Katzen

Paul Anker 1831-1910

 Es ist die Eigenart der Katzen,
zu schleichen und zu schauen
und auf geschmeidig weichen Tatzen,
uns schmeichelnd zuzumauen.
 
Sie sind charakterfest und eigen,
als kluge Jäger, listig, flink;
nur werden sie auch Krallen zeigen,
damit die Mäusejagd gelingt.
 
Ansonsten sind es kleine Tiger,
die schnurrend sanft wir lieben,
denn ihre Herzen folgen wieder
den alten Freiheitstrieben.

Eine Frau spricht im Schlaf

Erich Kästner 1899-1974

Als er mitten in der Nacht erwachte,
schlug sein Herz, daß er davor erschrak.
Denn die Frau, die neben ihm lag, lachte,
daß es klang, als sei der Jüngste Tag.

Und er hörte ihre Stimme klagen.
Und er fühlte, daß sie trotzdem schlief.
Weil sie beide blind im Dunkeln lagen,
sah er nur die Worte, die sie rief.

Henri Gervex 1852-1928 – Rolla

„Warum tötest du mich denn nicht schneller?“
fragte sie und weinte wie ein Kind.
Und ihr Weinen drang aus jenem Keller,
wo die Träume eingemauert sind.

„Wieviel Jahre willst du mich noch hassen?“
rief sie aus und lag unheimlich still.
„Willst du mich nicht weiterleben lassen,
weil ich ohne dich nicht leben will?“

Ihre Fragen standen wie Gespenster,
die sich vor sich selber fürchten, da.
Und die Nacht war schwarz und ohne Fenster.
Und schien nicht zu wissen, was geschah.

Ihm (dem Mann im Bett) war nicht zum Lachen.
Träume sollen wahrheitsliebend sein …
Doch er sagte sich: „Was soll man machen!“
und beschloß, nachts nicht mehr aufzuwachen.
Daraufhin schlief er getröstet ein.

Tausend Höllen

Tausend Münder kannst du küssen,
tausend Lippen;
tausend Zungen kannst du spüren.
Niemals findest du den Mund,
der dich geküsst wie meiner,
der dich völlig löste von der Welt,
der dich fern in tausend Himmel trug. –
so küsst dich keiner!

An deinen Lippen hing ein Beben,
als küsst’ ich tausend Lippen.
Ich streichelte die Wangen dir wie Samt,
und deine Stirn liebkoste ich wie Seide.
Aus deinem Mund hab ich mich satt getrunken,
er labte mich noch süßer als der Wein.
Und deine Augen, wie ein Ort, versunken,
zog mich in tiefste Harmonien hinein.

Nun lieg ich auf dem Grund des Tränensees,
ertrunken,
mich hat die Welle fort von dir getragen.
In deine Arme war ich hin gesunken,
achtlos und schwach
hast du mich fallen lassen,
in tausend Höllen.

Wandel

Michael Ancher 1849-1927 – Am Krankenbett

Das, was noch vor dir liegt, sind schwere Schritte,
wohin sie führen, das ist dir bewusst;
sind’s doch oft mühevolle Lebenstritte,
die man zum Wandel erst durchlaufen muss.
 
Ich wünsche dir ein weises Handeln,
mutig und stark wirst du dein Ziel erreichen;
die Dunkelheit wird sich zum Lichte wandeln
und neue Wege, hell, vor dir erleuchten.

Freud und Leid

Die Harmonie der Gegensätze

Caspar David Friedrich 1774-1840 – Sonnenuntergang

Freud und Leid hatten wie immer dicht beieinander gesessen und mit einem weinenden und einem lachenden Auge in den Abendhimmel geschaut. Die Nacht bemühte sich, in stetem Wechsel die Schicht des Tages zu übernehmen, welcher sich nun eiligst verabschiedete. Ein letztes Hell senkte sich hinter den Horizont und machte dem undurchsichtigen Dunkel Platz, das sich nun über das weite Land legte und auch Freud und Leid mit einem sanften, grauen Tuch bedeckte.
Dort, wo die rote Erde nah und der blaue Himmel so weit waren, hielten Freud und Leid einander die Treue, und die Untreue hatte noch niemals an ihre Türe geklopft. In all den langen Jahren hatte ihr Bestreben, durch ein ausgewogenes Geben und Nehmen in Harmonie zu leben, gute Früchte gebracht und nichts brachte bisher auch nur den kleinsten Funken Disharmonie in ihr Dasein.
Doch eines Tages war alles anders!
Freud, der durch sein stets gut gelauntes Wesen, Lebensfreude und positive Energie versprühte, war des morgens freudestrahlend erwacht und nach einem kurzen Räkeln aus seinem Bett gesprungen. Mit einem munteren Satz hatte er das Fenster geöffnet, währenddessen Leid sich stöhnend auf die andere Seite drehte und mit einem: „Booh, muss das denn sein?“, seinen Unmut über das hereinfallende Licht kundtat.
Freud stand mit offenem Mund und großen, weit aufgerissenen Augen am Fenster und starrte nach draußen.
„Leid, komm schnell, das musst du sehen! Du wirst es nicht glauben, aber nebenan sind ganz komische Leute eingezogen!“
Missmutig wie immer, wälzte sich Leid aus dem Bett, rieb sich den Rücken, der wieder mal schmerzte und schlurfte stöhnend zum Fenster.
„So, wie die aussehen, gehören die eher in die Hölle, als in unser kleines Paradies. Die sehen aus, wie richtige Zombies! Ich glaube, mir wird schlecht…!“, sagte Leid und ging schnellen Schrittes in Richtung Bad, wohin ihm Freud mitleidig folgte.
„So hartherzig, wie die aussehen, könnte man ja Angst kriegen!“, meinte Leid, nachdem er seinen Magen völlig entleert hatte.
„Die könnten glatt auf der Geisterbahn anfangen! Das wäre doch lustig!“, bemerkte Freud mit einem Lachen.
„Ich werde gleich mal rüber gehen und einen guten Tag wünschen! Sicher sehen die schlimmer aus, als sie sind!“
Kaum hatte Freud das ausgesprochen, war auch schon die Türe hinter ihm ins Schloss gefallen, und Leid sah ihn vom Fenster aus an die Türe der Nachbarn klopfen.
„Guten Morgen!“, hörte er Freud sagen. „Wir haben gesehen, dass Sie eingezogen sind. Ich möchte mich vorstellen. Ich bin Freud und mein Bruder Leid ist nie weit von mir entfernt.“
Feindselig wurde Freud von seinem Gegenüber gemustert, der seine Türe nur einen Spalt weit geöffnet hatte.
„Mein Name ist Missgunst. Ich und die Zwietracht leben jetzt hier, Sie werden sich schon gewöhnen! Das ist ein schönes Haus, das Sie da bewohnen! War sicher teuer, oder!?“
„Wer ist dort an der Türe?“, klang es wenig freundlich aus einem Hinterzimmer.
„Es ist Freud, unser Nachbar!“, antwortete Missgunst. „Leid wohnt auch bei ihm.“
„Soll verschwinden, bevor ich ungemütlich werde!“, schrie Zwietracht und begann Unfrieden zu säen.
Mit einem Satz war Freud zurück zur eigenen Haustüre gesprungen und rief dem neuen Nachbarn zu: „Nächste Woche ist hier Kirmes, da könntet Ihr…!“
„…auf der Geisterbahn anfangen und Leute erschrecken!“, tönte Leid aus vollem Halse aus dem Fenster, so, dass Missgunst und Zwietracht es hören konnten.
„Wartet nur, heute Mittag werdet Ihr den Rest unserer Familie kennen lernen! Ich hoffe nur, dass der Streit nicht wieder die Versöhnung mitbringt! Aber Hass wird dabei sein, wenn die Liebe nicht wieder die Stärkere ist und ihm verbietet, mitzukommen. Der Ärger wird auf jeden Fall die Wut mitbringen und die werden wir dann rauslassen!“
Kaum hatte Zwietracht diesen Satz zu Ende gesprochen, hatte Leid das Fenster zugeschlagen.
„Freud, warum musstest du auch rüber gehen?! Immer bist du soooo freundlich und biederst dich überall an. Aber des Einen Freud ist des Anderen Leid!“
„Ich, des Anderen Leid?“, blickte Freud hilflos und schaute fragend auf Leid.
„So etwas hat er ja noch nie gesagt?!“, ging es Freud durch den Kopf, und er merkte, dass die ersten Saaten der Zwietracht aufzugehen schienen.
„Ganz egal“, dachte Freud, „ich gehe fort! Soll er doch sehen, wie er allein ohne mich klar kommt!“
An diesem Abend war Leid zum ersten Male von aller Freud(e) verlassen, und der weite Himmel, der eigentlich wie jeden Abend aussah, hielt ihm seine Einsamkeit vor Augen und brachte seine Trauer in eine andere Dimension. Über den sonst schon so grauen Alltag hatte sich eine undurchsichtige, dunkle Decke gelegt, die kein noch so kleiner Lichtstrahl zu durchdringen vermochte.
Leid war es bald leid, ohne Freud leben zu müssen, und den halben Tag lang saß er am Fenster und hielt nach ihm Ausschau. Doch Freud kam nicht wieder! Dafür aber die Enttäuschung, und die brachte Traurigkeit und Verzweiflung gleich mit. Wie konnte Freud ihm so etwas antun?! Das zunächst kleine Leid wurde mit jedem Tag größer und wurde ganz seiner Rolle gerecht.
So vergingen Wochen und Monate, doch Leid blieb nicht lange allein, denn zu ihm gesellten sich bald Kummer und Krankheit, die ihn mit Schmerz und Tränen überschütteten.
Erst, als er glaubte, darin ertrinken zu müssen, geschah etwas, das sein Leben veränderte. Die unheimliche Familie von nebenan war ausgezogen, denn da die Saaten von Zwietracht bei Leid allein nicht aufgehen konnten, und Freud ja schon lange ausgezogen war, suchten sie nun einen neuen Wirkungskreis.
Lange blieb ihr Haus jedoch nicht leer. Neue Nachbarn meldeten sich an und klopften an Leids Türe. „Hallo, guten Tag! Wir sind die neuen Nachbarn, Liebe und Glück und hoffen, dass wir gut miteinander auskommen werden!“
Leid war ein wenig verlegen, denn irgendetwas erinnerte ihn an Freud, und es war das erste Mal seit langem, dass ein Lächeln über sein sonst so trauriges Gesicht huschte.
Mit Liebe und Glück in der nächsten Nähe, kam wenig später auch die Freude zurück. Das Leid hielt sich fortan ruhig im Hintergrund und sagte nie mehr ein verletzendes Wort. Und so saßen sie zu viert und schauten gemeinsam in die Weite des goldenen Abendhimmels, der mit einem Male so nah schien und voller Geigen hing.

Schöne Fremde

Liebe – Gustav Klimt 1862-1918

Es rauschen die Wipfel und schauern,
als machten zu dieser Stund
um die halbversunkenen Mauern
die alten Götter die Rund.

Hier hinter den Myrthenbäumen
in heimlich dämmernder Pracht,
was sprichst du wirr wie in Träumen
zu mir, phantastische Nacht?

Es funkeln auf mich alle Sterne
mit glühendem Liebesblick,
es redet trunken die Ferne
wie von künftigem, großen Glück!

Joseph Freiherr von Eichendorff 1788-1857

Einsamkeit

Caspar David Friedrich 1774-1840 – Frau am Fenster

Keine Stimme, die ruft,
kein Herz, dem ich fehle,
nur Einsamkeit, Stille,
durch die ich mich quäle –
aus der Ferne, der Klang der Motoren
und manchmal will sich die Ruhe
in meine Seele bohren.
 
Suche Beschäftigung,
die diesen Bann durchbricht,
doch wirklich finde ich sie nicht.
Kann mich nicht fügen,
nicht konzentrieren,
möcht‘ manchmal den Verstand verlieren.
 
Ich schau die Wände an –
es sind dieselben, die ich vor einer Stunde sah;
verwandeln möchte ich die gelben
in bunte, mit Punkten,
die ich dann zählen könnte,
um mich abzulenken,
vom Denken.

Ein grauer, trüber Morgen

Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832 und Friederike Brion

Ein grauer, trüber Morgen
Bedeckt mein liebes Feld,
Im Nebel tief verborgen
Liegt um mich her die Welt.

O liebliche Friederike,
Dürft ich nach dir zurück!
In einem deiner Blicke
Liegt Sonnenschein und Glück.

Der Baum, in dessen Rinde
Mein Nam bei deinem steht,
Wird bleich vom rauhen Winde,
Der jede Lust verweht.
Der Wiesen grüner Schimmer
Wird trüb wie mein Gesicht,
Sie sehen die Sonne nimmer,
Und ich Friedricken nicht.

Bald geh ich in die Reben
Und herbste Trauben ein;
Umher ist alles Leben,
Es strudelt neuer Wein.
Doch in der öden Laube,
Ach, denk ich, wär sie hier!
Ich brächt ihr diese Traube,
Und sie – was gäb sie mir?

Im Grase

John William Waterhouse 1849-1917

Um mich schwärmender Bienen Gesumm;
fernher Singen von Schnittern;
Sommerlüfte, die heiß ringsum
über der Wiese zittern!

Hoch aus dem dunkelnden Himmelsblau,
drin die Wolken verschwimmen,
quillt es und rinnt hernieder wie Tau,
säuselt wie liebe Stimmen.

Gaukelt und lacht mir hinweg das Leid,
hebt die Erdengewichte,
bis die Seele, gelöst, befreit,
schwärmt in dem himmlischen Lichte.

Adolf Friedrich Graf von Schack 1815-1894 – gemalt von Franz von Lenbach