Es war ein Land…

von Agnes Miegel (1879-1964) – Erinnerungen an Ostpreußen
Hans Julius Bernhard Kallmeyer (1882-1961)
Es war ein Land...

O kalt weht der Wind über leeres Land,
O leichter weht Asche als Staub und Sand!
Und die Nessel wächst hoch an geborstner Wand,
Aber höher die Distel am Ackerrand!

Es war ein Land, - wo bliebst du, Zeit?
Da wogte der Roggen wie See so weit,
Da klang aus den Erlen der Sprosser Singen
Wenn Herde und Fohlen zur Tränke gingen,
Hof auf, Hof ab, wie ein Herz so sacht,
Klang das Klopfen der Sensen in heller Nacht,
Und Heukahn an Heukahn lag still auf dem Strom
Und geborgen schlief Stadt und Ordensdom, -
In der hellen Nacht, - der Johannisnacht!

Es war ein Land, - im Abendbrand
Garbe an Garbe im Felde stand.
Hügel auf, Hügel ab, bis zum Hünengrab
Standen die Hocken, brotduftend und hoch,
Und drüber der Storch seine Kreise zog.
So blau war die See, so weiß der Strand
Und mohnrot der Mond am Waldesrand
In der warmen Nacht, - der Erntenacht!

Es war ein Land, - der Nebel zog
wie Spinnweb, das um den Wacholder flog,
Die Birken leuchteten weiß und golden,
und korallen die schweren Quitschendolden,
Die Eicheln knirschten bei deinem Gehn
In den harten Furchen der Alleen.
Ein Stern mir blinkte, fern und allein,
Und Du hörtest im Forst die Hirsche schrein
In der kalten Nacht, - der Septembernacht!

Es war ein Land, - der Ostwind pfiff,
Da lag es still wie im Eis das Schiff,
Wie Daunen deckte der Schnee die Saat
Und deckte des Elchs verschwiegenen Pfad.
Grau fror die See an vereister Buhne
Und im Haff kam Fischer und Fisch zur Wuhne.
Unter warmem Dach aus Stroh und Ried
Klappte der Webstuhl zu altem Lied:
„Wi beid’, wi sönn noch jong on stark,
wie nähr'n ons möt eigne Hände.-“

Es war ein Land, - wir liebten dies Land, -
Aber Grauen sank drüber wie Dünensand.
Verweht wie im Bruch des Elches Spur
Ist die Fährte von Mensch und Kreatur, -
Sie erstarrten im Schnee, sie verglühten im Brand,
Sie verdarben elend im Feindesland,

Sie liegen tief auf der Ostsee Grund,
Flut wäscht ihr Gebein in Bucht und Sund,
Sie schlafen in Jütlands sandigem Schoß, -
Und wir Letzten treiben heimatlos,
Tang nach dem Sturm, Herbstlaub im Wind, -
Vater, Du weißt, wie einsam wir sind!

Nie zu klagen war unsre Art,
Du gabst und Du nahmst, - doch Dein Joch drückt hart!
Vergib, wenn das Herz, das sich Dir ergibt,
Nicht vergisst, was zu sehr es geliebt.
Was Gleichnis uns war – und bleibt im Leid, -
Von Deines Reiches Herrlichkeit.

O kalt weht der Wind über leeres Land,
O leichter weht Asche als Staub und Sand!
Und die Nessel wächst hoch an geborstner Wand,
Aber höher die Distel am Ackerrand!
Agnes Miegel (1879-1964)

Ich hab die Nacht geträumet

ist ein altes Volkslied, das bereits vor 1775 bekannt war

Gespielt von „Zupfgeigenhansel“

Ich hab die Nacht geträumet
wohl einen schweren Traum,
es wuchs in meinem Garten
ein Rosmarienbaum.

Ein Kirchhof war der Garten,
ein Blumenbeet das Grab,
und von dem grünen Baume
fiel Kron und Blüte ab.

Die Blüten tät ich sammeln
in einen goldnen Krug,
der fiel mir aus den Händen,
daß er in Stücken schlug.

Draus sah ich Perlen rinnen
und Tröpflein rosenrot:
Was mag der Traum bedeuten?
Ach Liebster, bist du tot?

Schillers Tod am 9. Mai 1805

Zum Gedenken
Friedrich August Pecht (1814-1903) – Schiller verlässt das Theater in Mannheim

Friedrich Schiller (aus einem Brief an Charlotte von Wolzogen. 1784):

„Wenn ich mir denke, dass in der Welt vielleicht mehr solche Zirkel sind, die mich unbekannt lieben und sich freuen, mich zu kennen, dass vielleicht in hundert oder mehr Jahren – wenn auch mein Staub schon lange verweht ist – man mein Andenken segnet und mir noch im Grabe Tränen und Bewunderung zollt, dann freue ich mich meines Dichterberufes und versöhne mich mit Gott und meinem oft harten Verhängnis.“

Friedrich von Schiller als Dichter der Nation gehört nicht nur in die Zeit, in der sein Streben wirkte, er muss wie Goethe auch der fernen Nachwelt angehören, der die Frucht seines Schaffens als Vermächtnis zu behüten anheim fällt. Mit ihm verwandte Seelen werden immer aufs Neue in seinem Andenken den Geist der Betrachtung erweckt sehen.

Schiller weiß auf theatralische Art und Weise zu fesseln, nicht nur durch seine Werke, sondern auch durch seine dramatischen Lebensverhältnisse. Allein seiner eigenen Tatkraft und seinem unermüdlichen Streben hatte er es zu verdanken, dass er zu Lebzeiten als Dichter, Geschichtsschreiber und Philosoph zum Liebling der Jugend avancierte.

Er kämpfte mit Worten für die Freiheit und zerriss siegend die Fesseln, die ihn an das Gemeine, Gewöhnliche zu fixieren drohten. Mit all seiner Kraft erklomm er die Höhen des Ideals und fand dort die Heimat seines Geistes.

Schiller war ein Genie: Mediziner, Poet, Philosoph, Geschichtsprofessor, Freund des Schönen, Aufklärer und Freiheitskämpfer, doch vor allen Dingen war Schiller Europäer. Seine Ode „An die Freude“ steht dem als Zeichen voran. Nicht ohne Grund wurde diese Hymne gewählt, weil sie die Einheit eines freiheitlichen Europas symbolisiert.

Schiller meinte:

„Die Sprache ist ein Spiegel einer Nation; wenn wir in diesen Spiegel schauen, so kommt uns ein großes, treffliches Bild von uns selbst daraus entgegen.“

Welches Bild gibt der Spiegel heute preis?

Schiller gibt uns Nachdenkliches auf:

„Dieser Abfall des Menschen vom Instinkte, der das moralische Übel zwar in die Schöpfung brachte, aber nur um das moralisch Gute darin möglich zu machen, ist ohne Widerspruch die glücklichste und größte Begebenheit in der Menschheitsgeschichte; von diesem Augenblick her beschreibt sich seine Freiheit….“

Welchen Stellenwert nimmt Friedrich von Schiller heute noch ein? Sind seine Gedanken heute noch wichtig und zeitgemäß? – Ich denke ja! Schiller dachte zeitlos. Niemand kommt an ihm vorbei.

   ”Lass die Sprach dir sein, was der Körper den Liebenden. Er nur ist’s, der die Wesen trennt und der die Wesen vereint.”

Collage: „Schiller am Musenhof“ von Theobald Reinhold Anton Freiherr von Oer
+ Ich (2004)

Bhagavad Gita

von Hermann Hesse (1877-1962)
Krishna – Quelle: Pinterest
Wieder lag ich schlaflos Stund um Stund,
unbegriffenen Leids die Seele voll und wund.

Brand und Tod sah ich auf Erden lodern,
Tausende unschuldig leiden, sterben, modern.

Und ich schwor dem Kriege ab im Herzen,
als dem blinden Gott sinnloser Schmerzen.

Sieh, da klang mir in der Stunde trüber
Einsamkeit Erinnerung herüber,

und es sprach zu mir den Friedensspruch
ein uraltes indisches Götterbuch:

„Krieg und Friede, beide gelten gleich,
denn kein Tod berührt des Geistes Reich.

Ob des Friedens Schale steigt, ob fällt,
ungemindert bleibt das Weh der Welt.

Darum kämpfe du und lieg nicht stille;
dass du Kräfte regst, ist Gottes Wille!

Doch ob dein Kampf zu tausend Siegen führt,
das Herz der Welt schlägt weiter unberührt.“

Yesterday when I was young

Original Copyright:
Writer(s): Herbert Kretzmer, Charles Aznavour (1924-2018)

Übersetzung:

Gestern, als ich jung war…
Der Geschmack des Lebens war süß wie Regen auf meiner Zunge,
Ich neckte das Leben, als wäre es ein dummes Spiel,
So wie die Abendbrise eine Kerzenflamme necken kann.
Die tausend Träume, die ich träumte, die prächtigen Dinge, die ich plante,
Ich baute immer… ach, auf schwachem und schwankendem Sand.
Ich lebte bei Nacht und mied das nackte Licht des Tages,
Und erst jetzt sehe ich, wie die Jahre davonliefen.

Gestern, als ich jung war…
So viele Trinklieder warteten darauf, gesungen zu werden,
So viele eigensinnige Vergnügungen, die auf mich warteten
Und so viel Schmerz, den meine geblendeten Augen nicht sehen wollten.
Ich rannte so schnell, dass die Zeit und die Jugend endlich abliefen.
Ich hielt nie inne, um darüber nachzudenken, worum es im Leben geht,
Und jedes Gespräch, an das ich mich jetzt erinnern kann,
beschäftigte sich mit mir und sonst gar nichts.

Gestern war der Mond blau…
Und jeder verrückte Tag brachte etwas Neues zu tun.
Ich benutzte mein magisches Alter, als wäre es ein Zauberstab
Und sah nie die Verschwendung und Leere dahinter.
Das Spiel der Liebe spielte ich mit Arroganz und Stolz
Und jede Flamme, die ich zu schnell entzündete, erlosch schnell.
Die Freunde, die ich fand, schienen alle irgendwie wegzudriften,
Und nur ich bin auf der Bühne übrig, um das Stück zu beenden.
Es sind so viele Lieder in mir, die nicht gesungen werden wollen,
Ich spüre den bitteren Geschmack der Tränen auf meiner Zunge
Die Zeit ist gekommen, dass ich für das Gestern bezahle.
Als ich noch jung war…

Vergänglich

Baron Frederic Leighton (1830-1896)
Vergänglich ist das Festeste im Leben –
was trauerst du, dass Liebe auch vergeht?
Laß sie dahin in’s Reich der Zeiten schweben,
leicht, wie des Lenzes Blütenhauch verweht.

Doch halte fest ihr Schattenbild im Herzen,
und segne dennoch freudig dein Geschick,
schließt auch sich eine Reihe bittrer Schmerzen
an deines Glückes kurzen Augenblick.

Du hast gelebt, denn Liebe nur ist Leben!
Sie nur allein webt um den dunklen Traum,
dem wir den Namen unsers Daseins geben,
der höchsten Wonne glanzerfüllten Saum.

So zürne nicht des Schicksals finstern Mächten,
wenn sie des Lebens Sonne dir entziehn.
Nicht ewig lässt sie sich in unsre Bahn verflechten,
Ach, sei zufrieden, dass sie einst dir schien.

Charlotte von Ahlefeld (1777-1849)

Zeit

Manches sollte manches nicht
Wir sehen, doch sind wir blind
Wir werfen Schatten ohne Licht

Nach uns wird es vorher geben
Aus der Jugend wird schon Not
Wir sterben weiter bis wir leben
Sterben lebend in den Tod
Dem Ende treiben wir entgegen
Keine Rast, nur vorwärtsstreben
Am Ufer winkt Unendlichkeit
Gefangen so im Fluss der Zeit

Bitte bleib stehen, bleib stehen
Zeit, das soll immer so weitergehen

Warmer Körper ist bald kalt
Zukunft kann man nicht beschwören
Duldet keinen Aufenthalt
Erschaffen und sogleich zerstören
Ich liege hier in deinen Armen
Ach, könnt es doch für immer sein
Doch die Zeit kennt kein Erbarmen
Schon ist der Moment vorbei

Zeit, bitte bleib stehen, bleib stehen
Zeit, das soll immer so weitergehen
Zeit, es ist so schön, so schön
Ein jeder kennt den perfekten Moment

Zeit, bitte bleib stehen, bleib stehen

Wenn unsere Zeit gekommen ist
Dann ist es Zeit zu gehen
Aufhören, wenn es am schönsten ist
Die Uhren bleiben stehen

So perfekt ist der Moment
Doch weiter läuft die Zeit
Augenblick, verweile doch
Ich bin noch nicht bereit

Zeit, bitte bleib stehen, bleib stehen
Zeit, das soll immer so weitergehen
Zeit, es ist so schön, so schön
Ein jeder kennt den perfekten Moment

Wagen an Wagen

Vertreibung aus Ostpreußen 1945 – Quelle: Wissen.de
Um Allerseelen
in der dunklen Nacht,
wenn vor uns stehen,
die immer neu unserem Herzen fehlen, -
Erinnrung erwacht.

An die alten Kirchen, die Hügel im Feld,
wo sie schlafen, Vätern und Nachbarn gesellt,
in verlorener Heimat über der See, -
und an Alle, die hilflos und einsam starben,
an Alle, die sinkend im Eis verdarben,
die keiner begrub, nur Wasser und Schnee,
auf dem Weg unsrer Flucht, - dem Weg ohne Gnade!

Und wir ziehen im Traum verwehte Pfade
Wagen an Wagen, endloser Zug,
der ein Volk von der Heimat trug!

Von Norden, von Osten kamen wir,
über Heide und Ströme zogen wir,
nach Westen wandernd, Greis, Frau und Kind.
Wir kamen gegangen, wir kamen gefahren,
mit Schlitten und Bündel, mit Hund und Karren,
gepeitscht vom Wind, vom Schneelicht blind, -
      und Wagen an Wagen.

Zuckend wie Nordlicht am Himmel stand
verlassner Dörfer und Städte Brand,
und um uns heulte und pfiff der Tod,
auf glühendem Ball durch die Luft getragen,
und der Schnee wurde rot,
und es sanken wie Garben die hilflos starben,
und wir zogen weiter,
                              Wagen an Wagen, - -

Und kamen noch einmal, trügrisches Hoffen,
durch friedliches Land.
Tür stand uns offen,
bei jenen, die nicht unser Leiden gekannt.
Sie kamen, sie winkten, sie reichten uns Brot, -
sie luden die Not
am warmen Herde zu sich als Gast.
Scheune und Stroh rief müde zur Rast.
Doch wir konnten nicht bleiben,
wir zogen vorüber
                          Wagen an Wagen

und hörten durch Sturm und Flockentreiben
das Glockenlied ihrer Türme noch
und hörten doch
das Dröhnen des Krieges, der hinter uns zog,
und vom Wegkreuz bog,
blutend, mit ausgebreiteten Armen,
sich dorngekrönter Liebe Erbarmen.

Wir konnten nicht halten, wir konnten nicht knien.
Sie kamen hinter uns, Wagen an Wagen, -
Unsre Herzen nur schrien:
      O blick nach uns hin!

Wir wandern, wir wandern, endloser Zug,
Volk, das die Geißel des Krieges schlug,
entwurzelter Wald, von der Flut getragen, -
      Wohin?
                          Wohin? - - -
Agnes Miegel (1879-1964)

Frieden für die Welt

Deutsche Übersetzung:

Stell dir vor, es gibt keinen Himmel
Es ist einfach, wenn du es versuchst
Keine Hölle unter uns
Über uns nur der Himmel
Stell dir vor, all die Menschen leben für heute

Stell dir vor, es gibt keine Länder
Es ist nicht schwer zu tun
Nichts, wofür man töten oder sterben muss
Und auch keine Religion
Stell dir vor, all die Menschen leben in Frieden, du

Du magst sagen, ich bin ein Träumer
Aber ich bin nicht der Einzige
Ich hoffe, du wirst dich uns eines Tages anschließen
Und die Welt wird eins sein

Stell dir vor, keine Besitztümer
Ich frage mich, ob du das kannst
Keine Notwendigkeit für Gier oder Hunger
Eine Bruderschaft der Menschen
Stell dir vor, alle Menschen teilen die ganze Welt, du

Du magst sagen, ich bin ein Träumer
Aber ich bin nicht der Einzige
Ich hoffe, du wirst dich uns eines Tages anschließen
Und die Welt wird eins sein

Originaltext:

Imagine there's no heaven
It's easy if you try
No hell below us
Above us only sky
Imagine all the people living for today

Imagine there's no countries
It isn't hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion too
Imagine all the people living life in peace, you

You may say I'm a dreamer
But I'm not the only one
I hope some day you'll join us
And the world will be as one

Imagine no possessions
I wonder if you can
No need for greed or hunger
A brotherhood of man
Imagine all the people sharing all the world, you

You may say I'm a dreamer
But I'm not the only one
I hope some day you'll join us
And the world will be as one
Bild von Wilfried Pohnke auf Pixabay

Kriegslied

von Matthias Claudius (1740-1815)
's ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
         Und rede du darein!
's ist leider Krieg – und ich begehre
         Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
         Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagenen zu mir kämen,
        Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
         Verstümmelt und halbtot
Im Staub vor mir sich wälzten und mir fluchten
          In ihrer Todesnot?

Wenn tausend, tausend Väter, Mütter, Bräute,
          So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
          Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten
            Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zur Ehre krähten
            Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?
            Die könnten mich nicht freun!
's ist leider Krieg – und ich begehre
            Nicht schuld daran zu sein!