Hoffnungszweige

Bild von Kerstin Herrmann auf Pixabay
Der Sonntag will kein Sonntag sein,
so still ist es geworden.
Es frieret wieder Stock und Stein,
der Wind weht kalt von Norden.

Das Zwitschern öffnet sanft den Tag,
obwohl die Wolken dunkeln,
und auf den Feldern friert die Saat,
Frost lässt die Schollen funkeln.

Der schwere Mond ist längst verblasst,
mit ihm die Sterne wichen,
und jede Stunde wird zur Last,
die sonnenlos verstrichen.

Bald hellt der trübe Himmel auf,
sein Blau wird treu sich zeigen,
und alles Grün bedeckt das Grau,
an neuen Hoffnungszweigen. 
 

Sieg und Niederlage

Wilhelm Richter (1824-1892) -Spiel mit Zinnsoldaten
Mensch quält nicht nur in Kriegen Artgenossen -
mit Zinnsoldaten spielt heut niemand mehr -
wehrlos wird manches Blut vergossen,
vor Totgeweihten steht ein ganzes Heer. 

Soldaten, sie sind einst von Frauen geboren,
unschuldig waren sie und frei von Pflicht.
Hypnotisch haben sie Gefühl verloren,
als dann der Geißel Einfluss in ihr Leben bricht. 

Sie schlagen herzlos um des Schlagens Willen,
gerissen lauern sie den Opfern, wie im Spiel.
Wie Zinnsoldaten, die des Satans List erfüllen,
sind sie sein Werkzeug. Töten ist sein Ziel. 

Das Spiel der Seelenkräfte kennt nicht Niederlage,
nicht Sieg, nur des Erlebens Sinn,
durch Freud und Leid beseelt sind unsre Tage,
in Tod und Auferstehung wachendes ICH BIN.

Spreu vom Weizen

Bild von Kira Hoffmann auf Pixabay
Der Atem Gottes weht durch diese Welt.
In jedem Leben fließt sein hehrer Geist.
So, wie die Ähren, Halm an Halm gestellt,
der Sturm des Lebens alle niederreißt;

doch Kräfte machen reif so manchen Trieb.
Wenn andre hilflos beieinander liegen,
hebt ER mit Liebe was am Boden blieb,
lässt zarte Keime lichtgesegnet siegen.

Die Ähren voll mit Körnern und mit Grannen,
wie Menschen, die auf Frucht geword’nem Feld 
die Spreu des Weizens bilden und verstanden:
Zum Wachstum braucht es beide auf der Welt.

Die alten Wege

Albert Anker (1831-1910)
Ich kenn die Stadt, in der die Mauern flüstern;
hier wuchs ich auf, die Straßen ungeteert.
Koksrauch ließ manche Häuserfront verdüstern, 
wie ein zerschlissenes Kleid, von Ärmlichkeit beschwert.

Und jede Pfütze glitzerte im Regen -
wir Kinder stapften fröhlich durch die Lachen,
auf bordsteinlosen, dunklen Wegen,
wo Regenwürmer durch die Erde brachen. 

Die alten Straßen trugen meine Schritte,
aus jedem Haus sprach die Vergangenheit;
verhallt ist jeder meiner Kindheits-Tritte,
mir eilt voran der Gang der Lebenszeit. 

Das Alte ist längst fort und abgehandelt;
das Schicksal schlägt im Buch die Seite um.
Was hat der Mensch belassen, was gewandelt?
Die Münder meiner Ahnen bleiben stumm! 

Als ihre Herzen pochten und die Quellen flossen, 
aus denen sich der Sehnsucht Klarheit nährt,
wie zuversichtlich wirkten sie entschlossen
auf falschen Wegen, die das Glück verwehrt.

Das Leben ist des Lichtes reiner Segen,
bewahre ihn, der selbst dich ‚reif‘ gemacht.
Des Vaters Glanz liegt wie ein Blüh’n auf Wegen,
senk demutsvoll davor dein Haupt herab.

Tag im Licht

Bild von 0fjd125gk87 auf Pixabay
Mein Tag ist ein Moment des Schweigens,
des Denkens, und dem Geist in mir
ein Tanz, beseelt von allen Zeiten,
bist Pentagramm an meiner Tür. 

DU bist in mir, nichts kann uns trennen,
wie Eins geword’ne Harmonie;
bist nicht nur Glaube, bist ein Kennen,
bist meiner Seele Melodie.

So wie der Vogel singt am Morgen,
erklingt in mir ein Lobgesang.
In allem wirkst DU, unverborgen
und offenbart in Wort und Klang.

DU bist die Körper aller Welten,
Gesetz der Zahlen und Physik,
lässt Kräfte in Atomen gelten,
DEIN Geist ist Leben, Trost und Glück.

Augenblick

Vor einer kleinen Ewigkeit bin ich geboren,
die große öffnet bald ihr Tor.
Mein Bündel „Hoffnung“ hab ich nie verloren,
obwohl ich oft schon stand davor.

Was man im Lebenskampf versäumt,
an Glück im irdischen Gewand,
ist wie im Augenblick erträumt
und leicht zerdrückt in einer Hand.

Die Ansicht Gottes auf die Freude 
ist nur Moment von uns zu ihm. 
Es zieht sein Licht in hellem Kleide
durch alle Möglichkeiten hin.

Was einst verworfen, wird nie wiederkehren,
doch mahnend bleibt der Augenblick,
er wird uns eines Besseren belehren:
Hinter dem Tor gibt’s kein Zurück. 

Geist des Lenzes

Cornelis Kuijpers (1864-1932) – Frühling
Springen möchte man und singen,
denn der Frühling will beginnen.
Seht ihr, wie die Blumen schauen,
hin zum Himmelszelt, dem blauen? 

Zieren Bäume ihre Spitzen,
lassen schönste Blüten blitzen,
und das Grüne treibt aus Ästen,
froh umschwirrt von Federgästen.

Dort, ein Blümlein wächst auf Stein!
Wenig Erde ist sein Heim.
Neues Leben ist gekommen,
aus dem Darben Glück und Wonnen.

Die, die einst mein Leben waren, 
sind ins Irgendwo gefahren,
fortgenommen und verweht,
doch die neue Welt entsteht.

Schweben mit dem Geist des Lenzes,
durch die Räume, durch die Fenster.
Von Gott erfüllte Energien
ziehn geistesgroß zur Sonne hin. 

Zeitenwechsel

Vier Jahreszeiten – Alfons Mucha (1862-1939)
Treibt durch das Jahr
so schnell die Zeit,
mit weiten Riesenschritten,
man sehnt sich nach
des Frühlings Kleid
und gleich ist es
entglitten.
 
Schon hüllt des
Sommers heißes Flimmern
die Welt in prächt’ges Glühen,
sieht man bereits
im Morgenschimmern
des Herbstes Nebel sprühen.
 
Bald fegt der Wind
mit starker Hand
den Staub der warmen Tage,
dann geht ein Welken durch das Land,
bringt trüb
der Stürme Plage.
 
Und fern erscheint
ein weißes Leuchten,
der Frost, erstarrt im Eisgewand.
Die Winterzeit streut ihre feuchten
Gesellen auf das kalte Land.
 
So wird der Wechsel
aller Zeiten
von hell nach dunkel uns beschert,
sind schlechte Jahre zu bestreiten,
gefolgt von guten umgekehrt.

Schwarze Reiter

Die apokalyptischen Reiter – Albrecht Dürer (1471-1528)
Mit wehenden Mähnen seh ich sie galoppieren,
die schwarzen Reiter über das Land.
Trennen all jene, die ihre Seele verlieren, 
deren Selbstsucht zerriss das geistige Band.

Die nur etwas fühlen, wenn sie andere quälen,
steigern ihre Potenz, wenn sie Böses verrichten.
Auf ihrem Weg kann niemand die Toten zählen,
sie spüren nicht, dass sie sich selbst vernichten. 

Der ‚Große', ein Denkmal in Stein geraten -
was bleibt ist ein Bild mit historischem Sinn,
sind kalt, wie die menschenverachtenden Taten,
mit leeren Augen, starr, ohne Leben darin.

Sie quälten die Welt und die Völker darauf,
einst werden die Menschen nach ihnen fragen.
Die Reiter mähten in galoppierendem Lauf -
die ‚Riesen‘, wie verschwindend klein sie doch waren!

Sie hatten Alles – doch verschwand es im Nichts!
Die Leiber unter zerstörten Gemäuern begraben,
die Steine in Stummheit halten Gericht,
Gott lauscht den Rufen und tausend Klagen.

Nicht nur ihre Taten, was zu tun sie versäumten,
ließ zuerst das Herz, dann sie selbst erstarren.
Wurden zu Steinen, die mit verlorenen Träumen,
in der Weltzeit versunken, unfruchtbar waren. 

Vergänglich

Baron Frederic Leighton (1830-1896)
Vergänglich ist das Festeste im Leben –
was trauerst du, dass Liebe auch vergeht?
Laß sie dahin in’s Reich der Zeiten schweben,
leicht, wie des Lenzes Blütenhauch verweht.

Doch halte fest ihr Schattenbild im Herzen,
und segne dennoch freudig dein Geschick,
schließt auch sich eine Reihe bittrer Schmerzen
an deines Glückes kurzen Augenblick.

Du hast gelebt, denn Liebe nur ist Leben!
Sie nur allein webt um den dunklen Traum,
dem wir den Namen unsers Daseins geben,
der höchsten Wonne glanzerfüllten Saum.

So zürne nicht des Schicksals finstern Mächten,
wenn sie des Lebens Sonne dir entziehn.
Nicht ewig lässt sie sich in unsre Bahn verflechten,
Ach, sei zufrieden, dass sie einst dir schien.

Charlotte von Ahlefeld (1777-1849)