Untote

Nosferatu – Quelle: Pinterest
Vom Volk berufen, mit Blindheit erdacht -
Tote, die nie wirklich schliefen.
Wer hat neues Leben in ihnen entfacht?
Menschen, die nach ihnen riefen!

Sie treiben umher, als entgottete Macht,
die Alpträume unserer Tage.
Sie wandeln nicht nur nach Mitternacht
durch die Länder als weltweite Plage.

Der Abgrund geöffnet, Himmel gestürzt,
des Glaubens Höhen gebrochen;
mit Einfalt paniert, ungenießbar gewürzt,
hat es nach Verwesung gerochen.

Rettende Ufer scheinen so weit. -
Schwimmt gegen den Strom! Nicht versagen!
Kraft des Geistes in totkranker Zeit
wird uns zum Festland tragen.

Illusionen

Quelle: Pinterest
Der Lichterglanz erwacht in Stadt und Land;
versunken war im Nebelmeer der Nacht,
das, was gewählt von Menschenhand,
im Schlaf sich dunkel, schwerelos befand.

Ich seh die Häuserzeilen, Dach für Dach -
sie reihen sich, wie Bienen Waben bauen,
und unter jedem findet man ein „Ach“,
das ohne Liebe ist und Selbstvertrauen.

Bewusst verirrt, durch viele Illusionen;
weil Ziele hier auf Erden unerreichbar sind,
wird die Erkenntnis in den Köpfen wohnen,
dass man im Leben nur auf dem Papier gewinnt.

Nun wählet recht!

Quelle: Pinterest
Hört, wie sie lügen und die Welt betrügen,
und wie sie Wahrheiten im Mund verdrehen!
Gestikulierend werden sie im Schwall der Lügen
und in der Flut der lauten Worte untergehn.

Ob sie bewusst Ursache mit Wirkung tauschen
und „müssen“ sagen, wenn sie „wollen“ meinen;
ein Nichts gedankenträchtig aufzubauschen,
um da zu stehn, als gäb es nur ‚den Einen‘?

Erniedrigend, an Wehrlosen sich hochzuhieven! -
Wir wählen selber, was wir Zufall nennen.
Vielleicht sind es die Teufel, die wir riefen?!
Ist Blindheit leichter als das Selbsterkennen?

Ehrgeiz und Wahn

Planetarium Bochum
Wie wunderschön der Erde Glanz! -
Die Buntheit ihrer Farben,
als wär’s der Schöpfung Freudentanz,
der Reigen ihrer Gaben.

Allmorgendlich erwacht die Welt
im fernen Sonnenglühen,
und jeder Winkel wird erhellt,
lässt die Natur erblühen.

Besessner Ehrgeiz ist ein Wahn,
will ungehemmt zerstören;
der Mensch greift unseren Erdball an,
will Göttern angehören.

Unsterblichkeit bleibt ihm versagt,
mit sich zieht er die Massen.
Aufs Glatteis hat er sich gewagt,
wird nicht das Lügen lassen.

Man beutet aus – der Menschen Not
missachtend hingenommen.
Reichtum und Macht zerstörn das Brot,
das wir von Gott bekommen.

Bald wird der ‚Siebte Tag‘ zur Nacht,
erloschenes Schöpfungswesen.
Wird dann die Welt in alter Pracht
am ‚Achten Tag‘ genesen?*

*Lt. Jüdischer Überlieferung ist der 8. Tag nach der 7-Tage-Schöpfung prinzipiell der Tag der Auferstehung als Neuschöpfung.

Qual der Wahl

Vintage Grafik – Pyramide des Kapitalismus, Quelle: Pinterest
Entflieht den Wirren dieser lauten Tage,
in der die Wahl der Wägbarkeiten zur Bedrängnis wird,
als Hin und Her der Meinungen und Fragen,
Unvorstellbares als möglich präsentiert.

Es brodelt in den Töpfen des Geschehens -
zu viele Köche, die den Alltag uns verderben;
seh sie entkleidet, ohne Masken stehen,
die nicht ihr wahres Innerstes verbergen.

Getäuscht! – Wie alle Bilder gleichen.
Wer geht den Heilands Weg im Menschentum?
Wollt ihr dem Volke Schierlingsbecher reichen?
Geht die Welt dunkle Wege, nur für Macht und Ruhm?

Ihr Gottesleugner, faltet nur die Hände! -
Trotz „C“ habt ihr Ihm abgeschworen.
Nomen est omen! – Zeichen nur, nicht Wende.
Nach Golgatha folgt lichtvoll Ostermorgen!

Der Schutzengel

von Rainer Maria Rilke

Quelle: Pinterest
Du bist der Vogel, dessen Flügel kamen,
wenn ich erwachte in der Nacht und rief.
Nur mit den Armen rief ich, denn dein Namen
ist wie ein Abgrund, tausend Nächte tief.
Du bist der Schatten, drin ich still entschlief,
und jeden Traum ersinnt in mir dein Samen, –
du bist das Bild, ich aber bin der Rahmen,
der dich ergänzt in glänzendem Relief.

Wie nenn ich dich? Sieh, meine Lippen lahmen.
Du bist der Anfang, der sich groß ergießt,
ich bin das langsame und bange Amen,
das deine Schönheit scheu beschließt.

Du hast mich oft aus dunklem Ruhn gerissen,
wenn mir das Schlafen wie ein Grab erschien
und wie Verlorengehen und Entfliehn, –
da hobst du mich aus Herzensfinsternissen
und wolltest mich auf allen Türmen hissen
wie Scharlachfahnen und wie Draperien.

Du: der von Wundern redet wie vom Wissen
und von den Menschen wie von Melodien
und von den Rosen: von Ereignissen,
die flammend sich in deinem Blick vollziehn, –
du Seliger, wann nennst du einmal Ihn,
aus dessen siebentem und letztem Tage
noch immer Glanz auf deinem Flügelschlage
verloren liegt...
Befiehlst du, dass ich frage?
Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Gott sei Dank!

Evening glow – Andrii Kateryniuk (*1994)
Du bist am Morgen mein Beginnen,
am Abend bist Du meine Rast;
wenn manche Tage wirr beginnen,
dann bist Du’s, der’s in Rahmen fasst.

Du lässt gedankenfrei mich träumen,
wenn ich im Geist der Nacht versinke;
flutest mit Atemluft die Räume,
hältst mich, damit ich nicht ertrinke.

Du schenktest mir die Zeit des Lebens,
was sinnlos schien, ist längst ein Wissen;
bist mir der Sinn all meines Strebens,
bist mir ein Wollen, nicht ein Müssen.

Nachtzeit des Lebens

Quelle: Pinterest
Zünde ein Licht an in der Nachtzeit des Lebens,
wag dich durch das Dunkel, Schritt für Schritt;
wenn deine Füße über Hindernisse schweben,
dann hebt der dienende Geist dich ein Stück.

Mache Fragliches fassbar, beleuchte die Seiten,
manchmal wird der Grund dir unsicher scheinen;
geh durch all die quälenden Unwägbarkeiten,
lass die Stille in dir die Verwirrtheit verneinen.

Der Erkenntnis der Wahrheit reiche die Hände,
sie leitet auf sicherem Wege dein Schaffen;
folge der Weisheit durch erschlossnes Gelände,
wo große Empfindungen weinen und lachen.

Heulende Wölfe

Der Wolf in mir, ist wieder erwacht.
Er geisterte durch die Vollmondnacht,

die Lefzen triefend, die Zähne gefletscht,
zog er durch die Stadt, wie vom Teufel gehetzt.

Ist nur der Vollmond! - Wer ließ ihn frei?
Wer sprach die verbotene Litanei?

Was willst du in mir, du Seelendunkel?
Bist nur ein Trugbild im Vollmond-Gefunkel.

Deine roten Augen fürchte ich nicht!
Bist nur von Nacht gesponnenes Licht.

Wie der Mond versteck ich die dunkle Seite,
dass man verkennt, was ich selbst nicht begreife.

Es gibt viele Wölfe im eigenen Lande,
fürchten das Licht, wie die Treiberbande.

Wenn die Sterne tief am Nachthimmel stehen,
hör ich sie heulend den Mond anflehen.

Hell und Dunkel im Streit - ein Für und Wider!
Mondscheintraum – tiefgründiges Auf und Nieder.

Was ist die Welt?

von Hugo von Hoffmannsthal

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Was ist die Welt? Ein ewiges Gedicht.
Daraus der Geist der Gottheit strahlt und glüht,
daraus der Wein der Weisheit schäumt und sprüht,
daraus der Laut der Liebe zu uns spricht.

Und jedes Menschen wechselndes Gemüth,
ein Strahl ist’s, der aus dieser Sonne bricht,
ein Vers, der sich an tausend and’re flicht,
der unbemerkt verhallt, verlischt, verblüht.

Und doch auch eine Welt für sich allein,
voll süß-geheimer, nie vernomm’ner Töne,
begabt mit eig’ner, unentweihter Schöne,
und keines Andern Nachhall, Widerschein.
Und wenn du gar zu lesen d’rin verstündest,
ein Buch, das du im Leben nicht ergründest.

Hugo von Hoffmannsthal (1874-1929)