Trübsinn und Zweifel

Baron Frederic Leighton (1830-1896) – Solitude

Wann wird es sich ändern, das unstete Treiben?
Das Sitzen und Warten – so kann es nicht bleiben!

Nur Trübsinn und Sehnen nach besseren Zeiten,
wie lästige Fliegen, die mich begleiten;

wohin ich mich wende, nur kreisende Stille,
ein Vakuum, luftleeres Zeugnis der Fülle;

es ist wie es ist, nichts bringt es zum Ende.
Es gähnt mir entgegen die Kahlheit der Wände

und treibt mir das Grausen in meine Gedanken:
Die Taten so gräulich, wer bringt mich zum Wanken?

Wer trübt mir im Innern mein blankes Vertrauen?
Auf welchen Menschen kann ich noch bauen?

Wo blieb meine Zuversicht und meine Stärke?
Welch‘ Dramaturg spinnt hier finstere Werke?

Oh Gott, füll’ mich mit christlichem Licht
und nehm‘ mir die Kälte aus Geist und Gesicht,

möcht‘ wieder fühlen die Wärme und Kraft,
erleuchte mit Liebe mein Dunkel der Nacht!

Der Drache

Hexenmeister – Carl Spitzweg (1808-1885)

Wie eine lang gestreckte Kette
lag Haus an Haus am Wegesrand.
Die Menschen riefen: Gott, errette
uns vor der Hölle Leid und Brand!

Uns fuhr das Übel in die Glieder,
durch den, der auf dem Berge wohnt,
der, seit die Drachen fliegen wieder,
im dunklen Schloss der Ritter thront.

Kennt keine Gnade, dieser Herr!
Brennt unsre Hütten, stiehlt das Vieh.
Wir sahn ihn mit dem Zaubrer stehn,
der zwang uns drohend in die Knie.

Auf einmal kam das Höllenstück
und schwang sich über Haus und Tal.
Der große Drache kam zurück
und brachte Ängste, überall.

Feuer und Schwefel spie er aus,
weil es sein Meister ihm befahl.
Dann flog er unters Wolkenhaus,
zur Höhle hinterm Wasserfall.

Er hatte keinen eignen Willen
und Selbstbewusstsein war im fremd,
wurde gerufen, zu erfüllen,
bis jedes Haus im Dorfe brennt.

Doch eines Tags, da stand ein Kind
vor ihm mit Gott erfülltem Lachen.
Da hielt er an und bat den Wind,
die vielen Feuer auszumachen.

Seitdem ward er nie mehr gesehen,
da blühte Gutes auf aus Bösem.
Oft kann ein seltsames Geschehen,
den Bösen liebevoll erlösen.

Immer aufs Neue…

Bild: Karin M.

Müde bin ich,
der Tag ist lang.
Augen auf!
Schleppend mein Gang.

Essen –
wohl noch eine Weile.
Tagesablauf:
kein Drang, keine Eile.

Katzen verwöhnen,
dann Wolken schauen
und die Bäume…
essen, verdauen.

Dösen und sinnen,
Gedankenfieber!
Katzen streicheln,
was ist mir lieber?!

Blätter, sie schaukeln
an den Zweigen.
Neues Grün…
Lebendigkeit zeigen!

Zusammengefallen,
innerlich leer.
Noch wenige Stunden…
dann mag ich nicht mehr.

Die Fernsehbilder
sind fern und zeigen
fremde Stimmen…
ein Hören und Schweigen.

Ich lösche das Licht,
ruf nach Einschlafgefährten.
Meine ‚Schlaf‘-Katze streckt
ihren Bauch, den genährten.

In den Schlaf
gestreichelt so weich und schnell.
Die Nacht verging,
es wird wieder hell.

Immer aufs Neue…
Müd bin ich und bang.
„Augen auf!“, ruft die Stimme.
Wohin führt mein Gang?

So nah und doch so weit

Totes Lamm im Schnee – Briton Rivière (1840 -1920)

Ach, würd‘ die Welt doch singen,
bis in den lichten Tag,
in Harmonien klingen,
wie’s Herz und Seele mag.

Ach, würd‘ die Welt genesen,
mit vogelreichem Sang
und Wahrheit uns erlösen,
ein ganzes Leben lang.

Ach, wär doch endlich Stille
und Ruh auf dieser Welt.
Nur Gutes tun, der Wille,
ein Dasein ohne Geld.

Ach, wäre doch schon Frieden,
Gesundheit ohne Leid.
Die Lager voller Blumen
und Kinder voller Freud.

Ach, schmerzte nicht das Sehnen
nach der Vergangenheit…
mit allen Lebensplänen –
so nah und doch so weit.

Karfreitagstimmung

Caspar David Friedrich 1774-1840 – Spaziergang in der Abenddämmerung

Wie soll ich den Frühling genießen,
mit all seinen Blumengeschenken,
wo unlängst die Blüte der Liebe verwelkte,
in meinen Händen?
 
Wie kann die Sonne meine Seele erwärmen,
mit all ihrem Strahlengefunkel?
Wenn Tränen mir Sinn und Antlitz verhärmen,
bleibt mein Herz kalt und dunkel.
 
Wie kann ich Hoffnung in Gedanken binden,
wo alle Zukunftsbilder jüngst zerstört?
Wo werd’ ich jemals wieder finden,
was mir noch nie zuvor gehört?
 
Kann sich das Schweigen aus Gräberreihen,
wo kein Kreuz gleicht dem andern,
wie ein Wunder durch himmlischen Schluss,
ganz plötzlich in Lachen verwandeln?
 

Alpträume

Bild: Karin M.

Ängste, die ins Zimmer gleiten,
unvernehmbar still und leis,
Leiten dich durch Dunkelheiten,
auf ein düstres Nebengleis.

Fern vom täglichen Getöse,
angebunden an das Leid,
schaun, dass sich kein Faden löse,
aus dem Angst verwob‘nen Kleid.

Zerren deinem Gottvertrauen
manchen Zweifel aus der Krone.
Halten dich in ihren Klauen,
Lebensfreude wird zum Hohne.

Fehlerhaft das Pentagramm,
wenn der Dämon nicht mehr weicht.
Schlaflos sind die Nächte lang.
Schau, wie Nosferatu schleicht!

Geifernd schwebt er durch die Fenster,
hört dein angstvolles Erflehen.
Ach, es sind doch nur Gespenster!
Schau, wie die Gardinen wehen!

War doch nur ein böser Traum.
Weinend bist du aufgewacht.
Wiederkommen wird er kaum –
bald schon kommt die neue Nacht!

Abenteuer Leben

Gustave Doré (1832-1883)

Wenn des Lebens Abenteuer
noch an jeder Ecke warten,
fühlt man langer Wagnis Feuer,
durch das viele Pläne starten.

Wo der Weg bereitet liegt,
frei von Steinen oder Stufen.
Wo Barrieren frei er biegt,
hin zu unbekanntem Rufen.

Wie ein Blinder vorwärts geht,
ohne Licht, doch zielbewusst.
Geht ein jeder, und er strebt
froh ergeben und mit Lust.

Fühlt und tastet sich voran,
sieht sich schicksalhaft geführt.
Stolpert er auch dann und wann,
bleibt sein Streben unberührt.

Ohne Ende scheint der Weg.
Vor ihm liegt ein fernes Ziel?!
„Gib nur alles, und du bleibst!“,
wird für ihn ein Pflichtgefühl.

Wund gelaufen ist der Fuß,
muss bald kleine Schritte gehn.
Ihm entzieht sich manches Muss
und die Zeit um ihn bleibt stehn.

An der Schwelle angelangt
zögernd noch der letzte Schritt.
Lauscht des Liedes Abgesang,
nimmt den Glanz des Himmels mit.

Bis zum Abschied von der Welt
blüht ein jeder in der Zeit.
Erst wenn Blatt und Blühte fällt,
vereint uns Gott und Ewigkeit.

Geisterschiffe

Der Untergang der Titanic – Willy Stöwer (1864-1931)

Vergessen auf dem Grund des Ozeans.
Zerbrochen, irgendwann, im Rad der Zeit.
Die Strömung wiegt das Wrack des alten Kahns;
es scheint lebendig durch sein Algenkleid.

Zig Meilen tief, auf dunklem Meeresgrunde,
liegt die Geschichte längst vergess‘ner Tage.
Es traf ein Schlag das Schiff zur Unglücksstunde,
trug alle Seelen fort in Angst und Klage.

Zur Zierde Muscheln und Korallen kränzen
den morschen Rumpf und Heck behang’ne Streben.
Wo einst in Leben Hoffnungsbilder glänzten,
erlosch das Licht für manch‘ geplantes Leben.

Nach nie erfülltem Glück manch Dasein trachtet,
das in Vergessenheit herabsinkt auf den Grund.
Mit Menschen ist so manches Schiff befrachtet;
so mancher Hilfeschrei im Sturmgebraus verstummt.

Die Geister treiben mahnend durch die Stille
und wo die Brandung schäumend Land berührt,
verlassen sie den Schein der reichen Fülle,
weil nur der Weg zu Gott ins Leben führt.

Dunkle Stunden

Caspar David Friedrich (1774-1840) – Strand mit Fischernetzen

Die Tage kurz, die Nächte lang.
Man könnte immer schlafen.

Die trägen Stunden ziehn sich dann,
wie’s Fischernetz im Hafen.

Geflickt und löchrig hängt es dort,
das graue Netzgewebe.

Manches hängt drin, oft ist es fort,
wie die Gedanken eben.

So quält man sich im Stundensinn
ganz langsam durch das Dunkel

und hofft bei Tages Anbeginn,
die Sonne wird bald funkeln.

Gedankennetze werf‘ ich aus,
mal dies, mal das zu fangen.

Doch leer ist‘s meistens. Ach, oh Graus,
im Kopfe bleibt nichts hangen!

Vergangenheit hat allen Drang
zu schreiben stets besessen.

Was wollt‘ ich nun, was treibt mich an?
Ich habe es vergessen.

Weiterleben

Julius Porcellis 1610-1645 – Sonnenlicht bei stürmischer See

Das Lebensende ist letztendlich
unabwendlich;
wir zögern sie hinaus, die letzte Stunde,
kämpfen noch um die dunkelste Sekunde,
weil wir mit letztem Atemzug an der Materie kleben;
erlöste Masse –
wie vergänglich war dein Streben,
nun gilt dein geistig Weiterleben
wohl einer andren Klasse.