Lieben heißt sehnen

Sulamith Wülfing  (1901-1989)

Das Sehnen ist ein Band, das liebend bindet,
die Zauberschnur, die niemals reißt und bricht.
Wo sich die alte Liebe wieder findet,
da wird das tiefste Dunkel hell und licht.
 
Du strahlst in mir, wie Diamanten strahlen,
du reflektierst das Licht, so, wie ein Edelstein.
Lass‘ deiner Augen Glanz auf meine fallen,
du wirst der Glanz auf meiner Seele sein.
 
Du bist mir fern, doch öffnen sich die Schleier,
so wie die Sonne durch die Wolken bricht.
Und jedes Wort, das du mir schreibst erneuert,
was du mit deiner Gegenwart versprichst.
 
Die Liebe hält uns fest und ganz umschlungen,
nichts wird sie lösen – nicht in Ewigkeit!
Und ist dein liebes Wort schon lang verklungen,
dann schwebt es selig weiter durch die Zeit.
 
Das Band der Liebe ist um uns geflochten,
es bindet sanft, doch hart fordert die Pflicht.
Was unsre Träume, Wünsche, nicht vermochten,
nun eine andre Macht für uns erficht.
 
Gott gab uns Liebe, er wird uns geleiten,
damit wir rechte, lichte Wege gehn.
Er wird vor uns die Möglichkeiten breiten,
damit wir wagen, glauben und verstehn.
 

Verklärtes Bild

Wertvoll erscheint uns die Zeit,
die wir mit Menschen verbringen;
lieb uns die Gegenwart,
die unser Herz bringt zum Klingen. 

Sind uns wie Heimat und Ruhe,
erfüll‘n unsere Seele mit Licht;
verbinden wie Brücken die Ufer,
sehn die Tiefen darunter nicht.

Wenn erste Risse beizeiten
in wankenden Pfeilern entstehen, 
kann Achtung und Liebe entgleiten,
die Freundschaft zu Ende gehen. 

Gepresst in die Augenblicke,
die in langer Gemeinschaft verhüllt,
wird aus Hoffen um ewige Liebe,
ein verklärtes, vergangenes Bild. 

Traumgespinst

Alleine, mit Engeln gehen,
sich selbst im Traume sehen,
in fremden Sphären finden,
sekundenlang verbinden,

im Bild das längst vergangen,
Ängste von früher fangen,
auf einst Geliebte schauen,
Luftschlösser, die gebauten,

„Es ist vorbei!“ zu wissen,
der letzte Blick ein Müssen,
ohne Gefühl und Triebe,
verlassenes Bild der Liebe.

In alten Häusern leben,
wie durch die Räume schweben,
durch fremde Gassen eilen,
ganz schwerelos verweilen.

In Städten groß und schön,
nicht endend Stufen sehen,
vorbei an Menschenmassen,
die mich nicht sehen und fassen.

Nach Hause, will nach Hause!
Ein Suchen ohne Pause;
ein Fahren, Laufen, Warten
im Traum-Gedanken-Garten.

Tropfen

Wasserperlen kleben auf der Scheibe –
unaufhörlich wie der Regen rinnt.
Tropfen, schillernd im kristallnen Kleide,
fließen ineinander mit dem Wind.

Wie die Tropfen waren wir verbunden,
spürten uns bei Tag, im stillen Traum.
Nun ist alles, was uns band verschwunden,
keine Liebe füllt den toten Raum.

Kalt und leer hast du dich selbst beschrieben,
denn dein Lebenskrug brach jäh entzwei.
Nichts als Wehmut ist zurück geblieben,
und der Regen klopft den Takt dabei.

Alle Wärme wurde mir genommen,
spür‘ nur Kälte statt Geborgenheit.
Wird die Sonne nach dem Regen kommen,
oder gar ein neuer Winter vor der Zeit?

Abstand

Johann Heinrich Vogeler 1872-1942

Wie ein Dolchstoß traf mich dieses Wort,
wie ein Pfeil durchdrang er Mark und Bein.
Aus, vorbei! – Ein kurzer Schlussakkord,
klang mir warnend tief ins Herz hinein.

Wo vor nicht allzu langer Zeit
Nähe und Verbundenheit bestand,
löst nun dieses messerscharfe Wort
für ewig unser ‚untrennbares‘ Band.

Nichts blieb mir, nur Leere, Illusion.
Abstand halten, wird zur Zukunftspflicht.
Trifft mich doch dein harter Liebeslohn
wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht.

Deiner Liebe hab‘ ich blind vertraut,
doch sie war ein langes Trauerspiel.
Wo normal sie Zukunftsschlösser baut,
hattest du nicht einen Stein, – kein Ziel.

Alles nahmst du mir, nichts bleibt zurück.
Scherben kann man kleben, Herzen nie!
Kreuzt sich dennoch unser Weg ein Stück,
werd‘ ich Abstand halten…irgendwie.

Wandler der Stunden

Bild: Karin M.

Ich wollt‘ kein Jahr zurück,
nur eine einz‘ge Stunde,
in der ich alle Lieben wiederfinde,
und mich vor all der tot gemeinten Runde
verbeuge und in Demut mich verbinde,
gedankentief,
ob sie mir hold und weniger…
gleich gültig mild,
so streute ich das Maß der Dinge,
denn ohne all die vielen Wandler
meiner längst vergangenen Stunden,
ob leidvoll oder liebend und
in Harmonie verbunden,
wäre ich nicht der ICH BIN,
es ist doch alles Eins,
umschwebt von Gottes Sinn.

Schein-Freundschaften

Fotograf unbekannt

Freundschaften, die gar keine sind,
entlarvt man in Krisenzeiten.
Plötzliche Klarheit! Man ist nicht mehr blind,
wenn sie uns nicht mehr begleiten.

Was sich verband mit dem täglichen Tun
war wie ein ‚Gebrauchsgegenstand‘.
Jetzt, wo nicht mehr blieb, als lästiges Ruhen,
hat man sich still abgewandt.

Das Telefon klingelt längst nicht mehr,
die vertrauten Stimmen – verstummt.
Meine Anrufliste gelöscht und leer;
da ist auch kein Handy, das summt.

So einsam kann überhaupt niemand sein,
denkt man und gibt sich die Schuld.
Es geht sicher schlimmer, bin nur allein;
mich drückt inn’re Ungeduld.

Das Sprechen verlernt man in ‚Einzelhaft‘,
man IST nur noch über Gedanken.
Erinnerungen, in denen keiner lacht;
mein Leben geriet ins Wanken.

Da ist keine Hand, die mich sicher hält.
Sie sind schon alle gegangen!
Wo sind die Freunde in meiner Welt?
Unlösbar mein Unterfangen.

Verlassen hat man schon lange den Bund,
hat bessere Freunde gefunden.
Mein blinder Fleck auf dem Erdenrund?!
Freundschaft für Jahre, für Stunden?

„Freundschaften wachsen, wenn man sie pflegt.“
Hab ich ‚zu wenig gegossen‘?
Traurig ‚Verbundenheit‘ abgelegt,
das Schicksal hat’s so beschlossen.