Schmetterling

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Im Frühling bist du sanft erwacht,
hast deinen altversponn’nen Haufen,
 
mit einer ungeheuren Wandlungskraft
metamorphisch neu durchlaufen.
 
Zeigst uns die Augen der Natur
auf deiner Flügel-Rückenpracht,
 
ziehst über Blüten deine Spur,
so leuchtend bunt und  flatterhaft.
 
In deiner Welt im Wiesengrund
wird warm bestrahlt dein Leben,
 
zeigst du uns in so mancher Stund’
dein flüchtig Sonnenstreben.

Frühlingsgefühle

Frühling – Pierre Auguste Cot (1837-1883)
Wie ein Lächeln zeigte er am Fenster,
dass die lauen Lüfte Hoffnung trugen
und sich wiegend mit dem Tag vereinten.
Lieblich ist des Frühlings Angesicht!

Rings umher sein warmes Strahlen,
eisbefreit schmilzt unter seinen Händen,
was ermuntert wird zu neuem Leben,
wie des Baches Lauf in freien Fluten.

Blumen öffnen bald schon ihre Blüten,
denn all jene, die den Herbsttod starben,
richten sich erneut empor gen Himmel,
um der Krone „Auferstehung“ Glanz zu tragen.

Majestätisch hat der Herbst zerstöret,
was mit winterlichem Ausklang endet.
Milde gibst du neu, in ewig gleichem Lauf,
was du, Natur, einst nahmst mit ernster Miene.

Nach kurzem Schlummer schenkst du uns ein Lächeln,
denn nicht vernichten wolltest du, nur ruhen.
Gelöst hast du des Frühlings Fesseln.
Der lang in holder Lust gefangen,
tanzt bald zu Nachtigallentönen.

Wird auch der Liebe Frühling wiederkehren?
So viele Wunden auf dem Feld der Trennung!
Ein ew’ger Winter ist längst eingezogen
und abgestorben ist das Grün der Hoffnung.

Die kargen Stundenblumen sind verwelkt im Leid;
der Abschiedsschmerz hat sie hinfort gerissen.
und unter kummervollen Tränenjahren
sind die der Freude längst gewichen.

Die Zeit der Rosen bot mir ihre Dornen,
und keine Sonne wird sie neu erwecken.
Der goldne Frühlingsschimmer segnet lichterfüllt,
treibt übers Grab „Vergangenheit“ den Hauch des Abschieds,
denn niemals kehrt der Liebe Frühling wieder.

An die Amsel

Amsel, wirst du wieder singen
und dein Lied gen Himmel richten;
wird dein Sang nach Heimat klingen,
morgens, abends, sich verdichten?

Hoffnung dringt in trübe Seelen -
lichterhellt im Schwall der Klänge,
und aus unscheinbaren Kehlen
fließen deine Lobgesänge.

Schwarzer Vogel, deine Schwingen
bringen dich zum höchsten Ast;
lass dein Liebeslied erklingen,
das der Menschen Herz erfasst.

Aschermittwoch

Aschermittwoch – Carl Spitzweg (1808-1885)
Die Maske fiel. Alles vorbei!
Entblößt das wahre ICH im Spiegelbild.
Das Ende einer bloßen Gaukelei.
Es zeigt ein trauriges Gesicht,
ganz unverhüllt.

Du spielst die Rolle deines Lebens,
mit oder ohne Kreuz auf deiner Stirn.
Nur ein paar Tage suchtest du vergebens
in einem andern ICH dich zu verlier’n.

Doch du erwachst, nach Alkoholgenuss
erkennst zu spät das Übel deines Tuns.
Gefangener im Kerker deines Frusts,
wünscht du dir Asche auf dein Haupt
und kannst nicht ruhn.

Ansprache an Millionäre

von Erich kästner

Warum wollt ihr so lange warten,
bis sie euren geschminkten Frauen
und euch und den Marmorpuppen im Garten
eins über den Schädel hauen?

Warum wollt ihr euch denn nicht bessern?
Bald werden sie über die Freitreppen drängen
und euch erstechen mit Küchenmessern
und an die Fenster hängen.

Sie werden euch in die Flüsse jagen.
Sinnlos werden dann Schrei und Gebet sein.
Sie werden euch die Köpfe abschlagen.
Dann wird es zu spät sein.

Dann wird sich der Strahl der Springbrunnen röten.
Dann stellen sie euch an die Gartenmauern.
Sie werden kommen und schweigen und töten.
Niemand wird über euch trauern.

Wie lange wollt ihr euch weiter bereichern?
Wie lange wollt ihr aus Gold und Papieren
Rollen und Bündel und Barren speichern?
Ihr werdet alles verlieren.

Ihr seid die Herrn von Maschinen und Ländern.
Ihr habt das Geld und die Macht genommen.
Warum wollt ihr die Welt nicht ändern,
bevor sie kommen?

Ihr sollt ja gar nicht aus Güte handeln!
Ihr seid nicht gut. Und auch sie sind’s nicht.
Nicht euch, aber die Welt zu verwandeln,
ist eure Pflicht!

Der Mensch ist schlecht. Er bleibt es künftig.
Ihr sollt euch keine Flügel anheften.
Ihr sollt nicht gut sein, sondern vernünftig.
Wir sprechen von Geschäften.

Ihr helft, wenn ihr halft, nicht etwa nur ihnen.
Man kann sich, auch wenn man gibt, beschenken.
Die Welt verbessern und dran verdienen –
das lohnt, drüber nachzudenken.

Macht Steppen fruchtbar. Befehlt. Legt Gleise.
Organisiert den Umbau der Welt!
Ach, gäbe es nur ein Dutzend Weise
mit sehr viel Geld…

Ihr seid nicht klug. Ihr wollt noch warten.
Uns tut es leid. Ihr werdet’s bereuen.
Schickt aus dem Himmel paar Ansichtskarten!
Es wird uns freuen.
Erich Kästner (1899-1974)

Erneuerung

Wiesenstück – Albrecht Dürer (1471-1528)
Frühlingshaft, von allen Jahreszeiten
neu, in die Verwandlung gleiten,
wie im Tanz der Zauberenergien,

sind des Lebens schwingende Atome,
wandeln sich im Wachstumsstrome,
sind dem Jahr von der Natur geliehen.

Richten auf gen Himmel, die Gesichter,
mit des Schöpfers Kraft an Sonnentagen;
kurz entzünden sich des Daseins Lichter,
um den Kampf Erneuerung zu wagen.

Freier Fall

Freiheitsstatue – Quelle: Pinterest
Offene Arme, Händereichen,
gab’s in der Vergangenheit;
Menschen mit verschränkten Armen
sind dem Nächsten abgeneigt.

Schaut hin: Die sich stolz genügen
und mit wortreichen Toxinen,
herzenskaltem Machtgehabe,
liebesleer dem Abgrund dienen!

Werden sie sich selbst erkennen,
Seeleneinsamkeit und Trauer?
Sie zerfallen mit der Welt -
fremd und fern stehn sie auf Dauer.

Um sich scharen sie die Vielen -
Mittelmäßigkeit die Schiene;
Arroganz und Selbstvergnügen,
trotzig, feindlich ihre Miene.

Selbstgefällig ihr Begreifen:
Dummheit steht für Nächstenliebe.
Federn muss der andere lassen -
Bittsteller sind nichts als Diebe.

Frei von gottgesetzten Schranken,
die Genie und Wahnsinn binden,
wird sich „Höhenflug“ und Fall
auf dem Boden wiederfinden.

Nis Randers

von Otto Ernst

Krachen und Heulen und berstende Nacht,
Dunkel und Flammen in rasender Jagd -
Ein Schrei durch die Brandung!

Und brennt der Himmel, so sieht man's gut:
Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut;
Gleich holt sich's der Abgrund.

Nis Randers lugt - und ohne Hast
Spricht er: "Da hängt noch ein Mann im Mast;
Wir müssen ihn holen."

Da faßt ihn die Mutter: "Du steigst mir nicht ein!
Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,
Ich will's, deine Mutter!

Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn;
Drei Jahre verschollen ist Uwe schon,
Mein Uwe, mein Uwe!"

Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:
"Und seine Mutter?"

Nun springt er ins Boot und mit ihm noch sechs:
Hohes, hartes Friesengewächs;
Schon sausen die Ruder.

Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz!
Nun muß es zerschmettern...! Nein: es blieb ganz!...
Wie lange? Wie lange?

Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer
Die menschenfressenden Rosse daher;
Sie schnauben und schäumen.

Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt!
Eins auf den Nacken des andern springt
Mit stampfenden Hufen!

Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt!
Was da? - Ein Boot, das landwärts hält -
Sie sind es! Sie kommen! -

Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt...
Still - ruft da nicht einer? - Er schreit's durch die Hand:
"Sagt Mutter, 's ist Uwe!"
Otto Ernst (1862-1926)

Untote

Nosferatu – Quelle: Pinterest
Vom Volk berufen, mit Blindheit erdacht -
Tote, die nie wirklich schliefen.
Wer hat neues Leben in ihnen entfacht?
Menschen, die nach ihnen riefen!

Sie treiben umher, als entgottete Macht,
die Alpträume unserer Tage.
Sie wandeln nicht nur nach Mitternacht
durch die Länder als weltweite Plage.

Der Abgrund geöffnet, Himmel gestürzt,
des Glaubens Höhen gebrochen;
mit Einfalt paniert, ungenießbar gewürzt,
hat es nach Verwesung gerochen.

Rettende Ufer scheinen so weit. -
Schwimmt gegen den Strom! Nicht versagen!
Kraft des Geistes in totkranker Zeit
wird uns zum Festland tragen.

Illusionen

Quelle: Pinterest
Der Lichterglanz erwacht in Stadt und Land;
versunken war im Nebelmeer der Nacht,
das, was gewählt von Menschenhand,
im Schlaf sich dunkel, schwerelos befand.

Ich seh die Häuserzeilen, Dach für Dach -
sie reihen sich, wie Bienen Waben bauen,
und unter jedem findet man ein „Ach“,
das ohne Liebe ist und Selbstvertrauen.

Bewusst verirrt, durch viele Illusionen;
weil Ziele hier auf Erden unerreichbar sind,
wird die Erkenntnis in den Köpfen wohnen,
dass man im Leben nur auf dem Papier gewinnt.