blieb geachtet, viel zitiert,
war Mittelpunkt des Zeitgeschehens,
ich kritisierte unbeirrt,
hab’ Fehler spät erst eingesehen.
 
War ich doch Zünglein an der Waage
für manche Zukunft federführend,
verhielt mich oft nach Stimmungslage,
zu dominant und ungebührend.
 
Der Liebe Bänder, die ich knüpfte,
hab’ ich genauso schnell zerschnitten,
wenn rasch mein Herz vor Freuden hüpfte,
ist’s schon ins Einerlei entglitten.
 
Ich war autark, zu Neuem offen,
mit ungestillter Gier aufs Leben.
So wie mein Wirken, groß mein Hoffen,
ich könnt’ ein wenig Hilfe geben,
 
an alle, die sie brauchend nehmen.
Ich bleibe unsichtbar den Blicken,
zu lindern euer irdisch’ Grämen
bin ich gewillt in großen Stücken.
 
Wenn meine Worte euch erreichen,
und eure Seelen mich erkennen,
wird Kummer schnell der Freude weichen
und Hoffnung in den Herzen brennen.
 
Denn dieses Leben ist nur eines
von vielen, die uns Gott beschert;
im Hintergrund hat ein geheimes
so manches Stück euch schon gelehrt.
 
D’rum öffnet euch dem Unsichtbaren,
erkennt die kosmischen Gesetze,
denn alte Leben, die einst waren,
erhalten ihre neuen Plätze.

nach einer Kreidezeichnung von Josef Karl Stieler

Im Grase

von Adolf Friedrich Graf von Schack
John William Waterhouse 1849-1917

Um mich schwärmender Bienen Gesumm;
fernher Singen von Schnittern;
Sommerlüfte, die heiß ringsum
über der Wiese zittern!

Hoch aus dem dunkelnden Himmelsblau,
drin die Wolken verschwimmen,
quillt es und rinnt hernieder wie Tau,
säuselt wie liebe Stimmen.

Gaukelt und lacht mir hinweg das Leid,
hebt die Erdengewichte,
bis die Seele, gelöst, befreit,
schwärmt in dem himmlischen Lichte.

Adolf Friedrich Graf von Schack 1815-1894 – gemalt von Franz von Lenbach

Litanei der Bitternis

von Max Hermann-Neiße
Stolperstein
Bitter ist es, das Brot der Fremde zu essen,
bittrer noch das Gnadenbrot,
und dem Nächsten eine Last zu sein.
Meine bessren Jahre kann ich nicht vergessen;
doch nun sind sie tot,
und getrunken ist der letzte Wein.

Ringsum ist eine ganze Welt verfallen,
alles treibt dem Abgrund zu,
nur noch Schwereres steht uns bevor,
denn wir treiben hilflos mit den Trümmern allen;
immer denkst auch du
an das Glück, das dein Gemüt verlor.

Selbst die große Stadt muss sich verstellen;
dunkel sein wie Dörfer einst,
die verwunschnen, die man fremd durchfuhr,
seltsam klingt, wie damals, nachts, der Hunde Bellen,
dass du trostlos weinst,
angeweht vom Spuk der Heimatflur.

Bitter ist es, vor jedem neuen Tage
Angst zu haben, niemehr frei
von geheimen Sorgen, Reue, Gram,
furchtgeplagt bei jedem neuen Glockenschlage,
dass er letzter sei,
eh man recht vom Leben Abschied nahm.

Ungemilderte Bitternis im Herzen.
bin ich längst mir selbst zur Last
zwischen Morgenrot und Abendrot.
Bitter ist es, alles Glück sich zu verscherzen,
ungebetner Gast,
bittrer, und das Bitterste: der Tod.

Max Hermann-Neiße (1886-1941)

Max Hermann-Neiße floh aufgrund seiner körperlichen Einschränkung des Kleinwuchses aus Deutschland, wo neben rassenhygienischen Vorstellungen der Eugenik, kriegswirtschaftliche Erwägungen während des Zweiten Weltkrieges zur Begründung der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ herangezogen worden waren.

Zitat Uni Münster: „Seine Künstlerkarriere in Deutschland fand mit dem aufkommenden Nationalsozialismus ein jähes Ende. Nach dem Reichstagsbrand 1933 floh er mit seiner Frau über die Schweiz und die Niederlande nach Großbritannien. Max Hermann-Neißes Werke wurden in Deutschland von Nazi-Sympathisanten verbrannt. Der Schriftsteller ließ sich in London nieder, wo er allerdings auf die Unterstützung des Juweliers Alphonse Sondheimer angewiesen blieb, der ihm sein Leben und die Publikationen weiterer Werke finanzierte. Herrmann-Neißes Ehefrau wurde die Geliebte und spätere Ehefrau Sondheimers. 1938 erfolgte die Ausbürgerung aus Deutschland. In der britischen Gesellschaft konnte der Schriftsteller keinen Anschluss mehr finden, die britische Staatsbürgerschaft wurde ihm verwehrt.“

Der Juni

von Erich Kästner
Quelle: Pinterest
Die Zeit geht mit der Zeit: Sie fliegt.
Kaum schrieb man sechs Gedichte,
ist schon ein halbes Jahr herum
und fühlt sich als Geschichte.

Die Kirschen werden reif und rot,
die süßen wie die sauern.
Auf zartes Laub fällt Staub, fällt Staub,
so sehr wir es bedauern.

Aus Gras wird Heu. Aus Obst Kompott.
Aus Herrlichkeit wird Nahrung.
Aus manchem, was das Herz erfuhr,
wird, bestenfalls, Erfahrung.

Es wird und war. Es war und wird.
Aus Kälbern werden Rinder
Und weil's zur Jahreszeit gehört,
aus Küssen kleine Kinder.

Die Vögel füttern ihre Brut
und singen nur noch selten.
So ist's bestellt in unsrer Welt,
der besten aller Welten.

Spät tritt der Abend in den Park,
mit Sternen auf der Weste.
Glühwürmchen ziehn mit Lampions
zu einem Gartenfeste.

Dort wird getrunken und gelacht.
In vorgerückter Stunde
tanzt dann der Abend mit der Nacht
die kurze Ehrenrunde.

Am letzten Tische streiten sich
ein Heide und ein Frommer,
ob's Wunder oder keine gibt.
Und nächstens wird es Sommer.
Erich Kästner (1899-1974)

Die Kinder von Izieu

Erinnern heißt: HANDELN GEGEN RECHTS!!!!!!!!!!!!
Dokumentation

Sie war'n voller Neugier, sie war'n voller Leben,
die Kinder, und sie waren vierundvierzig an der Zahl.
Sie war'n genau wie ihr, sie war'n wie alle Kinder eben
im Haus in Izieu hoch überm Rhonetal.

Auf der Flucht vor den Deutschen zusammengetrieben,
und hinter jedem Namen steht ein bitteres Leid,
alle sind ganz allein auf der Welt geblieben,
aneinandergelehnt in dieser Mörderzeit.

Im Jahr vierundvierzig, der Zeit der fleiß'gen Schergen,
der Spitzel und Häscher zur Menschenjagd bestellt.
Hier wird sie keiner suchen, hier oben in den Bergen,
die Kinder von Izieu, hier am Ende der Welt.

Joseph, der kann malen: Landschaften mit Pferden,
Theodore, der den Hühnern und Küh'n das Futter bringt,
Liliane, die so schön schreibt, sie soll einmal Dichterin werden,
der kleine Raoul, der den lieben langen Tag über singt.

Und Elie, Sami, Max und Sarah, wie sie alle heißen:
jedes hat sein Talent, seine Gabe, seinen Part.
Jedes ist ein Geschenk, und keines wird man denen entreißen,
die sie hüten und lieben, ein jedes auf seine Art.

Doch es schwebt über jedem Spiel längst eine böse Ahnung,
die Angst vor Entdeckung über jedem neuen Tag,
und hinter jedem Lachen klingt schon die dunkle Mahnung,
dass jedes Auto, das kommt, das Verhängnis bringen mag.

Am Morgen des Gründonnerstag sind sie gekommen.
Soldaten in langen Mänteln mit Männern in Zivil.
Ein Sonnentag - sie haben alle, alle mitgenommen,
auf Lastwagen gestoßen und sie nannten kein Ziel.

Manche fingen in ihrer Verzweiflung an zu singen,
manche haben gebetet, wieder andre blieben stumm.
Manche haben geweint und alle, alle gingen
den gleichen Weg in ihr Martyrium.

Die Chronik zeigt genau die Listen der Namen,
die Nummer des Waggons und an welchem Zug er hing,
die Nummer des Transports mit dem sie ins Lager kamen;
die Chronik zeigt, dass keines den Mördern entging.

Heute hör' ich, wir soll'n das in die Geschichte einreihen,
und es muss doch auch mal Schluss sein, endlich, nach all den Jahr'n.
Ich rede und ich singe, und wenn es sein muss, werd' ich schreien,
damit unsre Kinder erfahren, wer sie war'n.

Der Älteste war siebzehn, der Jüngste grad vier Jahre.
Von der Rampe in Birkenau in die Gaskammern geführt.
Ich werd' sie mein Leben lang sehn und bewahre
ihre Namen in meiner Seele eingraviert.

Sie war'n voller Neugier, sie war'n voller Leben,
die Kinder, und sie waren vierundvierzig an der Zahl.
Sie war'n genau wie ihr, sie war'n wie alle Kinder eben
im Haus in Izieu hoch überm Rhonetal.

Die Zeit steht still

von Mascha Kaléko (1907 – 1975)
Die Zeit steht still. Wir sind es, die vergehen.
Und doch, wenn wir im Zug vorüberwehen,
Scheint Haus und Feld und Herden, die da grasen,
Wie ein Phantom an uns vorbeizurasen.
Da winkt uns wer und schwindet wie im Traum,
Mit Haus und Feld, Laternenpfahl und Baum.

So weht wohl auch die Landschaft unsres Lebens
An uns vorbei zu einem andern Stern
Und ist im Nahekommen uns schon fern.
Sie anzuhalten suchen wir vergebens
Und wissen wohl, dies alles ist nur Trug.

Die Landschaft bleibt, indessen unser Zug
Zurücklegt die ihm zugemeßnen Meilen.

Die Zeit steht still, wir sind es, die enteilen.

Mascha Kaléko (1907-1975)

Der Mai

von Erich Kästner
Im Garten – Peder Monk Monsted (1859-1941)
Im Galarock des heiteren Verschwenders,
ein Blumenzepter in der schmalen Hand,
fährt nun der Mai, der Mozart des Kalenders,
aus seiner Kutsche grüßend, über Land.

Es überblüht sich, er braucht nur zu winken.
Er winkt! Und rollt durch einen Farbenhain.
Blaumeisen flattern ihm voraus und Finken.
Und Pfauenaugen flügeln hinterdrein.

Die Apfelbäume hinterm Zaun erröten.
Die Birken machen einen grünen Knicks.
Die Drosseln spielen, auf ganz kleinen Flöten,
das Scherzo aus der Symphonie des Glücks.

Die Kutsche rollt durch atmende Pastelle.
Wir ziehn den Hut. Die Kutsche rollt vorbei.
Die Zeit versinkt in einer Fliederwelle.
O, gäb es doch ein Jahr aus lauter Mai!

Melancholie und Freude sind wohl Schwestern.
Und aus den Zweigen fällt verblühter Schnee.
Mit jedem Pulsschlag wird aus Heute Gestern.
Auch Glück kann weh tun. Auch der Mai tut weh.

Er nickt uns zu und ruft: „Ich komm ja wieder!“
Aus Himmelblau wird langsam Abendgold.
Er grüßt die Hügel, und er winkt dem Flieder.
Er lächelt. Lächelt. Und die Kutsche rollt.
Erich Kästner (1899-1974)

She

Charles Aznavour

Text:

She may be the face I can′t forget
A trace of pleasure or regret
May be my treasure or the price I have to pay

She may be the song that summer sings
May be the chill that autumn brings
May be a hundred different things
Within the measure of a day

She may be the beauty or the beast
May be the famine or the feast
May turn each day into a heaven or a hell

She may be the mirror of my dream
A smile reflected in a stream
She may not be what she may seem
Inside her shell

She who always seems so happy in a crowd
Whose eyes can be so private and so proud
No one’s allowed to see them when they cry

She may be the love that cannot hope to last
May come to me from shadows of the past
That I remember till the day I die

She may be the reason I survive
The why and wherefore I′m alive
The one I’ll care for through the rough and rainy years

Me, I’ll take her laughter and her tears
And make them all my souvenirs
For where she goes, I′ve got to be
The meaning of my life is she, she, she

Übersetzung:

Sie

Sie mag das Lied sein, das der Sommer singt
Kann die Kälte sein, die der Herbst bringt
Kann hundert verschiedene Dinge sein
In den Maßen eines Tages

Sie mag die Schönheit sein oder das Biest
Kann die Hungersnot oder das Fest sein
Kann jeden Tag in einen Himmel oder in eine Hölle verwandeln

Sie mag der Spiegel meines Traumes sein
Ein Lächeln, das sich in einem Strom spiegelt
Sie mag nicht sein, was sie zu sein scheint
In ihrer Schale

Sie, die immer so glücklich scheint in der Menge
Deren Augen so privat und so stolz sein können
Keiner darf sie sehen, wenn sie weinen

Sie mag die Liebe sein, die nicht hoffen kann, zu dauern
Vielleicht kommt sie zu mir aus den Schatten der Vergangenheit
An die ich mich bis zum Tag meines Todes erinnere

Sie mag der Grund sein, warum ich überlebe
Der Grund, warum und wieso ich lebe
Diejenige, für die ich durch die rauen und regnerischen Jahre sorgen werde

Ich, ich werde ihr Lachen und ihre Tränen nehmen
Und mache sie alle zu meinen Souvenirs
Denn wo sie hingeht, muss ich sein.
Der Sinn meines Lebens ist sie, sie, sie