Eine kleine Frühlingsweise

Eine kleine Frühlingsweise nimmt mein Herz mit auf die Reise
in die schöne weite Welt hinaus!
Dort, wo bunte Blumen blühen, dort wo weiße Wolken ziehen,
steht am Waldesrand ein Haus.

Still, ohne Sorgen, friedlich geborgen
liegt dort die Welt im Sonnenschein.
Unter uralten Bäumen lässt es sich träumen,
in den goldenen Frühlingstag hinein.

Alle Bienen summen leise meine kleine Frühlingsweise,
bunte Falter flattern hin und her.
Die Natur auf allen Wegen streut den schönsten Blütensegen,
und die Rosen duften süß und schwer.

Doch wie bald ist all diese Pracht entschwunden,
die ein schöner Tag uns im Mai gebracht,
denn ein kalter Reif hat in nebelgrauen Stunden,
alles Grün vernichtet in einer Nacht!

Längst schon sind verstummt alle Vöglein auf den Zweigen,
und die Falter tanzen nicht mehr ihren Reigen,
selbst die alten Bäume hüllen frierend sich in Schweigen
und den Blümlein klein ist so traurig zu Mut!

Ach wie geht der Frühling doch so schnell vorbei!
Da ertönt ganz leise, leise meine kleine Frühlingsweise,
bis die gold’ne Sonne strahlend lacht,
und die Blumen blühen wieder, auch die Wolken ziehen wieder
und vergessen ist die kalte Nacht!

Freut euch der Jugend, nutzt jede Stunde,
wenn euch die Sonne strahlt im Mai.
Sucht die Schönheit im Leben, steht nicht daneben,
denn der Frühling geht ja doch so schnell vorbei.

Osterspaziergang

Vor dem Tor

von Johann Wolfgang von Goethe – Faust I

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden:
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!

Scherenschnitt – Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

April

von Erich Kästner

Der Regen klimpert mit einem Finger
die grüne Ostermelodie.
Das Jahr wird älter und täglich jünger.
O Widerspruch voll Harmonie!

Der Mond in seiner goldenen Jacke
versteckt sich hinter dem Wolken-Store.
Der Ärmste hat links eine dicke Backe
und kommt sich ein bisschen lächerlich vor.

Auch dieses Mal ist es dem März geglückt:
Er hat ihn in den April geschickt.

Und schon hoppeln Hasen,
mit Pinseln und Tuben
und schnuppernden Nasen,
aus Höhlen und Gruben
durch Gärten und Straßen
und über den Rasen
in Ställe und Stuben.

Dort legen sie Eier, als ob’s gar nichts wäre,
aus Nougat, Krokant und Marzipan.
Der Tapferste legt eine Bonbonniere.
Er blickt dabei entschlossen ins Leere.
Bonbonnieren sind leichter gesagt als getan.

Dann geht es ans Malen. Das dauert Stunden.
Dann werden noch seidene Schleifen gebunden.
Und Verstecke gesucht. Und Verstecke gefunden:
hinterm Ofen, unterm Sofa,
in der Wanduhr, auf dem Gang,
hinterm Schuppen, unterm Birnbaum,
in der Standuhr, auf dem Schrank.

Da kräht der Hahn den Morgen an!
Schwupp sind die Hasen verschwunden.
Ein Giebelfenster erglänzt im Gemäuer.
Am Gartentor lehnt und gähnt ein Mann.
Über die Hänge läuft grünes Feuer
die Büsche entlang und die Pappeln hinan.
Der Frühling, denkt er, kommt also auch heuer.
Er spürt nicht Wunder noch Abenteuer,
weil er sich nicht mehr wundern kann.

Liegt dort nicht ein kleiner Pinsel im Grase?
Auch das kommt dem Manne nicht seltsam vor.
Er merkt gar nicht, dass ihn der Osterhase
auf dem Heimweg verlor.

Erich Kästner (1899-1974)

Der März

von Erich Kästner
Foto: Gisela Seidel
Sonne lag krank im Bett.
Sitzt nun am Ofen.
Liest, was gewesen ist.
Liest Katastrophen.

Springflut und Havarie,
Sturm und Lawinen, -
gibt es denn niemals Ruh
drunten bei ihnen.

Schaut den Kalender an.
Steht drauf: "Es werde!"
Greift nach dem Opernglas.
Blickt auf die Erde.

Schnee vom vergangenen Jahr
blieb nicht der gleiche.
Liegt wie ein Bettbezug
klein auf der Bleiche.

Winter macht Inventur.
Will sich verändern.
Schrieb auf ein Angebot
aus andern Ländern.

Mustert im Fortgehn noch
Weiden und Erlen.
Kätzchen blühn silbergrau.
Schimmern wie Perlen.

In Baum und Krume regt
sich's allenthalben.
Radio meldet schon
Störche und Schwalben.

Schneeglöckchen ahnen nun,
was sie bedeuten.
Wenn Du die Augen schließt,
hörst Du sie läuten.
Erich Kästner ((1899-1974)

Die Würde der Frauen

von Friedrich von Schiller

Ehret die Frauen! sie flechten und weben
Himmlische Rosen ins irdische Leben,
Flechten der Liebe beglückendes Band,
Und in der Grazie züchtigem Schleier
Nähren sie wachsam das ewige Feuer
Schöner Gefühle mit heiliger Hand.

Ewig aus der Wahrheit Schranken
Schweift des Mannes wilde Kraft;
Unstet treiben die Gedanken
Auf dem Meer der Leidenschaft;
Gierig greift er in die Ferne,
Nimmer wird sein Herz gestillt;
Rastlos durch entlegne Sterne
Jagt er seines Traumes Bild.

Aber mit zauberisch fesselndem Blicke
Winken die Frauen den Flüchtling zurücke,
Warnend zurück in der Gegenwart Spur.
In der Mutter bescheidener Hütte
Sind sie geblieben mit schamhafter Sitte,
Treue Töchter der frommen Natur.

Feindlich ist des Mannes Streben,
Mit zermalmender Gewalt
Geht der wilde durch das Leben,
Ohne Rast und Aufenthalt.
Was er schuf, zerstört er wieder,
Nimmer ruht der Wünsche Streit,
Nimmer, wie das Haupt der Hyder
Ewig fällt und sich erneut.

Aber zufrieden mit stillerem Ruhme,
Brechen die Frauen des Augenblicks Blume,
Nähren sie sorgsam mit liebendem Fleiß,
Freier in ihrem gebundenen Wirken,
Reicher, als er, in des Wissens Bezirken
Und in der Dichtung unendlichem Kreis.

Streng und stolz, sich selbst genügend,
Kennt des Mannes kalte Brust,
Herzlich an ein Herz sich schmiegend,
Nicht der Liebe Götterlust,
Kennet nicht den Tausch der Seelen,
Nicht in Thränen schmilzt er hin;
Selbst des Lebens Kämpfe stählen
Härter seinen harten Sinn.

Aber wie leise vom Zephyr erschüttert,
Schnell die äolische Harfe erzittert,
Also die fühlende Seele der Frau.
Zärtlich geängstigt vom Bilde der Qualen
Wallet der liebende Busen, es strahlen
Perlend die Augen von himmlischem Thau.

In der Männer Herrschgebiete
Gilt der Stärke trotzig Recht;
Mit dem Schwert beweist der Scythe,
Und der Perser wird zum Knecht.
Es befehden sich im Grimme
Die Begierden wild und roh,
Und der Eris rauhe Stimme
Waltet, wo die Charis floh.

Aber mit sanft überredender Bitte
Führen die Frauen den Scepter der Sitte,
Löschen die Zwietracht, die tobend entglüht,
Lehren die Kräfte, die feindlich sich hassen,
Sich in der lieblichen Form zu umfassen,
Und vereinen, was ewig sich flieht.

In Karlsbad – Friedrich von Schiller (1759-1805)

Moderne Kultur

Satirisches Gedicht von Frank Wedekind

Quelle: Pinterest
Wie stapften wir einst als Kinder so stramm
barfuß durch alle Pfützen
und ließen uns den kalten Schlamm
hoch über die Kniee spritzen!

Wie einst als Kinder durch Hain und Flur,
so stapfen wir heut durchs Leben:
Der ganze Schlamm der modernen Kultur
bleibt uns an den Beinen kleben.
Frank Wedekind (1864-1918)

Shlof, majn Kind

„Shlof, majn Kind, majn trejst“ von Thomas Friz (1950-2023) eigener Veröffentlichung „Jiddische Lieder“ (1987) – Zupfgeigenhansel.

Shlof mayn kind
 
Shlof mayn kind, mayn treyst mayn sheyner
Shlof zhe, lyu-lyu-lyu!
Shlof mayn lebn, mayn kadish eyner,
Shlof zhe, zunenyu.
 
Bay dayn vigl zitst dayn mame,
Zingt a lid un veynt.
Vest a mol farshteyn mistome
Vos zi hot gemeynt
 
In Amerike iz der tate
Dayner zunenyu,
Du bist nokh a kind lesate,
Shlof zhe, shlof, lyu-lyu.
 
Dos Amerike is far yedn,
zogt men gor a glik,
Un far Yidn a gan-eydn,
Epes an antik.
 
Dortn est men in der vokhn
Khale, zunenyu.
Yaykhelekh vel ikh dir kokhn,
Shlof zhe, shlof, lyu-lyu.
 
Er vet shikn tsvantsik dolar,
zayn portret dertsu,
Un vet nemen, lebn zol er,
Undz ahintsutsu.
 
Biz es kumt dos gute kvitl,
Shlof zhe zunenyu,
Slofn iz a tayer mitl,
Shlof zhe, shlof lyu-lyu.
Schlaf kleiner Sohn.
 
Deine Mutter sitzt an deiner Wiege,
singt ein Lied und weint.
Eines Tages wirst du ihr Weinen verstehen
Und was sie dachte.
 
Dein Vater, kleiner Sohn
Ist in Amerika
Währenddessen bist du noch ein Kind
Schlaf, schlaf, lyu-lyu.
 
Man sagt, Amerika ist
eine Freude für jeden.
Und für Juden ist es ein Paradies
Eine Seltenheit.
 
Dort, während der Woche
Sie essen Khale-Brot kleiner Sohn.
Ich werde dir dort Brühen kochen,
Schlaf, schlaf, lyu-lyu.
 
Dein Vater wird zwanzig Dollar schicken
und auch sein Foto,
Und er wird uns dorthin bringen,
Möge er lange leben.
 
Bis die guten Dinge kommen,
Schlaf, mein Sohn,
Schlaf ist ein göttliches Heilmittel,
Schlaf, schlaf, Lyu-Lyu.

Dichter:
Solomon Naumovich Rabinovich, besser bekannt unter seinem Pseudonym Sholem Aleichem, war ein führender jiddischer Autor und Dramatiker.  Das Musical Fiddler on the Roof, das auf seinen Geschichten über Tevye the Dairyman basiert, war der erste kommerzielle Erfolg…
 
Gitarrist: Gerhard Graf-Martinez

English translation © Helen Beer

Sleep My Child
Sleep my lovely child, my comfort,
Sleep, lyu-lyu-lyu!
Sleep, my life, my kadish
Sleep little son.

Your mother sits at your cradle,
Sings a song and weeps.
One day you will understand her weeping
And what she thought.

Your father little son
Is in America
Meanwhile you are still a child
Sleep, sleep, lyu-lyu.

They say that America is
a joy for everyone.
And for Jews it’s a paradise
Something of a rarity.

There, during the week
They eat khale-bread little son.
I will cook you broths there,
Sleep, sleep, lyu-lyu.

Your father will send twenty dollars
and his photo as well,
And he will bring us there,
Long may he live.

Until the good things come,
Sleep little son,
Sleep is a god remedy,
Sleep, sleep lyu-lyu.

Poet
Sholem Aleichem

Solomon Naumovich Rabinovich, better known under his pen name Sholem Aleichem, was a leading Yiddish author and playwright. The musical Fiddler on the Roof, based on his stories about Tevye the Dairyman, was the first commercially successful…

Gitarrist: Gerhard Graf-Martinez

Winterwald

von Ernst Preczang (1870-1949)

Peder Mørk Mønsted (1859-1941)
Weiß steht der Wald. Du wandelst still
und weltentrückt einsame Pfade.
Der Himmel schüttet lichte Gnade
auf alles, was hier funkeln will.

Die Wipfel glühn, und Ast bei Ast
entlodern in das große Schweigen;
Sprühfunken rieseln von den Zweigen
und ihrer silberschweren Last.

Mit einer Riesenmütze schaut
der Busch aus schneeverklärten Gründen,
und alle Glockensternchen zünden
den Märchenglanz auf Moos und Kraut.

Breit fließt des Tages helle Macht,
ein Meer, dahin in sanften Wellen,
und aus den letzten Winkeln quellen
siehst blitzend du die weiße Pracht.

Es schweigt der Wald. Doch leise schwingt
um dich ein Lied aus fernsten Auen.
Du hörst es nicht. Du kannst nur schauen.
Und hörst es doch: das Licht, es singt.

Winterstille

von Johann Trojan (1837-1915)

Quelle: Pinterest
(gekürzt)

Nun hat der Berg sein Schneekleid angetan,
und Schnee liegt lastend auf den Tannenbäumen
und deckt die Felder zu, ein weißer Plan,
darunter still die jungen Saaten träumen.

Fried’ in der Weite! Nicht ein Laut erklingt
ein Zweig nur bebt und stäubt Kristalle nieder,
gestreift vom Vogel, der empor sich schwingt -
und still ist alles rings und reglos wieder.

In Winters Banden liegt der See und ruht,
die Wellen schlafen, die einst lockend riefen.
Nicht spielen mehr die Winde mit der Flut,
kaum regt sich Leben noch in ihren Tiefen.

Welch eine Stille! Kaum im Herzen mag
ein Wunsch sich regen, dass es anders werde.
Und doch, o Herz, du weißt, es kommt der Tag,
der wieder schmückt mit blüh’ndem Kranz die Erde.
Johann Trojan, porträtiert von Hermann Scherenberg (1879)

Winter-Idyll

von Christian Morgenstern (1871-1914)
Quelle: Pinterest
Schlitten klingeln durch die Gassen,
fußhoch liegt der Schnee geschichtet;
deutschem Winter muss man lassen,
dass er gar entzückend dichtet.

Und wir gehn, ein schneeweiß Pärchen,
Arm in Arm, mit heissen Wangen.
Welch ein süßes Wintermärchen
hält zwei Herzen heut gefangen!
Christian Morgenstern 1910