Sibyllen-Weisheit

Orakel von Delphi – John Collier (1850-1934)

In einen Trancezustand versetzt schenkte Pythia in Delphi den Suchenden angeblich prophetische Wahrheit.

Ihre Worte, gleich einer Melodie aus ferner Zeit, waren wie Strahlen, die den Ängstlichen durch die Schatten leiteten. Pythia und die Sibyllen, geheimnisvolle Seherinnen und Meisterinnen der Weisheit, waren wie Wächterinnen des verborgenen Wissens, das sich nur Ausdruck verlieh, wenn Geist und Herz bereit waren, es zu empfangen. Ihr Blick schien durch die Schleier der Zeit hindurchzugehen, das Unsichtbare sichtbar zu machen.

Oft vernahm der Fragende ihre Worte mit Schrecken; ungläubig folgte er ihrer warnenden Stimme, die mit wachsender Klarheit Hoffnungen gab oder nahm. Manche Orakel ließen erschaudern, manche trösteten und klärten.

Doch gerade in der Härte der Wahrheit liegt eine Kraft, die verändert.
Sie zwingt dazu, das eigene Leben zu überdenken, Illusionen zu brechen und aus der Essenz dessen zu erkennen, was wirklich ist.

Die weisen Frauen der Antike, jene stillen Hüterinnen des Wissens, sprachen in Rätseln, doch ihre Worte waren wie Samen, die nur in einer offenen Seele Wurzeln schlugen.

Sie öffneten Türen zu Pfaden, die zuvor im Nebel verborgen lagen, und zwangen den Suchenden, einen Schritt ins Unbekannte zu wagen, um Antworten in sich selbst zu finden.

Auch heute noch bieten Kartenlegerinnen gegen Bezahlung eine Voraussage an. Doch Vorsicht, diese Inanspruchnahme kann zu einem gewissen Suchtverhalten führen, das sehr viel Geld kostet, wenn man es zu oft in Anspruch nimmt. Nur wenigen Wahrsagerinnen ist es erlaubt, tatsächlich Wahrheit zu sehen.

Doch wohin man sich wendet, entfliehen kann niemand vor sich selbst. Tief im Innern fühlt man, wenn man sein Leben ändern muss.

Alle Planeten, die ganze Natur, alle Wesen, haben Einfluss auf das Leben.
Aber Meister der Seele ist jeder selbst, trägt persönliche Verantwortung und bestimmt das eigene Schicksal, je nach spirituellem Fortschritt.

Musik

Die tiefe Stille kann ich hören,
wenn ich versunken in das Sein;
mag keine Töne, die mich stören,
tauche in Wind und Sonne ein.

Hör nur die Klänge der Natur,
das Lüftchen, das durch Felder zieht,
hör Vögel, die ihr Singen nur
dem Tag geweiht, der langsam flieht.

Die weißen Wölkchen über mir
ziehn rasch vorbei am Himmelszelt,
das Blätterdach vor meiner Tür
rauscht sanft, wie Fisselregen fällt.

Alle Oktaven dieser Welt
erfahren wie in Symphonien;
wie ein Konzert für uns bestellt,
taucht unser Geist in Fantasien.

Einklang des Lebens, Harmonie
streicht Wellen der Erhabenheit
über den Geist mit der Magie,
die tief berührt die Seele heilt.

Sternenregen

Quelle: Pinterest
Am Ende der Zeit wird es Sterne regnen,
wie Karfunkelsteine werden sie fallen,
leuchten und kleiner sein in allem.

Die Herzen der vielen, die schon gegangen,
werden scheinbar zu pochen anfangen,
lassen den Puls der Zeitlosigkeit erfassen;
Gott wird sie im Menschsein belassen. 

Im Weltall werden tausend Sonnen verschmelzen,
der Himmel wird leer sein, nur erfüllt vom Licht,
und an allen Stellen
wird sich ewiger Tag erhellen,
aus dem ein Strahlen facettenreich bricht.

Ein Klang, wie von Engelsgesängen,
wird schwebend all das Leid zu Grabe tragen,
das sich an Erdentagen
Stufen zum Himmel eines jeden baute,
und von dort oben alle Blindheit verjagen,
die in den alten Köpfen graute. 

Körperlos im Traum

Quelle: Pinterest – Gemälde von Lisa Aisato *1981
Die helle Mondnacht zog mein Träumen an,
voller Gesichter hier und dort;
verwoben mit dem Jenseits dann und wann,
an einem unbekannten Ort.

Wo Rotation uns Jahreszeiten schafft,
der Erdball um die Sonne kreist,
lebt man dort Gegenwart, ganz ohne Tag und Nacht,
in ewigem Licht, das eigenartig gleißt.

Wie fremde Sphären - einfach grenzenlos;
ein jeder zieht ins Haus, das ihm gebührt.
Entfernungen sind klein und niemals groß -
nur ein Gedankensprung, der dort zum Ziele führt.

Kein Schlafen, nur ein Wachen, körperlos;
der Geist hält inne, wenn er Stärkung braucht.
Es übertrifft der Sinne Vorstellkraft,
so schön ist alles, wie in Pracht getaucht.

Und jede Klangoktave klingt wie Chor,
mit Hörbereichen, die dem Menschen fremd,
denn diese Töne dringen nicht ins Ohr,
sind körperlichem Spektrum divergent.

Begrenzt ist auch die sehende Natur;
die Farbscala ist nicht die Wirklichkeit.
In die Materie inkarniert zeigt sich die Spur
des Paradieses der Unendlichkeit.

Sekundenglück

Quelle: Pinterest – Foto von Benedetta Lavezzi
Glück ist wie ein Glitzern zwischen Zweigen,
das vergänglich ist in jedem Augenblick;
manchmal zeigt es sich beim Blätterneigen,
oft verdeckt, als ein Sekundenglück.

Geld ist Glück für manche die‘s verschwenden,
es verschwindet und vergeht im Überall;
merken auf, wenn goldbestreute Wege enden,
oft zu spät des Kieswegs Härte nach dem Fall.

Glück ist flücht’ges Glänzen wie auf Wellen,
wenn der Sonnenschein darübersteht;
wenn ein Gleißen ferner Himmelsquellen
durch die matten Fensterscheiben geht.

Glück ist das Erwachen ohne Sorgen,
ein Gedicht, berührend, seelentief,
glückliche Gedanken früh am Morgen
und mein Kätzchen, wenn es friedlich schlief.

Glück ist, wenn die Sehnsuchtsstürme enden
und die Wogenberge glättend sich verteilen;
Glück ist sich der Liebe zuzuwenden
und im Augenblick des Andern zu verweilen.

Tausend Zungen

Quelle: Pixabay
In tausend Sprachen und mit tausend Zungen,
so wie ein Klang sich zu dem anderen fügt,
fühlt sich im Innern jeder Mensch verbunden
mit jener Kraft, die tief im Innern liegt.

In Zukunft werden Kampf und Glück vergehen,
vertan mit einem Tun um Nichtigkeiten;
nur wenige, die Klang und Wort verstehen,
das Licht entzünden, wie in alten Zeiten.

Ist wie ein Klang aus fernen Tagen,
der ständig neu in Menschenherzen dringt,
der eine Antwort gibt auf alle Fragen,
der wie ein Wort des Heils Erleuchtung bringt.

Es ist der Menschheit weises Sehen
des Wissens um ein höheres Gesetz,
das hilft, die Gegensätze zu verstehen,
uns von Geburt begleitet, bis zuletzt.


Ein Lichtlein sein

Quelle: Pinterest
Ein kleines Lichtlein sein,

als Fünkchen Freundlichkeit mit Tiefenblick,
den längst verschwelten Docht entzünden,
der wie im Glanz der Flamme nur ein kleines Stück
des neuen Weges zeigt, heraus aus Schattengründen.

Als Kerzenflämmlein wie ein Leuchtturm sein,
den Blick auf sich gerichtet in der Dunkelheit.
Es fährt der Steuermann in ruhige Häfen ein,
wenn sich in nächster Nähe alles Gute zeigt.

Des Lebens Buntheit

Vincent van Gogh (1853-1890)
In Seinen Armen lass mich Frieden finden -
Er ist der Große Geist, der alles hält;
lass Ihn den Strauß des Lebens Buntheit binden,
von Stacheln frei gereicht zum Heil der Welt.

Auf Seinen Flügeln durch die Welten reisen,
getragen von der Macht der Energie;
durch Ihn in Licht und Liebe aufwärts kreisen
wie eines Adlers Flug in Fantasie.

In Seiner Schöpfung lass mich Heimat finden,
wie im Vergissmeinnicht erneuernd meine Zeit;
lass mich mit jedem Schritt die Welt ergründen,
am Wegesende die Unendlichkeit.

Weichzeichner

erstellt von Photofunia
Du Zeichner Zeit,
wie malst du mein Gesicht?
Ich schaue in den Spiegel
und erkenn mich nicht.

Wer bist du, dort im Glas,
so fremd und deformiert?
Ist DAS mein Konterfei,
das gerade ungeniert
mir in die Augen blickt?

Ein körperlicher Überrest
im Zerrspiegel der Zeit -
glaubtest, die Leichtigkeit der Jugend
sei ewige Unvergänglichkeit.

Der Tragödie letzter Teil

Quelle: Pinterest
Seht, die Vielen, die da weinen,
wie sie sich im Leid vereinen,
wie sie tastend vorwärtsgehen,
ängstlich keinen Ausweg sehen.

Finden nicht den Weg hinaus,
denn sie irren durch ein Haus
ohne Türen, fensterlos,
leeren Räumen, riesengroß.

Abgeschlossen von der Welt
sind sie auf sich selbst gestellt.
Nur die Nächsten gehen mit
einen Steinwurf weit ein Stück.

Wie es ihre Glieder schüttelt,
wie der Tod am Leibe rüttelt!
Die, die jetzt verlassen sind,
weinen Tränen wie ein Kind.

Treiben in erregter Stunde
durch des Strudels Todesrunde;
was im Körper aufbegehrte,
schwebt alsdann auf stiller Fährte.

Dann erlischt der Augenblick,
nimmt das Licht der Welt zurück,
um in letzter Agonie
loszulassen – irgendwie.

Wohl dem, der mit innerem Blick
tröstend sieht, der Stunde Glück,
denn er fühlt sich neugeboren,
leibbefreit und ohne Morgen.

Fit gemacht zur nächsten Phase
wird Verzückung zur Ekstase,
denn es dient dem Seelenheil
der Tragödie letzter Teil.