Windgötter

Sandro Botticelli (1445-1510) – Die Geburt der Venus

In Windeseile hingerafft,
was Menschenhand mit Müh gemacht,
dem Dasein abgerungen;
er bläst mit wilden Zungen.

Die physikalisch dichten Kräfte,
entblößen wirbelnd ihre Mächte,
zerstören Weltengärten –
Äolus und Gefährten.

Was Energie zu Boden drückt,
macht aus dem sommergrünen Glück
verwelkte Endlichkeiten,
wie bald die Sommerzeiten.

Begrenztheit ist das Los der Welt,
der Wind, er weht, wie’s ihm gefällt,
wird niemals eingeengter,
ist ein von Gott Gelenkter.

Saat und Ernte

Der Sämann bei untergehender Sonne – Vincent van Gogh (1853-1890)

Einst streute ich Samen auf Himmelswiesen,
gar prachtvoll und bunt war das Blühen,
und zwischen den wachsenden Paradiesen,
sah ich Engel Freude versprühen.

Auch streute ich tote Saat auf die Fluren,
der Wind trug sie in dunkle Welten.
Verloren das Leben in all ihren Spuren;
nichts konnte zum Keimen verhelfen.

Ich säte Samen der Liebe auf Äcker,
die karg und verdorben mir schienen.
Doch seht nur, die Saat war ihr sanfter Erwecker,
denn die Liebe ging auf in ihnen.

Dem Hass und der Wut war das Feld bereitet
durch mich; fegte fort das mit Liebe Gesäte.
Wie Unkraut wuchert das Übel, verbreitet
sich tückisch, verdarb Saaten und Beete.

Manch bittere Saat konnte Wurzeln schlagen,
war in meinem Lebensacker das Amen.
Nun leb’ ich auf ihm, ernte all seine Plagen
und weiß, ich selbst legte den Samen.

Mit dem, was ich säte in vergangenen Zeiten,
bin ich in dies Leben gegangen.
Meinen Lohn für Saat und Ackerarbeiten
werde ich einst zur Ernte empfangen.

Die maskierte Menschheit

Ausschnitt des Gemäldes von H. G. Leiendecker

Früh üben wir das Maskentragen,
bereits schon in den Kindertagen;
auch als Erwachs‘ne sehn wir nicht
das Wesentliche im Gesicht,

denn hinter wechselnder Fassade
sehn wir nur Maske, nicht die wahre.
Die echte Miene bleibt verborgen,
zeigt uns ein Lächeln ohne Sorgen.

Die Echtheit stempelt kein Gesicht,
nichts weist auf den, der unwahr spricht.
Von Andern in den Bann gezogen,
hat man für viele sich verbogen,

ist fasziniert vom fremden Tun,
dem gut zu sein, lässt uns nicht ruh‘n.
Erst bröckeln ihre Maskeraden,
wenn Böses wir durch sie erfahren.

Als Knechte eines falschen Herrn,
hatten wir ihre Masken gern.
Ist erst ihr Lächeln eingefroren,
geht was wir lieben schnell verloren.

Die Larve wird ihr Bild verdecken
und auch auf ihren Sterbebetten,
wo sie durch Lebensnot geschwächt,
sind erst die Totenmasken echt.

Arm und Reich

Jean-Léon Gérôme 1824-1904
CONDE, LOUIS III. DE BOURBON + LUDWIG XIV. VON FRANKREICH 1674

Den Glanz von einst, voll Sinneslust und prächtig,
trägt die Erinnerung mit Weh und tiefem Groll.
Wie gestern, sind auch heut’ die Reichen mächtig,
und blutend zahlt das Volk den bitt’ren Zoll.

Die Armut klafft aus offnen Weltenwunden,
die Qual des Hungers gräbt sich ein, voll Schmerz.
Auch heute liegt in trauertiefen Stunden,
manch’ sterbend Kind am stillen Mutterherz.

Man tanzt mit viel Glamour in Taft und Seide,
Champagner fließt und Kaviar wird serviert.
Da draußen, gar nicht weit im tristen Kleide,
wird eine trockne Scheibe Brot zum Mund geführt.

Verschwendung hier und anderswo das Darben,
wo Fülle doch für alle birgt die Welt.
Die Zeit legt auf die Wunden Wohlstandsnarben,
der Teufel dient alleine Macht und Geld.

Und was satanisch grinst aus den Gazetten,
ist, was Profitgier und die Politik serviert.
Die Armut wälzt sich angstvoll in den Betten
und Reichtum glänzt daneben, ungeniert.

Bettelnde Frau mit Tochter im 19. Jahrhundert

Mücken und Menschen

© Ingo Bartussek – Fotolia.com

Auf die alte Regentonne
fiel die erste Morgensonne,
wo sie schlafen,
die Mückenlarven,
bis zum Verpuppen,
in großen Gruppen.

Sie hingen nass,
im dunklen Fass,
erquicklich in der seichten Brühe,
erwachten sie in Herrgottsfrühe,
der Spaß vorbei,
das Einerlei.

Der Wasserspiegel sank
im morschen Regentank,
bis man’s entdeckte:
es leckte.

Besser wär’s hinaus zu hüpfen
und zu schlüpfen,
dachten sich die Puppen
am Schuppen.

Mücken Mädchen war’n geboren,
Männchen hatten längst verloren,
saßen nur noch dumm
auf den Pflanzen rum.

Mädchen wetzten ihre Stachel,
und sie lernten, Blut und Rache,
böse vor sich hin zu brummen
und beim Saugen zu verstummen.

Menschenblut auf ihren Fährten,
jagen spielend durch die Gärten,
fliegen durch die warme Luft,
durch den Sommerregenduft.

Finden wieder eine Tonne,
lockt sie in der späten Sonne,
und der lang ersehnte Regen,
lädt sie ein zum Eierlegen.

Es gibt in verschied’nen Schichten,
die böse brummen und die schlichten,
und and’re gibt’s, die hängen rum,
zu dumm.

Die Schaukel

An einer alten Wäschestange,
baute sie Vater, gar nicht lange,
so, gut vertäut an großen Haken,
konnte ich’s schließlich kaum erwarten,
das Sitzbrett unter’n Po zu schieben,
nach kurzem Zögern wollt ich fliegen.

Die Schatten huschten an den Giebeln,
es spukten Bilder an den Ziegeln
der Nachbarhäuser, auf und nieder,
mit jedem Wiegen sah ich’s wieder,
spürte in meinem Kindersinn,
dass ich ganz nah dem Himmel bin.

Ich schwang dem Schattenbild entgegen,
genoss das Fliegen und das Schweben,
mal vorwärts und mal hintenüber,
war ganz verträumt und schloss die Lider,
um eins zu sein mit Zeit und Wind,
war glücklich, wie‘s nur Kinder sind.

In unsrer kurzen Lebenszeit
gibt Freude schwebend Leichtigkeit
im Fallen und im Steigen,
wenn sich die Schatten neigen,
durchfliegen wir das Sein im Wind,
hinauf, hernieder wie ein Kind.

Der Ohrwurm

Der Betrunkene – Gemälde von Carl Spitzweg (1808-1885)

Ein Ohrwurm hing als kleiner Rest,
wie Fetzen, im Gehörgang fest,

dort trat er mit zerriss’nem Klang
ungnädig den Alleingang an.

Nach einer wohl durchzechten Nacht
hatte ein Mensch ihn mitgebracht;

statt Schlaf verfolgt ihn nun Musik,
mit Tönen, die dem Ohr nicht lieb.

Dort gingen didel-dadel-dum
die Schwindel ihm im Kopf herum,

und als des nachts sie kreisend flogen,
war Kopfschmerz in das Hirn gezogen.

Vom Alkohol gebeugt und stumm,
saß nun der Mensch im Bett herum.

Von der Musik war nichts geblieben,
der Ohrwurmfetzen war vertrieben,

der Rausch der Nacht war bald vorbei,
das Ganze ihm nun Warnung sei.

Dichten und danken

Gabriel Charles Dante Rossetti (1828-1882)

Kommt der Schöpfer allem Blüh‘n entgegen,
schenkt er diesem Sonnentag den Segen,

öffnen sich die Blühten nach dem Licht,
das sich in des Lebens Schatten bricht.

Mit dem Dichten schwebender Gedanken,
tasten Verse sich, wie grüne Ranken,

sind Verdichtung hier, wie ein Gebet,
das in Dankbarkeit zum Himmel schwebt;

möchte mit viel Tiefe weitergeben,
Worte, die geschenkt sind meinem Leben.

Still sein soll mein Herz

Ludwig von Hofmann (1861-1945) – Gretchen im Kerker

Still sein soll mein Herz –
kann im tiefen Schmerz
keine schwere Last mehr tragen,
will verzagen an der Welt,
an den vielen bangen Fragen,
die uns unsre Liebe stellt.

Oft trifft die Erkenntnis bitter
in den weichen Seelenkern,
und der letzte Hoffnungsstern
glänzt mir trübe durch die Gitter.
„Einzelhaft – ein Leben lang!“,
hör ich meine Seele klagen.

Werde niemals mehr befreit.
Will und kann es nicht ertragen!
Wenn der Kerkertüre Schluss,
sich vollzieht durch deine Hände,
fällt des Schattenbildes Guss
hier an die Gefängniswände,

und dein Bildnis schwebt im Raum,
um schnell wieder zu verblassen.
„Irgendwann muss ich dich lassen!“,
flüstert es mir leis‘ im Traum.
Kann das Schicksal nicht verstehen –
es erscheint mir wie ein Hohn!

Bleibt mein Wunschbild – Illusion?
Und beim traurigen Erwachen,
höre ich das Schicksal lachen:
Es trägt Deiner Stimme Ton!