Beschattete Ruinen

Jean-Léon Gérôme (1824-1904)
Die alten Steine, sie sind längst zerfallen,
Ruinen bleiben – Zeugen ferner Zeit,
und in den teils versunk’nen Säulenhallen
durchbraust der Wind die graue Brüchigkeit.
 
Wie gierig nimmt der Mensch die Opfergaben,
und jede Mumie wird der Neugier präsentiert.
Die Totenruhe derer trug man längst zu Grabe,
der Ahnenfriedhof ist geleert, eliminiert. 

Die Sphinx, die einst das Tal bewachte,
sah all‘ das Leben und das Sterben hier.
Gesichtslos steht sie da – die Zeit, sie brachte
Zerstörung nur, besitzen wollen,Gier. 
Franz Edmund Rohrbeck (1852-1919)
So viele Menschen sind des Weg’s gegangen,
erfühlten nicht die Geister der Epochen,
als Zaubersprüche diesen Ort verbannten
und dunkle Ängste durch die Räume krochen.
 
Des Erdendaseins abgelöste Schatten
verweilen immer noch in den Palästen,
sie tanzen nächtelang auf den Rabatten,
die Totenvögel rufen laut zu ihren Festen.
 
Die Ewiglichen der vergang’nen Zeiten
begeistern noch mit ihrer Kraft;
das Wissen schafft den alten Eingeweihten
manch’ unsichtbare dunkle Macht.

Zielbewusst

Auf der Wanderschaft – Jørgen Roed, dänischer Maler (1808-1888)
Wenn du jung bist, gehst du Wege,
die sich teilen, immerzu,
als wenn dich das Schicksal träge
hin zu deiner Seelenruh.

Suchst den richtigen Pfad zu finden,
doch der scheint dir nicht in Sicht;
deine eigene Welt zu gründen,
ist ein schattenhaftes Licht. 

Von den ausgetretenen Wegen
gehst du fort, befreit zu sein;
fühlst dich Alten überlegen,
Neues lockt mit hellem Schein.

Doch je näher du dich tastest,
Fuß für Fuß dem neuen Ziel,
rückt es weiter fort und lastet
auf dir wie ein böses Spiel.

Leben ist nicht leicht zu tragen,
falsche Wege lockten einst,
musst mit Bitterkeit erfahren,
dass du manchen Schritt beweinst.

Denn nur ein Impuls von vielen
bringt dir das erhoffte Glück;
liegt fernab von allen Zielen,
treibt dich vorwärts, Stück für Stück.

Dein Gefühl lässt es dich spüren,
auch auf ungebahnten Wegen,
die verwirren und die irren, 
gehst du immer IHM entgegen.

An ferne Ufer

Quelle: Pinterest / Tumbir
Zu den Gestaden ferner Ufer
treibt mich mein Kahn auf säuselnder Flut;
er folgt den unsichtbaren Rufern,
geleitet vom Lotsen, sicher und gut. 

Meer, durch dein brandendes Schweben
fließt mein Herz zu jenem Strand,
dessen Ort mir Heimat war, doch im Leben
nie erreicht und unbekannt. 

Schiff fahr‘ weiter noch ein Weilchen,
muss noch Erdenfracht bewahren!
Lass‘ mich achten Deine Zeichen,
führ‘ mich sicher durch Gefahren.

Wo die Friedenstauben fliegen,
ist mein ruhiger Seelenhafen;
wie ein Treibgut angetrieben,
will ich einst zu Hause schlafen. 

70

norwegische Künstlerin Lisa Aisato (*1981)
In der Bilderkiste kramen –
ist doch schon so lange her,
und die Stellen vieler Namen
bleiben trotz des Grübelns leer.

Wie herausgebrochene Szenen
meines Daseins Weggefährten,
die einst unter tausend Tränen,
mich den Ernst des Lebens lehrten.

Bilder, die den Glanz verloren –
schließ‘ den Deckel meiner Kiste.
Fotografisch eingefroren,
Menschen, die ich einst vermisste.

Das zeigt meinen Baum des Lebens,
den der Geist der Ahnen pflanzte,
dessen Pflege - oft vergebens,
Löcher in die Seele stanzte.

Wenn ich vor dem Spiegel stehe,
sehe ich ein zitt’rig Bild.
„Bin ich die, die ich dort sehe?“,
frag ich mich und lächle mild.

Lebenslicht

norwegische Künstlerin Lisa Aisato (*1981)
Wie durch eine Fontäne der Zeit,
machte das Licht den Weg uns bereit,
rinnen die Geister der Leben dahin,
in vielen Gestalten, seit Anbeginn.

In den dunklen Schollen der Erde
sind verwoben, das Sein und Werde;
es bietet den Boden für neues Leben,
dem alten folgend, dem Schicksal ergeben.

Nach Gottes Geheiß wachsen und werden,
das ist der höhere Sinn auf Erden.
Die eigene Hülle mit Weitsicht ertragen,
IHM danken, an guten und schlechten Tagen.

DU bist DER EINE in allen Gestalten,
DEIN Lebensfunke ist in jeder erhalten,
ob klein oder groß, ob in Mensch oder Tier,
in der Pflanzenwelt – DU bist in allen hier.

Täuschung und Wahrheit

Aufruf zum Kreuzzug von Papst Urban II- Gustave Doré (1832-1883)
Die Tempel aller Religionen dieser Welt
sind überbaut mit Falschheit und mit Lügen,
und Päpste, Priester, die betrügen,
sind Werk des Bösen und ihm unterstellt.

Das Böse wächst in manchem Herz und Hirn,
das lieblos auf sich selbst nur schauen kann.
Es fordert Menschenopfer dann und wann,
lässt blind und folgsam in die Irre führen.

Das Fundament des Glaubens war errichtet
auf Gottvertrauen, Wahrheit – liebevoll;
Scheinheiligkeit hingegen forderte ihr Soll,
die Kirchen sind sich selbst, nicht Gott verpflichtet.

Gigantisch, das System der Religionen,
es wird nie ungeschehen sein, was Lügen zeigen kann;
der Teufel „Mensch“, gefolgt von Hass und Wahn,
in einem Fegefeuer, wo sie selber thronen. 

Was Menschen vor Jahrtausenden erschufen:
Ein Schreckgespenst aus Opfern, Krieg und List,
und der mit päpstlich zugestandenem Maßstab misst,
der war zum Völkermord mit Glorie berufen. 

Des Menschen freier Wille kann zerstören,
verwirrt so manchen Geist in tödlicher Manier.
Doch das Gesetz des Großen Geistes hier,
wird dem Aspekt der Wahrheit angehören. 

Die Zeit der Theologen geht vorüber.
Was Religion bis jetzt verbarg, es kommt ans Licht;
was edel schien, erscheint in stumpfer Sicht
und Lichtgestalten werden zu Betrügern.

Naturgesetze

Quelle: Pinterest
Gott ist Gesetz! Es herrscht auf dieser Welt.
Nichts, was Sein Auge nicht erfasst,
nichts, dass man Ihm verborgen hält;
Es ist in jedem Tun des Schauens stiller Gast.

Denkt an die Ewigkeit, nicht nur an dieses Leben;
beachtet Stoff und Geist, in ihrer Vielfalt Sinn,
denn sie sind Eins – ein unteilbares Streben,
Gesetz gemäße Reaktion auf Geist und Ding. 

Wer folgt der Kraft des Geistes, überwindet,
denn jede Hürde dieses Lebens ist genommen,
wenn man aus falschem Tun den Ausweg findet,
den Fortschritt sieht, mit dem man neu begonnen. 

Gott ist in uns, in jedem Menschenleben -
wo die Materie unbemerkt den Geist verdeckt.
Göttlich sind wir – nach der Idee gegeben,
die Ihm gemäß in allen von uns steckt.

Die Welt des Stoffes - „menschlich“ ist ihr Name,
die Welt des Schöpfergeistes – in Gesetzes Hand;
im Menschen selbst, des Großen Geistes Same -
die Ihn in Frage stellen, haben Ihn verbannt. 

Wir sind nicht von der Welt und unser Streben
soll wohl in ihr Gesetz im Glauben haben,
damit charakterfest wir danach leben,
göttlich zum Teil, mit Geist bewussten Gaben.

Ewiger Klang

Musik: Lament · Iftekharul Anam

Dort, wo die Sonne sinkt am Horizont,
gleitet der Wind auf Engelsflügeln,   
vertreibt des Scheines heißen Strom,
wird mit Vergänglichkeit ihn zügeln. 

Durchschweben alte Säulenhallen,
bis hin zum Anbeginn der Welt;
die Tempel dieser Erde fallen
und Frieden liegt auf Wald und Feld.

Das Herz der Welt pocht laut und lauter,
um alle Seelen schmilzt die Zeit.
Was wichtig schien entflieht den Sälen
des Tempels der Vergessenheit.

In allen Städten schweigt das Leben,
die Steine sind zu Staub zerfallen,
und jedes glockenhafte Beben
dringt ein in Gottes heil'ge Hallen.

Die Engel stehen an den Pforten,
sie singen tief in Harmonie,
empfangen, die an Weltenorten
treu lauschten ihrer Melodie.

Falsche Töne

Mihaly von Zichy (1827-1906), “Romantic Encounter”
Ein Engel küsste mich des nachts,
ich hab ihn fliegen sehen.
Beim Flügelschlag bin ich erwacht.
Er war so groß und schön!

Verloren war ich ohne ihn,
er war mir längst bekannt,
seitdem ich Fleisch geworden bin,
nimmt er mich an die Hand.

Geistig, wie im verbund’nen Traum,
lief ich durch Himmelswiesen,
ich hörte Stimmen, die im Raum
mit Lobgesängen priesen.

Die Welt versank in Harmonie,
kein Ton hat falsch geklungen.
Ein Missklang hat dann irgendwie
mit meinem Schlaf gerungen.

Ich wachte auf, mit wirrem Sinn
und wünschte mir mit Sehnen,
geliebt zu werden, wie ich bin,
mit allen falschen Tönen.

Blütenzweige

August Malmström (Swedish, 1829–1901)
Sonne, hinter den Wolken versteckt -
die den Himmel leuchtend erhellt,
wenn sie hervortritt, die dunkel verdeckt,
löscht sie die Tränen der Welt.

Zweige, die prächtig im Lichte erstrahlen,
wenn tausend Blüten entstehen,
wie sie im Sonnenlicht weiß übermalen,
was bisher nur grün war zu sehen. 

Zartheit der Blüten – zerbrechlich und schön,
flüchtig, wie Federn im Wind;
im Luftzug ist es um sie geschehen,
sie folgen dem ‚himmlischen Kind‘. 

So viele Blüten schweben dahin,
bevor sie in Frucht stehn, zerfallen;
nur die Erinnerung bleibt uns im Sinn:
sie opfern ihr Dasein uns allen.