Weihnacht

Ich wünsche Euch…

Die Winterstürme durchdringen
die Welt mit wütender Macht. –
Da sinkt auf schneeigen Schwingen
die tannenduftende Nacht…

Da schwebt beim Scheine der Kerzen
ganz leis nur, kaum, daß du’s meinst,
durch arme irrende Herzen
der Glaube – ganz so wie einst…
Da schimmern im Auge Tränen,
du fliehst die Freude – und weinst,
der Kindheit gedenkst du mit Sehnen,
oh, wär es noch so wie einst!…

Du weinst!… die Glocken erklingen –
es sinkt in festlicher Pracht
herab auf schneeigen Schwingen
die tannenduftende Nacht.

Rainer Maria Rilke, 1875-1926

Denkmale

William Wyld: Manchester from Kersal Moor (1852)

Kalt geworden sind die Herzen,
Menschheit biegt sich unter Schmerzen,
Welt gebiert ein Kind der Zeit,
das im Weltgedächtnis bleibt.

Lange Schatten an den Dächern,
hohe Schlote stehn und fächeln
grauen Rauch ins Winterwerden,
trübe Luft verteilt auf Erden.

Was uns gestern Wärme brachte,
all die Feuer, die man machte,
in den Heimen und den Gärten,
längst vergangene alte Fährten.

Falsch sind viele Menschentaten,
einst bejubelt, dann verraten.
Daumen rauf und wieder runter,
davon geht die Welt nicht unter.

Denkmal heute – denk an morgen,
graues Mahnmal ist’s geworden.
Größenwahn und Herrschertum
lassen braven Geist nicht ruhn.

Freiheit ist des einen Freude,
die dem andern wird zum Leide.
Es bestimmt das Geld, die Macht,
welcher Mensch heut weint, wer lacht.

Schlot an Schlot, so kam das Grauen,
half so manchem Häuser bauen.
Reiche Industriekulisse,
heute sucht man Kompromisse.

Luftverschmutzung, Klimakrise,
grauer Dunst verschlingt die Wiese.
Schwerer Koksrauch ist verpönt,
ist den Menschen abgewöhnt.

pixabay.com

Vögel, die vom Himmel fallen,
sind der Aufruf an uns alle,
denn der Windräder Barrieren
ist kein Weg des Wiederkehrens.

Albtraum-Parks, wohin man schaut!
Windräder von Gott gebaut?
Räder werden einst Ruinen
und der Teufel haust in ihnen.

Winterfarbe

Bild von marcelkessler auf Pixabay

Das Wasser ist so trüb, so träg quält sich der Fluss,
und die Natur verdunkelt ihre Lebenslichter,
verstreut der tristen Winterstunden graues Muss,
treibt müdes Gähnen auf die Ruhezeit-Gesichter.

Der Boden, Höhlung durch des Wassers Kraft,
liegt hart und steinern unter weicher Fläche,
als eisig glitzernd in der Flocken Pracht,
der Frost anhielt der Fluten ew’ge Bäche.

In blasse Trauerfarben hüllt der Tag sich ein,
gefolgt von einer ewig langen Nacht,
die dunkel sich im Wintermondenschein
mit schwarzen Schatten kalt und endlos macht.

Der Wind, das himmlische Kind

Wind fegt die kalte Erde,
sattelt die wilden Pferde.
Sie schnauben und verwehen
und bleiben niemals stehen.

Weiß ist die Welt von Glitzer,
der Sturm ein Herrgottsschnitzer,
er weckt in kahlen Gärten,
des Winters Schlafgefährten,

nimmt mit in Windeseile
die losen Blätterteile.
Er braust durch Land und Straßen,
die Mensch und Tier verlassen.

Doch bald wird still das Sausen
und Ruhe folgt dem Brausen.
Das Volk, es schmückt die Fenster,
vertreibt die Wind-Gespenster

mit Tannengrün und Kerzen,
erhellt die trüben Herzen.
Im lichten Widerschein
tritt Seelenruhe ein.

Schneeflocke

Der Wind trägt dich aus fernen Weiten,
lässt dich aus grauen Himmeln gleiten,
glitzernd wie ein kristallner Stern.

Bist so vergänglich, winzig klein,
doch wirst du in Gesellschaft vieler Flocken
bald wie ein weißer Riese sein.

Ein kühler Hauch bist du, bedenkt,
aus Wasser nur – auch wenn man’s halten kann,
doch rinnt aus deinem Schmelz alsdann
wieder ein flüchtig’ Element.

Advent

Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird,
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit,
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Klänge von Zuhause

Bild von Rainer Maiores auf Pixabay

Vernimmst Du den heimlichen Klang?

Lausche in Dich hinein:
Wahrhaftig ein Künstler zu sein,
heißt, den heimlichen Klang zu ergründen,
Seele und Geist im Eins-Sein verbinden.

ER wird die Stille durchbrechen,
wird Dir singen und leis zu Dir sprechen,
fortnehmen, die Dinge, die Dich quälen,
Deine Beharrlichkeit wird er stählen.
.
Wirst Dich an den Ursprung zwanglos binden,
gemeinsame Wurzeln wiederfinden,
den fremden Lauten der Welt nachspüren,
um die falschen Akkorde zur Lösung zu führen.

Bis Du selbst der Klang bist, den viele vernehmen,
die sich nach höherer Einsicht sehnen.
Fühle die Disharmonie der Welt. Gib ihr neue Prägung.
Bringe sie geistig zu neuer Erhebung.

Zuflucht

Caspar David Friedrich – (1774–1840)

Ich seh’ ein fernes Schimmern
am klaren Firmament,
das wie ein Hitze-Flimmern,
mir sehnsuchtsvoll entbrennt,

nach weiten Ozeanen,
nach bergesweißen Gipfeln,
nach langen Promenaden
und grünen Tannenwipfeln.

Nach unbefleckten Ecken,
fern von der Welten Nöte,
will sich die Seele strecken.
Ein Ort, der Zuflucht böte,

von weltlich lauter Plage,
geschützt vom Lärm der Zeit;
wo Gott die dunklen Tage
mit Regenbogen weiht.

Will bunte Brücken bauen,
zu einem Ort – so weit,
und dann verzaubert schauen,
den Platz der Ewigkeit.

Brot der Sprache

Der jüdische Schriftsteller Hans Sahl (eigentlich Hans Salomon) 1902-1992 war vor den Nationalsozialisten nach Frankreich geflüchtet. Von dort gelang ihm 1941 die Emigration in die vereinigten Staaten von Amerika.

Kein deutsches Wort hab ich so lang gesprochen.
Ich gehe schweigend durch das fremde Land.
Vom Brot der Sprache blieben nur die Brocken,
die ich verstreut in meinen Taschen fand.

Verstummt sind sie, die mütterlichen Laute,
die staunend ich von ihren Lippen las,
Milch, Baum und Bach, die Katze, die miaute,
Mond und Gestirn, das Einmaleins der Nacht.

Es hat der Wald noch nie so fremd gerochen.
Kein Märchen ruft mich, keine gute Fee.
Kein deutsches Wort hab ich so lang gesprochen.
Bald hüllt Vergessenheit mich ein wie Schnee.

Trüber Herbsttag

John Atkinson Grimshaw (1836-1893)

Die Zeit scheint inhaltslos und schwer,
ein Vakuum, dem Energie entzogen;
von Regenstunden vollgesogen,
sind Häuser sichtlich nebelleer.

Vereinzelt gehen schnelle Schritte
vorüber an beschlag’nen Scheiben,
verlaufen sich im Klang der Tritte,
um sich dem Grauton einzureihen.

Ein dumpfes Dämmern fließt durch Adern,
Melancholie zieht an den Schwachen.
Vom Fluss des Herzens rinnt ein Hadern,
dem Schlafen näher als dem Wachen.

Voll Schweigen geht des Jahres Gang,
nach kleinen Schritten bleibt es stehen.
Von ferne lässt geweihter Sang
vom erdentrückten Land sich wehen.

So altvertraut klingt diese Melodie,
die sich vor Zeiten an die Welt verlor.
Ich war noch niemals dort, doch lieb ich sie.
Die Welt ist hier und mein Zuhause dort!