Zündender Funke

Quelle: Pixabay
Sind es gottgewollte Schranken,
die uns zügeln und regieren;
aufgestaute Wut der Mengen,
deren Seelen leidend frieren?

Hass schwingt zwischen den Parolen,
Unterdrückung schafft sich Raum;
wo Gewalt und Armut herrschen,
hält kein Mensch sich mehr im Zaum. 

Hindern Menschen hinter Grenzen,
frei entwickelt ‚Mensch zu sein‘,
unterdrückt durch Staat und Glauben,
hört man sie in Fesseln schreien.

Sehen die eigne Welt zerfallen
und darin sich selbst vergehen,
ihre hasserfüllte Sprache
können nur sie selbst verstehen. 

Durch das Leiden ihrer Seelen
zieht das Unglück durch das Land;
morden die, dies besser hatten,
sind für sie der Fesseln Band. 

Auch die leidbeschwerten Tage,
tragen volle Segensschalen;
wenn der tiefe Sinn sich öffnet,
scheint die Welt in hellen Farben. 

Platz ist in der kleinsten Hütte,
wenn man liebt und wenn man teilt;
nimmt man denen, die nichts haben, 
schürt man Feindschaft alle Zeit. 

Zertretene Seelen

Bild von billy cedeno auf Pixabay
Missgestaltet, wer zertreten ist im Leben;
unter harten Schritten, die vernichten,
liegen sie zu Boden, sind zermalmt,
wie ein Gewächs des Weges,
unbeachtet von der Welt
im Schmutz zertrampelt,
vor der Blütezeit.

Harte Sohlen ließen keine Sonne,
kein Erwecken, kein Gedeihen;
abgestorben, die zerstörten Seelen -
zerdrückte Lebenskraft, am Boden festgepresst
und in sich selbst verkrochen,
wie stumpft geworden in Gleichgültigkeit.
Bild von billy cedeno auf Pixabay
Erstickter Keim, 
der nach Fruchtbarkeit strebte,
doch außer Leid nichts fand als Tragik und Verdruss.

Sich ausgeschlossen fühlen ist ein Drucklufthammer,
von außen eingedrungen in den Kern des Lebens.

Entgottet ist die kranke Zeit, erschauernd.
Hört, wie in sternenlosen Heimwehnächten sie schreit und schreit!
Bild von Jensie De Gheest auf Pixabay

Abendglocken

Adolf Luben (German, 1837–1905)
Wenn sich zu abendlicher Stunde
der Glocke Klang vom Turme schwingt,
hinaus getrieben in die Welt,
die sich verhüllt im Abendwind,

dann gurren Tauben auf dem Dache,
der Falke zieht die Kreise dichter
und in den Häusern, nah dem Bache,
erleuchten erste traute Lichter. 

Nur das Geläut tönt durch die Reihen,
lädt ein mit Predigt und Gesang;
das Volk erscheint im frommen Schweigen,
zur Abendmesse geht ihr Gang. 

Scheu gilt ihr Blick den Heimgegangnen,
die hier in ihren Gräbern ruhen;
spüren die wandermüden Füße,
in frisch polierten guten Schuhen. 

Sie huschen auf die Kirchenbänke,
von wo sie still der Andacht lauschen,
sie singen, was sie stets gesungen,
gemeinsam mit der Orgel Rauschen. 

Windig streicht ein frisches Lüftchen,
in der Linde düstern Zweigen,
aus der Kirche Himmelsspeise
nehmen sie nach Haus und schweigen.

Haben nichts als leere Hände,
denn das Brot ist auf und teuer,
doch dem Priester schmeckt der Braten -
wohlgenährt sitzt er am Feuer. 

Die kranke Welt

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Die alte Welt, die unzerstörbar schien,
zerbricht am technisierten Leben;
das Neue kommt, die alten Werte fliehen,
Bequemlichkeit, die nehmen will, nicht geben.

Der Spaß der Zeit tanzt in den Alltagsköpfen,
singt mit den Weltenbummlern im Duett,
versucht mit allen Mitteln auszuschöpfen,
was nichts Althergebrachtes auf dem Etikett.

Die Menschen beuten aus und unterdrücken,
wollen stets größer, schneller sein und weiter.
Erfindungen sind keine Himmelsbrücken,
die andre Seite der Medaille ist nicht heiter!

Die Welt scheint ankerlos, von Gier gehetzt,
mit Toten im Gepäck, viel an der Zahl.
So brüchig wirkt sie, schwer verletzt,
findet an vielen Orten Leid und Qual.

Sie blutet still, aus tausend Wunden,
der „Herr der Fliegen“ tobt sich auf ihr aus.
Bald scheint der Mensch auf ihr verschwunden,
vergeht wie Staub, im Geisterhaus.

Auf dieser Welt sieht jeder nur Gewinn.
Was geben wir zurück, wenn’s doch gestohlen?
Bald treibt die Welt als Geisterschiff dahin.
Ist an der Zeit, die Segel einzuholen!

Arm und Reich

Jean-Léon Gérôme 1824-1904
CONDE, LOUIS III. DE BOURBON + LUDWIG XIV. VON FRANKREICH 1674

Den Glanz von einst, voll Sinneslust und prächtig,
trägt die Erinnerung mit Weh und tiefem Groll.
Wie gestern, sind auch heut’ die Reichen mächtig,
und blutend zahlt das Volk den bitt’ren Zoll.

Die Armut klafft aus offnen Weltenwunden,
die Qual des Hungers gräbt sich ein, voll Schmerz.
Auch heute liegt in trauertiefen Stunden,
manch’ sterbend Kind am stillen Mutterherz.

Man tanzt mit viel Glamour in Taft und Seide,
Champagner fließt und Kaviar wird serviert.
Da draußen, gar nicht weit im tristen Kleide,
wird eine trockne Scheibe Brot zum Mund geführt.

Verschwendung hier und anderswo das Darben,
wo Fülle doch für alle birgt die Welt.
Die Zeit legt auf die Wunden Wohlstandsnarben,
der Teufel dient alleine Macht und Geld.

Und was satanisch grinst aus den Gazetten,
ist, was Profitgier und die Politik serviert.
Die Armut wälzt sich angstvoll in den Betten
und Reichtum glänzt daneben, ungeniert.

Bettelnde Frau mit Tochter im 19. Jahrhundert

Der Segen des Himmels

Bild von jplenio auf Pixabay

Das Frühjahrsblühen ging vorüber,
nur dürftig sind die Bäume tragend,
und in den Gärten schwebt ein trüber
Rauch vom Grill bis in den Abend.

Man röstet Fleisch in rauen Mengen
und sieht nicht, was der Erde blüht.
Wo Tierwohl schweigt bei Partygängen,
berührt der Tod nicht das Gemüt.

Der Erde Wohl sind reife Früchte,
sie wachsen nicht in den Regalen.
Der Supermarkt deckt viele Süchte,
dort schreit kein armes Tier in Qualen.

Die halbe Welt trägt ihr Verderben
auf kargen Böden, elendstief.
Wo viele Kinder hungers sterben,
kein Wasser eine Pflanze trieb.

Sie stehen da, sehn unser Plündern
mit leeren Mägen, und wir nehmen
das letzte noch aus ihren Mündern;
kein totes Kind wird uns beschämen.

Das Menschenleben ist begrenzt,
auch unser Wohlstand stirbt beizeiten,
es bebt in uns der letzte Lenz,
bringt scheinbar ew’ge Nacht des Schweigens.

Die Armut treibt im Himmel Blüte,
die Sehnsucht wird ins Licht gehoben,
himmlischer Segen wird zur Güte,
voll Harmonie, wie Frucht verwoben.

Was wir mit sehnsuchtsleerer Hand
entbehrten und was unerfüllt,
wird uns ein Blüh’n im lichten Land,
zum Segen, nicht von dieser Welt.

Des armen Knaben Christbaum

Was für ein fröhlich Tun und Treiben
Am Weihnachtsmarkt bis in die Nacht,
Wie funkelt durch erhellte Scheiben
Der schönen Waren bunte Pracht!
Wer kaufen will, muss heut noch laufen.
Dass er den Christbaum schmücken mag,
Wer feil hat, will noch heut verkaufen,
Denn morgen ist Bescherungstag.

Doch sieh, wie mit betrübten Mienen
Dort an der Ecke, frosterstarrt,
Vom nahen Gaslicht hell beschienen,
Ein Knabe noch des Käufers harrt;
Er hat den Christbaum selbst geschnitten
Mit saurer Müh im Tannenwald,
Sein schüchtern Auge scheint zu bitten:
„O kauft mir ab, die Nacht ist kalt!“

„Kauft ab, ihr könnt so lustig lachen,
Ihr habt das Glück, und ich die Not;
Was soll ich mit dem Christbaum machen?
Die Mutter krank, der Vater tot!“
Doch Niemand, der des bleichen Kleinen
Und seines Baums gewahren mag,
Vorbei rennt jeder mit dem Seinen, —
Und heut ist schon der letzte Tag!

Doch schau, da kommt mit muntrem Schritte
In Sammetpelz und Federhut –
Die schöne Mutter in der Mitte –
Ein Kinderpärchen wohlgemut;
Den Korb gefüllt mit Weihnachtsgaben,
Trabt hinterher des Hauses Knecht –
„O Mutter, sieh den Baum des Knaben,
Der ist für uns noch eben recht!“

Die schöne Mutter zahlt in Eile
Dem Knaben sein Viergroschenstück,
Er dankt – und schaut noch eine Weile
Den Frohen nach mit trübem Blick:
Wir wird sein Christbaum morgen funkeln
Im fremdem Haus, im Kerzenschein,
Und ach! im Kämmerlein, im dunkeln,
Wie still wird seine Weihnacht sein!

Drum Kinder, wenn, bekränzt mit Gaben,
Euch euer Christbaum fröhlich brennt,
Denkt, ob ihr nicht den bleichen Knaben
Und seine kranke Mutter kennt?
Und geht und trocknet ihm die Wangen
Und lernet von dem heilgen Christ.
Dass zwar vergnüglich das Empfangen,
Doch seliger das Geben ist!

Karl Friedrich von Gerok (1815-1890)

Weihnachtsabend

Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll,
Der Kinder denkend, die ich ließ zu Haus.
Weihnachten war’s; durch alle Gassen scholl
Der Kinderjubel und des Markts Gebraus.

Und wie der Menschenstrom mich fortgespült,
Drang mir ein heiser Stimmlein in das Ohr:
„Kauft, lieber Herr!“ Ein magres Händchen hielt
Feilbietend mir ein ärmlich Spielzeug vor.

Ich schrak empor, und beim Laternenschein
Sah ich ein bleiches Kinderangesicht;
Wes Alters und Geschlechts es mochte sein,
Erkannt ich im Vorübertreiben nicht.

Quelle: Andersen Märchen – Das Mädchen mit den Schwefelhölzern

Nur von dem Treppenstein, darauf es saß,
Noch immer hört ich, mühsam, wie es schien:
„Kauft, lieber Herr!“ den Ruf ohn Unterlaß;
Doch hat wohl keiner ihm Gehör verliehn.

Und ich? – War’s Ungeschick, war es die Scham,
Am Weg zu handeln mit dem Bettelkind?
Eh meine Hand zu meiner Börse kam,
Verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind.

Quelle: Andersen Märchen

Doch als ich endlich war mit mir allein,
Erfaßte mich die Angst im Herzen so,
Als säß mein eigen Kind auf jenem Stein
Und schrie nach Brot, indessen ich entfloh.

Theodor Storm (1817-1888)