Alter Klang

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Wie ein antik-vergilbtes Notenblatt
aus einem weitgereisten Koffer alter Zeit,
in dem der Moder keine Wirkung hat,
umfasst die Patina das welke Kleid. 

Mit rötlich-braunen Flecken hier und dort,
die Handschrift undeutlich verschwommen -
vergang’ne Harmonie ans Licht geholt,
auf ein Papier für Klang und Ton ersponnen. 

Wer war die Hand, die dir das Leben lieh?
Welch‘ Geist umfasste Seele und Gemüt?
War’s deines Glückes hellste Melodie,
die dir wie eine Rose aufgeblüht?

Wie lange warst im Dunkeln du verbannt,
wann klang das Lied zum allerletzten Mal?
Im Koffer zur Vergessenheit verdammt,
war es, macht sein Vermächtnis rar. 

Ein Mollakkord hängt in der Abendluft -
der Geige Jubel klingt so königlich. 
Versprüht im Geist von damals Maienduft.
Hör‘, wie es singt! Erlöst es jetzt auch mich?

Stufen

von Hermann Hesse
Quelle: Pinterest
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu jeder Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen.
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegensenden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde.
Hermann Hesse (1877-1962)
Gemälde von Ernst Würtenberger 1905

Sehnsucht nach dem Jenseits

Camille Flammarion (1842-1925) – Wanderer am Weltenrand, wo Himmel und Erde sich berühren
Wann fängt beim Menschen eine Sehnsucht an?
Er will hinaus in alle Welt und möchte gehen.
Ein jeder fühlt dies Sehnen dann und wann;
man sehnt sich nach dem ‚Dort‘, um zu verstehen.

Ist man allein, ersehnt man andere Menschen.
Ist nicht der andere schon die fremde Welt?
Ganz anders ist er, folgt den eigenen Wünschen,
hat seine Sinne auf sich selbst gestellt.

Geheimnisvoll, des Anderen Art und Weise,
wie auch die Tierwelt anders reagiert.
Mal hier, mal da, geht man auf Sehnsuchtsreise,
ist man im ‚Dort‘, will man zurück ins Hier. 

Im ‚Haus der Welt‘ hat man ein Dach gefunden,
auch Wände gibt es und ein Fundament.
Man fühlt sich sicher, wird sein Reich erkunden,
bis man das Innen der ‚vier Wände‘ kennt.

Doch vor den Fenstern gibt es andere Leben.
Zum Außen weist die unbekannte Tür.
Man zögert sie zu öffnen, preiszugeben,
die Sehnsucht nach dem ‚Dort‘, den Drang zu ihr. 

Was fürchtest Du? Den Tod, im Draußen?
Die anderen Schrecken, die bisher geheim?
Die Sehnsucht schmerzt, die Tür – der Weg nach Außen,
sie zieht dich an und du verlässt dein Heim. 

Wie sich ein Lichtstrahl nach Millionen Jahren
im Nirgendwo verlieren wird,
so wird man in des Lebens Lauf erfahren,
dass man den Weg nicht kennt und sich verirrt. 

Das Sehnen treibt dich weiter. Grenzgefühle!
Bald resignierst du, wie ein Stoiker an der Pflicht.
Die Sicht aus dieser Welt heraus, ist wie die Türe,
an der sich einst das körperliche Dasein bricht. 

Nicht alle Schmerzen sind heilbar

Edmund Blair Leighton (1852-1922) – The Unknown Land
Nicht alle Schmerzen sind heilbar, denn manche schleichen
sich tiefer und tiefer ins Herz hinein,
und während Tage und Jahre verstreichen,
werden sie Stein.

Du sprichst und lachst, wie wenn nichts wäre,
sie scheinen zerronnen wie Schaum.
Doch du spürst ihre lastende Schwere
bis in den Traum.

Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle,
die Welt wird ein Blütenmeer.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle,
da blüht nichts mehr.
Ricarda Huch (1864 -1947)

Würfelspiel

Claus Meyer (1856-1919) – Der Würfelspieler
Alle Würfel, die gefallen,
zeigen Niedergang und Sieg.
Ledern wird der Becher knallen,
wenn ein Holz darunter liegt.

Hand um Hand, den Wurf erringend,
kommt die Zufallszahl ans Licht.
Prasselnd klingt es und gelingend,
wenn sie durch die Reihen bricht.

Wie die Sieger triumphieren!
Schreien auf, wenn er vollbracht,
und im Wirtshaus jubilieren
feiernd sie die ganze Nacht. 

Als in frühen Morgenstunden
Alkohol und Börsen leer,
ist das Grölen längst verschwunden,
denn die Augen wurden schwer. 

Morgengrauen legt den Schatten
des Vergessens an den Tag,
man verkriecht sich, wie die Ratten,
in den häuslichen Verschlag. 

Nur der Schlaf entspannt die Glieder,
zugedeckt mit Einsamkeit.
Beim Erwachen treibt sie wieder
hin zum Würfelspiel im Leid. 

Die Begeisterung des Handels
in der Spielart ihres Treibens,
lässt so manchen Lebenswandel
in die Not der Armut gleiten. 

Jede Einsamkeit ist Sehnen
nach der Liebe, nach dem Licht.
Es vergehen Leid und Grämen -
Spielerei vertreibt sie nicht. 

Heilen wird ein leises Rufen,
tief in deiner Einsamkeit.
Folge ihm auf ew’gen Stufen,
hin zum Ort der Ewigkeit. 

Evolution- Ewige Erneuerung

Ouroboros – Schlange/Drache, der sich in den Schwanz beißt
Die Welt ist nur ein wahr gewordener Traum.
Vom ewigen Geist durch Sinn und Wort gemacht,
durchbrach sein Segen einstens Zeit und Raum,
als unsere Erde noch in Wehen lag. 

Für Menschen wurde neu gesetzt ein Ziel -
das Land vor unserer Zeit, es musste gehn,
für das, was durch die Himmelsmächte fiel,
gelang der Ausgleich, neu und wunderschön.

Erschaffen, aus des Schöpfers Energien -
sie fließen in den Menschen, wie das Blut;
erzeugte Leben – wir sind mittendrin,
der Hochmut nennt es nur „Kosmologie“. 

Aus Morgen wird Gestern – Evolution im Geist. 
Das Leben läuft im selbstverzehrenden Ring, 
wie eine Schlange, die sich in das Ende beißt –
das Ende birgt sogleich den Neubeginn.  

Tageslicht

Josephine Wall – Quelle: Pinterest
Das Licht dringt ins Zimmer - der Tag ist erwacht,
das Dunkel vergeht mit der endenden Nacht.

Bewegt, wie der Vorhang in strömender Luft,
versinkt der Raum im erfrischenden Duft;

der Vögel Stimmen zaubern Frohsinn und Klang -
ein zu Herzen gehender Morgengesang.

In der Kühle im Raum und vergehender Zeit,
Empfindungen von Unendlichkeit. 

Die Traumwelt verdrängt durch Bilder und Licht,
die Welt erwachte in neuem Gesicht,

erfüllt mit nicht endenden Farben und Klängen,
im eindrucksvoll strebenden Vorwärtsdrängen,

als wenn die Strahlen aus Sonnenhänden,
den Morgen in bunte Kränze bänden. 

Rohdiamant Mensch

Aus Wasser entstandene Schöpfung der Erde,
wie aus Tiefen des Ur-Grunds gehoben,
Milliarden Wesen – ein gewaltiges „Werde!“,  
wo die Farben des Andersseins wohnen. 

Blaues Band unserer Welt, wie ein Zelt gespannt -
atmosphärisch, balsamischer Hauch. 
Wie ein Dunst des Nichts über Wasser und Land,
der erneuert, was durchlebt und verbraucht. 

Weltbewusstsein, Energien – ein erhabenes Werk,
einzigartig in Schönheit und Pracht;
wer A und O des göttlichen Bildes bemerkt,  
sieht ein Geschenk, das demütig macht. 

Wie die Wellen des Meeres kommen und gehen,
wandeln wir durch die Materie ein Stück.
Der Schleifstein des Geistes bleibt niemals stehen -
wir geh‘n einst im Brillantschliff zurück.

Beschattete Ruinen

Jean-Léon Gérôme (1824-1904)
Die alten Steine, sie sind längst zerfallen,
Ruinen bleiben – Zeugen ferner Zeit,
und in den teils versunk’nen Säulenhallen
durchbraust der Wind die graue Brüchigkeit.
 
Wie gierig nimmt der Mensch die Opfergaben,
und jede Mumie wird der Neugier präsentiert.
Die Totenruhe derer trug man längst zu Grabe,
der Ahnenfriedhof ist geleert, eliminiert. 

Die Sphinx, die einst das Tal bewachte,
sah all‘ das Leben und das Sterben hier.
Gesichtslos steht sie da – die Zeit, sie brachte
Zerstörung nur, besitzen wollen,Gier. 
Franz Edmund Rohrbeck (1852-1919)
So viele Menschen sind des Weg’s gegangen,
erfühlten nicht die Geister der Epochen,
als Zaubersprüche diesen Ort verbannten
und dunkle Ängste durch die Räume krochen.
 
Des Erdendaseins abgelöste Schatten
verweilen immer noch in den Palästen,
sie tanzen nächtelang auf den Rabatten,
die Totenvögel rufen laut zu ihren Festen.
 
Die Ewiglichen der vergang’nen Zeiten
begeistern noch mit ihrer Kraft;
das Wissen schafft den alten Eingeweihten
manch’ unsichtbare dunkle Macht.

Zielbewusst

Auf der Wanderschaft – Jørgen Roed, dänischer Maler (1808-1888)
Wenn du jung bist, gehst du Wege,
die sich teilen, immerzu,
als wenn dich das Schicksal träge
hin zu deiner Seelenruh.

Suchst den richtigen Pfad zu finden,
doch der scheint dir nicht in Sicht;
deine eigene Welt zu gründen,
ist ein schattenhaftes Licht. 

Von den ausgetretenen Wegen
gehst du fort, befreit zu sein;
fühlst dich Alten überlegen,
Neues lockt mit hellem Schein.

Doch je näher du dich tastest,
Fuß für Fuß dem neuen Ziel,
rückt es weiter fort und lastet
auf dir wie ein böses Spiel.

Leben ist nicht leicht zu tragen,
falsche Wege lockten einst,
musst mit Bitterkeit erfahren,
dass du manchen Schritt beweinst.

Denn nur ein Impuls von vielen
bringt dir das erhoffte Glück;
liegt fernab von allen Zielen,
treibt dich vorwärts, Stück für Stück.

Dein Gefühl lässt es dich spüren,
auch auf ungebahnten Wegen,
die verwirren und die irren, 
gehst du immer IHM entgegen.