Winterstille

von Johann Trojan (1837-1915)

Quelle: Pinterest
(gekürzt)

Nun hat der Berg sein Schneekleid angetan,
und Schnee liegt lastend auf den Tannenbäumen
und deckt die Felder zu, ein weißer Plan,
darunter still die jungen Saaten träumen.

Fried’ in der Weite! Nicht ein Laut erklingt
ein Zweig nur bebt und stäubt Kristalle nieder,
gestreift vom Vogel, der empor sich schwingt -
und still ist alles rings und reglos wieder.

In Winters Banden liegt der See und ruht,
die Wellen schlafen, die einst lockend riefen.
Nicht spielen mehr die Winde mit der Flut,
kaum regt sich Leben noch in ihren Tiefen.

Welch eine Stille! Kaum im Herzen mag
ein Wunsch sich regen, dass es anders werde.
Und doch, o Herz, du weißt, es kommt der Tag,
der wieder schmückt mit blüh’ndem Kranz die Erde.
Johann Trojan, porträtiert von Hermann Scherenberg (1879)

Hammer und Meißel

Steinmetz-Bruderschaftsrelief auf dem Quatuor Coronati- Fries in Florenz. – Quelle: Pinterest
Ein Leben lang bin ich der Bildner,
der meiner Seele Form verleiht;
am Anfang war ich wie ein Wilder,
das Ungestüme brach die Zeit. 

Sie glättete die neuen Wege,
machte sie gangbar, sandte Licht;
das hell mir schien auf jene Stege,
die zu mir raunten: „Geh sie nicht!“

Zeigten ein Bild der Menschenbrücke,
die schnell zerbricht, bei jedem Schritt;
ein Trugbild, das mit List und Tücke
verleitet in den Abgrund glitt.

Und plötzlich war ich erdentbunden,
hob ab, ganz körperlos und frei,
ich schwebte durch Jahrhundertrunden,
sah meiner Seele Konterfei.

Der Traum war mir ein milder Schimmer,
in dem mir Gott den Meißel bot.
Ich bilde jeden Tag noch immer
mein Seelenbild – ganz ohne Not. 

Winter-Idyll

von Christian Morgenstern (1871-1914)
Quelle: Pinterest
Schlitten klingeln durch die Gassen,
fußhoch liegt der Schnee geschichtet;
deutschem Winter muss man lassen,
dass er gar entzückend dichtet.

Und wir gehn, ein schneeweiß Pärchen,
Arm in Arm, mit heissen Wangen.
Welch ein süßes Wintermärchen
hält zwei Herzen heut gefangen!
Christian Morgenstern 1910

Liebe sonder Klagen

Quelle: Pinterest
Ich bin so voll von Energie und Leben,
doch meine Kerze brennt nur noch ein Stück.
Noch wünsch ich mir ein Weiterstreben
und such in jedem Tag ein bisschen Glück.

Christsterne sind verblüht und abgefallen,
ihr Leben war nur kurz, doch Freude bringend;
will ohne Furcht auf Himmelspfaden wallen,
das Abgebrochene entfalten, zum Gelingen. 

Vielleicht hat Gott für mich ein Plätzchen,
das irgendwo vom Licht beschienen?!
Dort halte ich beim ‚Plätzchen backen‘ Schwätzchen
und freue mich auf heit’re Kindermienen. 

Ich warte auf die Lösung letzter Fragen,
dring‘ in die Tiefen, fühl der Worte Licht;
lässt Er mich ein, wo Liebe sonder Klagen,
lautlos erfüllend zu den Seelen spricht?

Sonnenaufgang

Bild von Wolfgang Dietz auf Pixabay
So kalt ist es heute Morgen,
so unbarmherzig der Wind!
Mit mir hinaus gehn die Sorgen,
die an meiner Seite sind.

Im Schnee verwehen die Pfade,
von anderen Menschen gegangen;
ich stapfe hinaus – alle Gnade
darf ich in der Schneeluft empfangen.

Die Welt ist erwacht und klirrend
sind die öden Straßen im Frost;
den Lärm des Verkehrs hör ich schwirren
und eisig weht es von Nordost. 

Nur ein kleiner Stern ist zu sehen,
der glitzernd am Himmel steht;
die kalten Stunden vergehen,
wenn die Sonne im Osten aufgeht. 

Göttliche Vorsehung

Göttliche Komödie – Inferno -Dante – Paul Gustave Doré (1832-1883)
Es quälen die grübelnden Fragen,
als starrten sie forschend uns an,
wie Augen der Sphinx offenbaren
sie lockend den zweifelnden Bann. 

Gefangen in Jetztzeit und Erbe
eines längst vergangenen Wahns,
stehn um uns Sorgen, wie Berge,
ohne Sicht für den göttlichen Plan.

Der Wohlstand der Welt ist im Wanken,
der vorlaut die Augen verschloss;
vertrauten nicht Gott, nur den Banken,
obwohl Sein Geist unser Leben ergoss.

Vertraut mit dem Herz eines Kindes,
das rein ist, voll Vertrauen und wahr;
dann wird klar, dass die Härte des Windes
nur die göttliche Vorsehung war. 

Kalte Gedanken

Julius Sergius von Klever (1850-1924)
Es wird bald Nacht sein, Gott,
gib für die letzte Fahrt mir Licht.
Kalt bläst der Wind von Nord
und rötet mein Gesicht.

Es wird noch lang nicht tauen -
der Reif hängt an den Zweigen
und aus dem flachen Land
seh ich die Nebel steigen.

Zeig mir den Weg nach Haus,
halt an die Weltenuhren,
deck zu mit Sternenglanz
und Mondlicht meine Spuren. 

Lass Kirchenglocken schlagen,
hör‘ sie durch Eis und Schnee;
so Gott will, werd‘ ich’s tragen,
das Schwere, wenn ich geh.

Wird sein kein Steingebilde,
geschmücktes Grab und Trauer,
wer Wahrheit führt im Schilde,
der ist allein – auf Dauer.

So blind bin ich, vertraue,
tappe durch Finsternisse;
wie die Lebendigen glauben -
und nur die Toten wissen. 

Aus deinen hohen Stämmen
wob Nacht nun graue Fäden,
der Schneeluft gilt kein Dämmen,
wenn lichte Flocken weben.

Gespenst der Nacht, nun weiche!
Unholde Wesen kriechen
um schneeverwehter Eiche,
aus Wald und Mauernischen. 

Muss dunkle Pfade gehen - 
tritt mir auch Angst entgegen,
werd‘ starken Mutes sehen:
auch dort liegt Gottes Segen.

Schattendasein

Ludvig Munthe (1841-1896)
Altes Jahr, du bist gegangen,
wie die Stunden, die dich füllten;
wechselhaft war dein Verlangen,
wenn sie sich in Gleichklang hüllten.

Wolltest leben und erneuern,
wie die Trauben an den Reben,
Menschenherz beglückt erfreuen,
andren Tod und Abschied geben.

Jedes Leben trägt die Schatten
längst vergang’ner Zeit wie Schleier,
die durchlöchert, denn sie hatten
nicht nur Frieden, Freude, Feier.

Schicksalsstunden, Angst und Leid,
der uns längst verlorenen Stimmen,
treiben mit uns durch die Zeit,
wo sie unvergessen schwingen.

Hoffe auf den neuen Frühling! 
Leidenswege müssen enden,
um im Osterland des Lichtes
alles Elend abzuwenden. 

Groß und mächtig

„Caesar“ – Adolphe Yvon (1817-1893)
Blutgetränkt sind viele Stätten,
die einst große Namen tragen,
derer, die mit Leid bedeckten
und mit Krieg, die für sie starben.

Die man „groß“ und „mächtig“ nennt,
sind nur Namen der Geschichte;
erst, als man ihr Tun erkennt,
hat sie eigner Hass gerichtet.

Schicksalsmächtiges Erleben
schlägt mit Wucht die Stirne nieder;
kann voll Demut sie nicht heben,
treibt die Schwere in die Glieder. 

Kein „Gewöhnen“ kann es dämpfen,
und man deckt es zu mit Schweigen;
still ergeben, statt zu kämpfen,
ringend sich mit Gleichmut neigen. 

Durchzukämpfen sind die Stunden,
mit Naturgewalten ringen
oder auf der Weltenbühne
mit den hohen Häuptern singen. 

Tragen volle Segensschalen
hin zu göttlichem Geschehen,
denn die vielen dunklen Tage
sind als heilige Pflicht zu sehen. 

Bildner Leid, du bist ein Treuer,
stählst Charakter, überwindest;
wahrhaft groß ist der Erneurer,
der in Gottes Kraft sich findet.