Herbstschatten

Bertha Wegmann (1847-1926)
Der Sommer geht, man lässt ihn ziehen,
das Leben will in die Herbstzeit entfliehen;
kaum gekommen, mit Frohsinn und Tanz,
ist bald verronnen, der wärmende Glanz.

Schon losgelassen auf herbstlichen Straßen,
der Wind des Vergessens, des Gehenlassens.
Ein fröstelndes Auf-sich-selbst-Besinnen,
lässt mit Kühle die Jahreszeit beginnen.

Sonne, gedimmtes Licht, hell wie Kerzen,
zügelt das heiße Blut in den Herzen.
Gleich einem Docht, der zu Ende brennt,
schließt der Sommer plötzlich sein luftiges Hemd. 

Verschlossen liegt es, in der Tiefe der Zeit,
doch sie zeigt, dass das Schöne ist und bleibt.
Bald sehen wir Buntheit auf Weg und Rabatten,
der Welt verhüllter, vergänglicher Schatten. 

So seh‘ ich das Ende meines Strebens -
fällt wie welkes Laub vom Baum des Lebens.
Hat er geblüht? Sind meine Hände leer? 
Den Wanderstab, der oft zum Gehen schwer,
geb ich zurück, mit ihm mein altes Kleid,
geh zeitbefreit durch’s Tor der Ewigkeit. 

Jahresringe

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Bald schon wieder Festtagszeit!
Ein Jahr ist wie nichts verflogen,
Gegenwart so schnell vollzogen,
so, als hätt‘ sie sich befreit.

Frei von den vergang’en Lasten,
die so schwer zu tragen waren,
sind erinnernd, wie Gefahren,
die sich hin zur Zukunft tasten.

Immer drehen Schicksalsräder,
sind mal unten und mal oben;
weinend, lachend, jauchzend droben,
und das Los treibt sie in Gräber.  

Wie am Baum die Jahresringe,
zeigen sich des Lebens Jahre;
von Geburtszeit bis zur Bahre
liegen längst vergang’ne Dinge.

Wenn die Kerzen angezündet,
lasst die Lichter weit erstrahlen,
denn das Leuchten gilt uns allen.
Friedenszeit ist uns verkündet! 

Herr der Herrlichkeit

Bild von jplenio auf Pixabay

Wo ist die Lebenszeit geblieben?

Die Stunden schwinden zwischen Tag und Nacht,
und wieder wird des Tages Fracht
vom Rad des Schicksals angetrieben.

Wie ist das Lebensband verbunden?
Verbringt man gute oder wenig gute Stunden
in purem Gottvertrauen und Geleit?

Der Geist des Herrn der Herrlichkeit,
verbindet Lebenslicht und Zeit…
hält unser Lebensband gebunden.

Die Schaukel

An einer alten Wäschestange,
baute sie Vater, gar nicht lange,
so, gut vertäut an großen Haken,
konnte ich’s schließlich kaum erwarten,
das Sitzbrett unter’n Po zu schieben,
nach kurzem Zögern wollt ich fliegen.

Die Schatten huschten an den Giebeln,
es spukten Bilder an den Ziegeln
der Nachbarhäuser, auf und nieder,
mit jedem Wiegen sah ich’s wieder,
spürte in meinem Kindersinn,
dass ich ganz nah dem Himmel bin.

Ich schwang dem Schattenbild entgegen,
genoss das Fliegen und das Schweben,
mal vorwärts und mal hintenüber,
war ganz verträumt und schloss die Lider,
um eins zu sein mit Zeit und Wind,
war glücklich, wie‘s nur Kinder sind.

In unsrer kurzen Lebenszeit
gibt Freude schwebend Leichtigkeit
im Fallen und im Steigen,
wenn sich die Schatten neigen,
durchfliegen wir das Sein im Wind,
hinauf, hernieder wie ein Kind.