Vater – 23.09.1927

Schon sechs Jahre sind vorbeigegangen,
seit ich dich zum letzten Mal gesehen;
nur gedanklich kann ich heut zu dir gelangen,
bist längst abgerufen, musstest gehen. 

Hatte angstvoll meinen Blick auf dich gerichtet,
als Kind verehrt, dein Handwerk und Geschick.
Stets warst du dem Job im Werk verpflichtet,
der Wohlstand brachte, kein Familienglück.

Warst einst in eine Welt hineingeboren,
die hasserfüllt, barbarisch, voller Leid.
Kanntest nur das. - Vom Kriege auserkoren,
fiel dann dein Vater, führertreu, in dieser Zeit.

Du warst ein Junge von erst fünfzehn Jahren,
da rief man dich zum Dienen in den Krieg;
dort fing man dich, in seinen letzten Tagen,
in Frankreichs Lager gingst du, ohne Sieg. 

Als du heimkamst, war deine Welt verdorben,
der alte Sinn geblieben, doch er schwieg;
der Gleichgesinnten Hand hast du erworben, 
die dich dann liebend in die Ehe trieb.

Kinder mussten sein – so war es üblich;
allen zeigen, dass man’s machen kann.
Das Erziehen, lästig und verdrießlich,
man schlägt sie lieber, dann und wann. 

Im bürgerlichen Haus warst du Tyrann, 
der Dominanz verpflichtet, Ehefrau und Kinder.
Nicht in die Augen schauen, galt es dann,
wie einem Hund, der beißt sonst seinen Schinder. 

Du warst einst stark, doch Alter brachte Schwäche
und eine neue Gattin - das, was war, zertrümmert;
als wenn nur noch dein Schatten zu mir spräche,
unter Tränen: „Hab mich nie um dich gekümmert!“

Hab längst vergeben, doch vergaß ich’s nie,
hat viele Lehren mit auf meinen Weg gegeben.
Bin ich ein Stück weit nicht auch so wie sie?
So viele Fragezeichen stehn in meinem Leben. 

Jeder Tag, ein fallendes Blatt

Wir sterben jeden Tag ein wenig mehr,
mitten im Leben ruft es uns zurück,
zurück in unsichtbare Dimensionen,
zu Sphären, wo die Unsichtbaren wohnen,
die Freiheit spüren, körperlos und wartend,
auf einen neuen Lebensauftrag, der sie zwängt,
in Panzer, wo die Fähigkeiten eingeengt;
in Körper, die mit tausendfachen Seelenteilen
mit Hoffnungen zur Sonne eilen.

Doch wer die Sonne sucht im Außen,
wird ihren Schein nur fühlen, niemals lauschen,
der Stimme, lichtvoll, unbewusst im Innen.
Er wird in den Gedankenkreisen schlingern
und suchend stets vor den Barrieren stehen,
die in die Irre führten und vergehen,
wenn er das Licht am Ende niemals findet.
Denn jeder trägt den Herbst in seinem Leben
zum Winter hin, dem neuen Tag entgegen.

Schlaf unter Sternen

Musik: Ronald James Karle | Sleep among the Stars | Arr. Stefan Kraus

Das von Stefan wundervoll arrangierte Klavierstück von Ronald Karle inspirierte mich zu diesem kleinen Gedicht. Danke!

Der Himmel voller Sterne,
im Wellengang der Zeit,
unsagbar fernes Licht,
unendlich ist dein Kleid.

Dort, wo es faltig schwingt,
verdeckt es manchen Glanz,
es wandelt sich und singt
im ew‘gen Sternentanz. 

Wenn Sonnenlicht vergeht,
das täglich uns umströmt,
zeigt sich das Bild der Nacht,
das unsren Schlaf verschönt. 

Träum‘ unterm Sternenzelt,
von aller Last befreit -
vom Geist beseelte Welt,
tausch ein in Glück das Leid.

Eigenschaften

Quelle: Stadtmuseum Berlin
Die Eigenschaft wohl staunenswerter Dinge
technischer Wunder, schufen sie, die Männerwelt;
sich untertan zu machen, zu bezwingen,
die Elemente, Machtfülle und schnelles Geld. 

Die Welt versöhnen und beglücken,
aufrichten, was zerbrochen und gestürzt;
die Weiblichkeit hat hier in vielen Stücken
hingebungsvoll Zerfall und Leid gekürzt.

Im letzten Krieg hat sie mit starken Händen
erfinderisch und selbstlos in Ruinen,
die Reste von zerschossenen Häuserwänden
geborgen unter Bomben, Schutt und Minen. 

Die meisten, die im Bann der Führung standen,
ob Mann, ob Frau – fast alle liefen mit.
„Großdeutsches Reich“ – wie viele fanden
in deinem Größenwahn das Grab, kein Glück?!

Die schwer Verletzten stützen, Kranke pflegen,
vom Krieg gezeichnete mit Sanftmut trösten,
mit Zartheit und erfinderischer Liebe hegen,
Gebete sprechen den zu früh Erlösten. 

Die Welt erobern, das ist Männersache;
selbstlos an andere zu denken, edles Ziel.
Ein auseinander Streben längst parteiische Sprache,
zerstört, statt aufzubauen – ein verlorenes Spiel. 

Männlich zu sein, heißt nicht, laut schreien,
denn wer laut brüllt, hat niemals recht. 
Im Stillen und im Hintergrund zu scheinen,
wie eine Sonne, tut den Menschen recht. 

Bizarrer Mond

Quelle: Pinterest
So prächtig ist er da, in sternenklarer Nacht,
durchdringt die Welt mit kühlem Glanz,
wälzt Mensch im Traum in stiller Wacht,
treibt in Bizarrheit silbrig Mummenschanz.

Gezeiten an den Küsten unsrer Meere,
beschleunigt durch der Sonne Kraft,
Gravitation durch stille Daseinsleere,
die erdgebunden nächtens schlaflos macht. 

Verlangsamtes Leben

Quelle: Pinterest
Der Monat trieft aus Poren und Ritzen.
Verlangsamtes Leben durch Hitze und Schweiß.

Ich kann ihn nicht leiden, will nicht mehr schwitzen.
Wo ich die Kühle suche, ist‘s heiß.

Die Wiese verbrennt, besonnt und verdorrt,
wie durch ein Brennglas trifft es die Welt.

Die Winde sind warm, die Schatten fort.
Wer hat diese Jahreszeit bestellt?

Fast tröstlich, der Gedanke an Eis –
wie ein Tropfen auf den heißen Stein!

Ein Regentanz im heil’gen Kreis -
könnte vielleicht der Retter sein.

Egal, ich tanz nicht. Ich tu‘ lieber nichts.
Bewegen verboten! Ergeb‘ mich der Zeit.

Man dümpelt so hin, als Opfer des Lichts.
Die elende Wärme – ich bin sie so leid!

Wesenlos

Es liegen zurück schon so manche Jahre,
voll fremder Gesichter und Avatare;
als Bildchen bekannte, doch fremde Gestalten,
fiktives Interesse an Worten und Walten
und anscheinender Sympathie –
ans Herz gewachsen sind sie, irgendwie.

Die Bilder möchte man nicht mehr missen,
und jedes ‚Like‘ kommt mir vor, wie das Grüßen
eines Menschen, anonym und nie nah,
der mir niemals die Hand reicht. Nur als Schein ist er da.

Dann verschwindet er lautlos, ohne ein Wort,
und man fragt sich traurig: Weshalb ging er fort?
Man sucht die Schuld bei den eignen Ideen.
Imaginäre Freundschaft? Wer kann das verstehen!?

Genauso schnelllebig, wie diese Zeit,
trägt Oberflächlichkeit ein gefühlloses Kleid.
Wer früher im Telefonbuch stand,
hat sich heute ins Internet verbannt;

als anonymer Mensch, der sein Wesen verlor,
geht er dort mit geschützten Daten d‘accord; 
taucht unter in der Menge der Namenlosen,
und die Offenheit ist mit in die Tiefe geflossen.  

Das Jahr geht

Quelle: Pinterest
Der Sommer bäumt sich auf, 
als wär’s das letzte Mal
an dem er Trost und Licht sein kann;
denn trotz August im Jahreslauf,
trägt Sonnenlicht gedämpften Strahl,
wie auch der Herbst ihn bringt alsdann.

Die Vögel schweigen ringsumher,
umflattern uns mit Schauer;
er trägt den Hauch von Ewigkeit,
die uns den Todesbecher reicht -
nichts ist von langer Dauer. 

Alles geht fort! – Verlassensein 
durchstreift die alten Glieder.
Man dreht sich um und ist allein,
die Nächsten gehn - kein Blick zurück, 
sie kehren nie mehr wieder. 

Das Jahr geht ohne Wiederkehr,
wie alle, die gegangen;
die um mich lebten, sie sind hier -
gedanklich einen Steinwurf weit,
von Dunkelheit umfangen.

Gedämpftes Licht

Ich friere -
zum ersten Mal in diesem Sommer;
im Raum ist’s kühl,
und ich verliere mich im Anbeginn des Tages.
Die Nacht war kurz, 
bedeckte das Gefühl von Gleichmut unter Träumen,
mit Menschen, fremd, von unbekannter Zahl, 
von Häusern, die sich an den Straßen säumen.

Ich schließ das Fenster, schaue zu,
wie Regentropfen an der Scheibe gleiten;
in meiner kleinen Welt,
da hat ein Herbst begonnen -
noch bricht ein großes Grün durch feuchte Zeiten.
Es wuchert ungestüm, wird mehr,
verdeckt den Schmutz der Mauerwand
und auf dem Boden blüht ein gelbes Meer,
das sich mit Frühlingslöwenzahn und Klee verband.

Und aus dem großen Wolkennass,
entleeren sich die Tränen, die der Himmel weint,
zeigen die Welt im dunklen Sonnenglas,
wie Buntpapier, durch das gedämpftes Licht durchscheint.

Grauer Tag

Quelle: Pinterest
Grau verhangen sind die Tage
und der Sommer geht dahin.
Regen lässt die Blüten fallen,
öde ist des Tags Beginn.

Traurig sinnend folgt der Wache
jedem Tropfen, der da fällt,
hört das Trommeln auf dem Dache -
es versinkt die Regenwelt.

Durch die Stunden geht ein Rauschen,
ein Gewitter zieht weit droben,
Blitz und Donner – neue Güsse
taumeln aus dem Nichts dort oben. 

Andere Sommer, andere Zeiten,
andere Menschen, andere Götter.
Einer bleibt: der Ewigliche -
unbeirrt vom Regenwetter.