Staub der Straßen

Ein und derselbe Ort in zwei völlig unterschiedlichen Zeitabschnitten –
Künstler: David Ambarzumjan (1999*)
Hoch, liegt der Staub der Alltagsstraßen,
die Leichtigkeit des Seins begrabend,
wo Zukunftsängste Lebenslust vergaßen 
und Freiheit kämpfte gegen Autokraten. 

So manches Herz hätte sich gern erhoben,
um in der Höhe heil’gen Hauch zu spüren,
doch hier in unsrer Welt hat er verloren,
zu schwer die Last, die unsre Wege führen. 

Verlernten gar die Kunst des Schwebens;
am Boden dieser Zeit sind wir gekettet.
Das Ego kämpft den Kampf des Überlebens,
wer anderen Steine legt, wird nicht gerettet. 

Es traten auf den Straßen kalte Schritte,
wie es das Menschenwerk zu tun verstand;
rissen so viele warme Herzen aus der Mitte,
und schleuderten sie an den Straßenrand.

Kein Herz aus Stein soll unsre Seele werden.
Seht, wie mit Leichtigkeit sie aufwärts schwebt!
Hebt sich empor der Geist, wird er auf Erden,
im Staub der Straßen, Seligkeit erleben. 

Schauplatz des Lebens

Leiser Leo Ury (1861 -1931)
Wenn dich die Mühen deines Tages schwächen,
die Beine schwer sind, wie aus Blei;
wenn du dich leer fühlst, ohne Sinn zu sprechen,
du schweigend wünscht, dass es zu Ende sei. 

Schau an, die lauten Menschenmassen -
so ausdruckslos die Mienen um dich her. 
Es sind so viele, die alleingelassen,
ganz ohne Heimat, fühlen sie nichts mehr. 

Der Mensch der Erde ist sein eigner Schatten,
er bindet andere mit Liebesschwüren,
die schon beim ersten Hauch von Einsamkeit ermatten,
und ihn beim letzten Glockenschlag verlieren. 

Kein Mensch ist einsam, weil es alle sind!
Die Wüste „Einsamkeit“ hat große Straßen.
Sie sind belebt, dort herrscht ein rauer Wind.
Verborgen ist der Schmerz, den sie begraben.

Man eilt vorbei, ganz ziellos ist das Schauen -
auf diesen Straßen sucht man sich vergebens.
Gesenkte Lider – Männer gehn, wie Frauen,
passieren still den Schauplatz ihres Lebens.

Ein Tropfen Glück

Quelle: Pinterest – Amanda cass art
War wie ein großer Tropfen Glück,
der mir als Träne in den Augen stand.
Da fühlte ich von Ewigkeit ein Stück,
wie ein in Liebe unlösbares Band. 

Ein kurzer Augenblick, nicht mehr,
nur ein Moment - er fand mein Herz. 
Damals versank ich, wie in einem Meer;
doch meine Welt ertrank im Schmerz.

Einschließen wollte meine Seele
das Glück - ein flüchtig‘ Ding auf Erden,
dass es kein andrer Mensch mir stehle;
beglückt sollte mein Leben werden. 

Der Rose, die am Dornbusch blühte,
der sich getränkt an mancher Träne,
glich ich, die ich im Leiden liebte;
zwei Welten: hässlich vs. schöne. 

Schwarzes in Goldnes umzuwandeln,
ist heilend der Erinnerung Essenz.
Erkenntnis ziehn aus allem Handeln
die Lebenskunst und Konsequenz.

Auswege

William Adolphe Bouguereau (1825-1905)
Auswege aus dem Labyrinth des Lebens,
Einbahnstraßen mit Wendeverbot.

Passagen mit Kopfsteinpflaster,
holprige Irrwege in Sackgassen endend,
rütteln unsanft an deiner Seele,
reißen Wunden,
verschließen dein Herz,
machen ängstlich,
lassen Wünsche unausgesprochen,
aus Furcht vor neuen Verletzungen,
bohren sich in dein Bewusstsein,
filtern deine Gefühle,
machen deine Seele einsam,
die nach Wärme und Liebe dürstet.

Suche nach höheren Ebenen!
Folge dem Ruf und der Anziehungskraft des Großen Geistes.

Lebe unter dem Segen des Glaubens
nach den universellen Gesetzen,
die Liebe und Weisheit sind.

Vollkommener Glaube wird aus Wissen geboren.

Kehre um, auf der Suche nach der Herrlichkeit
deiner von Engeln beleuchteten Wege,
die sich vor dir ausbreiten,
wie die Wärme des Lichts.

Bitte um Leben

Phil Greenwood (1943*)
Herrgott, halte Deine Hände 
über alle Not auf Erden,
lass‘ auf eingestürzten Wänden
wieder neues Leben werden!

Hoffnung, unter Schutt begraben,
wo das Haus stand, das geliebte.
Trümmer, wo die Menschen starben
und ihr Schicksal sie besiegte. 

Bald schon wird es Blüten schneien,
die aufs Erdengrau sich gießen;
lachend werden Seelen sein,
die das Schattental verließen. 

Kahle Büsche, Spitzen schimmern -
Welt wird grün in altem Lauf.
Sonne wärmt im Frühjahrsflimmer
kalte Erdenschollen auf.

Linder Frühling, komm‘ mit Leben,
schenk der Menschheit Sinn und Glanz,
offenbar‘ im Aufwärtsstreben
jeder Blüte, Weihetanz.

Auch, wenn starke Winde knicken
vieles im Vorüberwehen,
Schöpfergeist im Sturm zu schicken,
lässt das Brachland auferstehen.

Sang und Klang

Song of the heart – Joel Kirk Richards (1976*)
Singen möcht‘ ich, helle, reine Töne,
in die missklangreiche Welt hinein.
Möcht‘ ihr bringen, was den Geist verschöne,
Dur und Moll im Lied vereinen.

Wie die Vogelstimmen, die am Morgen
Tag und Sonne freundlich singend grüßen,
möcht‘ mein Lied, die allergrößten Sorgen
wandeln, dass sie schnell vergehen müssen. 

Auf dem Blütenteppich bunter Träume,
unter Bäumen, deren Kronen rauschen,
soll die grenzenvolle Welt der Zäune
meinen hellen Liedern lauschen.

Die Akkorde möchten aufwärts schwingen,
wie die Wolken, die um Berge kreisen.
Augenschließend werden sie erklingen,
wie ein Schiff durch Wolkenmeere reisen. 

Um ein notenreiches Werk zu singen,
hebt die Menschheit sich vereint zum Chor. 
Bleibt es nur ein Traum? - Ein hehres Ringen
bringt das allerschönste Lied hervor. 

Mutter

Almuth Sidonie Köhler, geb. Nicolay (1925-1997)
Mein Licht warst du! –
So eng und ganz verbunden, 
wie es ein kindliches Gemüt begreifen kann.

Herzlose Taten von dir,
hab ich nie verwunden,
die mir das Ur-Vertrauen schließlich nahmen.

Als kleines Mädchen
legte ich all mein Denken,
mein ganzes Dasein, brav in deine Hand. 
Dem Vater dienend -
so wie du, ihm Achtung schenken,
und immer folgsam sein, von Anfang an.

Du hast mich viel gelehrt,
von Nähmaschinen, 
vom Stricken, Häkeln u.s.w.
 
Bei uns zu Hause 
hast du glatt gebügelt,
was vor den Augen anderer, wie Plissee. 
Meine Eltern 1950
Den Leuten zeigtest du 
stets nur Fassade. Es ging darum,
mit Lächeln das Gesicht zu wahren. 

Im Vater-Mutter-Kind-Spiel
zuzuschlagen, ganz gleich warum, 
war mir aus Angst in Mark und Bein gefahren.

Still zugesehen, hast du - 
eiskalt war dein Fühlen -
weil’s dir am fremden Leib gerecht erschien.

Du strafst mich immer noch, 
wenn die Gedanken in mir wühlen.
Ich kann, so weit ich laufe, nicht entfliehen. 
Ihr wart so groß!
Ich nur ein kleiner Wicht,
der stets erdulden musste, was geschah.

Hab zu dir aufgesehen -
verklärt ist dein Gesicht.
Du lebst in meiner Seele, immerdar! 

War’s nicht genug

Aus dem Buch „Die Ephides-Gedichte“

Neil Black – Violín Fantástico, Vol. 2

Bild von Frauke Riether auf Pixabay
War’s nicht genug, dass der Menschen unzählige starben,
Stürzend, wie blühende Bäume, vom Blitze zerschellt?
Schleichet der Schatten, die Fackel gesenkt und die Stirne,
immer noch lüstern nach Leben durch unsere Stadt?

Wo er sein Auge erhebt, müssen Wesen ihm fallen;
Jetzt, nach den Menschen, die Bäume – das tröstliche Grün,
über Ruinen gebreiteter Schleier der Schönheit,
Spitzengardinen vor Fenstern, die keine mehr sind,

silbergewoben im Mondlicht. Lebendiger Atem
zwischen zerstürztem Gemäuer, das Leben begrub.
Ragende Stämme im Schutt und erhobene Häupter –
Beispiel und Sinnbild für uns, die wir Kämpfende sind.

Wehe der Welt, wenn die Not uns gebietet zu morden,
was wir bewundern! Und keiner weiß Trost uns denn ihr,
ihr meine Bäume! Noch sterbend in strahlender Flamme
senkt ihr den Segen der Sonne ins frierende Herz. 

„Leben ist nicht genug“, sagte der Schmetterling. „Sonnenschein, Freiheit und eine kleine Blume gehören dazu.“ – Hans Christian Andersen im Märchen „Der Schmetterling“

Zeitgeist

Die Zeit vergeht,
so zäh wälzt sie sich oftmals,
wie ein Lavastrom
und so behäbig,
manchmal scheint’s,
sie ist nur Illusion.

Durch die Epochen
kommt sie gekrochen;
doch halten kann man sie nie,
und irgendwann wird sie vergehen,
mit ihr das Zeitgeschehen,
und eine neue Zeit
sie folgt der alten,
so, wie ein endlos Band
geknüpft an die Gewalten
der vergang’nen Zeiten,
steht sie in dunklem Kleid
und hast du sie erkannt,
wird sie dir sanft entgleiten.

Am Wege

Peder Mørk Mønsted (1859-1941)
Die alte Weide treibt in ihren Ruten
die neuen Blätter, himmelwärts, zum Licht.
Sie spiegelt sich verzerrt in ruhigen Fluten
des Baches Lauf und fließend Angesicht.

Die hellen Birken nässen ihre Zweige 
im Morgentau und wiegen sanft im Wind;
bald stehn sie da, in neuem Frühlingskleide, 
die Krone tragend, weil sie Königinnen sind.

Die Bäume öffnen sehnsuchtsvoll die Lüster -
ein rechter Ort zum nächsten Nesterbau. 
Ein Rascheln - heimlich geht ein Flüstern
durch alle Welt von Baum und Wiesentau.

Der erste Löwenzahn ist gelb erblühet,
mit weißen Gänseblümchen ringsumher,
die Vögel sind in aller Herrgottsfrühe
dem blauen Himmel nah, im Sonnenmeer.

Im Frühlicht möcht‘ ich stehen, bei den Bäumen,
und Deinen heil’gen Atem spüren.
Fühl‘ Dich in jedem Lächeln, jedem Träumen;
auf allen Wegen wirst Du mich berühren.