Die Spinne

Bild von Sven Lachmann auf Pixabay

Als ich Kind war, liebte ich den Garten,
spielte stets im Hof und bei den Bäumen,
war erfüllt von kleinen Mädchenträumen,
konnte kaum mein Reich des Glücks erwarten.

Lehnte oft am Anbau alter Mauern,
die den Hühnerstall zum Hof begrenzten,
schaute, was die Rosen, rot, bekränzten,
sah sie meine Kindheit überdauern.

Spielte mit den Spinnen an den Netzen,
die mit Kreuzen auf dem Rücken hingen;
pflückte sie und forschte, wie mit Dingen,
es fiel schwer, sie dann zurückzusetzen.

Einmal fühlte ich zwei Augen schauen,
als ich an der groben Stalltür stand,
Blicke fühlend, habe ich mich umgewandt.
Was ich sah, erfüllte mich mit Grauen.

An der weiß getünchten Mauer hing‘s,
ganz bedrohlich über meinem Kopfe,
sah wie‘s Herz der Spinne pochte,
merkte, wie ihr schmaler Atem ging.

„Heute kommst du noch davon!“,
fühlte ich gedanklich, lief und weinte.
Sie war schwarz und hatte lange Beine,
groß und haarig…war wie ein Spion.

Nie mehr wieder sammelte ich Spinnen,
unsichtbar befohlen, waren sie tabu
und es war, als schaute ‚sie‘ mir zu,
als wenn ihre Blicke nie vergingen.

Vertraute Töne

Claude Monet (1840-1926)

Es tönt in uns, wie ein vergessenes Lied,
die Stimme Gottes klingt vertraut
und unser Herz erblüht.
Es ist, als schreiten wir durchs milde Abendlicht,
vorbei an fremden Gärten, fremden Türen,
und plötzlich lauschen wir gespannt und spüren
die Stimme eines Engels, her geweht,
aus fernen Himmeln, wie der Mutter Singen,
so süß und weich wie einst.
Wir stehen still und lauschen.
Will sie uns bringen
Erinnerung aus unsrem Kinderreich?
Ist es ein wohl vertrauter Klang aus Vaters Haus?
Das Lied der Freude löscht die Fremdheit aus,
und wie durch Zauberhand
blüh’n Heimatblumen uns in fremden Gärten,
und fremde Sterne leuchten traulich, Licht an Licht,
wenn Deine Stimme, Gott, aus einem Menschen spricht.

Die Schaukel

An einer alten Wäschestange,
baute sie Vater, gar nicht lange,
so, gut vertäut an großen Haken,
konnte ich’s schließlich kaum erwarten,
das Sitzbrett unter’n Po zu schieben,
nach kurzem Zögern wollt ich fliegen.

Die Schatten huschten an den Giebeln,
es spukten Bilder an den Ziegeln
der Nachbarhäuser, auf und nieder,
mit jedem Wiegen sah ich’s wieder,
spürte in meinem Kindersinn,
dass ich ganz nah dem Himmel bin.

Ich schwang dem Schattenbild entgegen,
genoss das Fliegen und das Schweben,
mal vorwärts und mal hintenüber,
war ganz verträumt und schloss die Lider,
um eins zu sein mit Zeit und Wind,
war glücklich, wie‘s nur Kinder sind.

In unsrer kurzen Lebenszeit
gibt Freude schwebend Leichtigkeit
im Fallen und im Steigen,
wenn sich die Schatten neigen,
durchfliegen wir das Sein im Wind,
hinauf, hernieder wie ein Kind.

Frühlingshafte Freudigkeit

Albert Samuel Anker (1831-1910)

Ein Hahnenschrei begrüßte meinen Tag,
als ich noch klein im Bettchen lag.

Ich war noch wie ein leeres Feld,
hineingeboren in die Erden-Welt.

Voll Neugier war ich einst als Kind,
für’s harte Leben unschuldig und blind,

vertrauensvoll, eifrig und klug,
sah nicht der Menschen Fehl und Trug.

Frühling war in mir und das Freuen
auf viele Stunden, die bunten, neuen.

Morgens zog’s mich in den Garten,
wo große Wunder auf mich warten.

Lief hin zu dem hölzernen Gatter,
entzückt vom Entengeschnatter.

Klangfroh war’n die Küken im Glück,
nichts wissend um ihr Geschick.

So, wie im Abendrot verborgen,
sah ich den neuen lichten Morgen,

der still im Sonnenglanz sich kündet,
mit dem so manche Angst verschwindet,

und was mich abends noch bedrückt,
im Tageslicht war’s längst entrückt.

Die Kindheitslieben sind verborgen
unter den tristen Alltagssorgen.

Dinge besser machen, statt bereuen,
unschuldig, dem Licht entgegenfreuen,

so, in diesem Hell geborgen,
eil ich hin zum nächsten Morgen

und genieß in dieser Zeit
frühlingshafte Freudigkeit.

Kaninchen

Paul Hoecker (1854-1910)

Hinter dem Haus – ein Kaninchenstall,
bot ihnen ein liebloses Heim.
Das war halt so, ich warf lieber Ball,
zum Nachdenken war ich zu klein.

Urin durchtränkt und von Kot übersät,
war der Stall – kein schöner Ort.
Vater war der, der säubert und mäht,
denn sie fraßen in einem fort.

Doch hinter dem Haus war zu wenig Grün,
und wir zogen mit Leiterkarren
in „den Bruch“, um Kettensalat zu ziehen,
für alle, die hungrig waren.

*Bruch = Rheinaue Homberg

Felix Schlesinger (1833-1910)

Nach einem halben Jahr etwa,
ging Vater allein in den Garten.
und sonntags gab es dann sogar
Kaninchen als Sonntagsbraten.

Dann eines Tages lernte ich schnell,
was mich schier mit Leid berührte,
als mein geliebter „Hansi“ ohne Fell,
hing an der alten Türe.

Ich war schockiert, war lange betrübt
und habe seitdem beschlossen,
nie wieder zu essen, was ich geliebt,
schon gar keine Hausgenossen.

Ich mag…

Schneewittchen und die sieben Zwerge – meine Kindergarten-Zeichnung 1957

Ich mag in der Vergangenheit wühlen,
habe so manche Träne vergossen.
Ich dekoriere Eier, spür‘ alte Gefühle;
hab sie tief in meinem Herzen verschlossen.
Ich tue so, als wären ALLE bei mir.
Denn nur, weil IHR gelebt, bin ich hier!

Ich mag Kamine, die rauchen…wie auf meinen Kinderbildern.
Häuser, in denen vertraute Menschen wohnen und Gewohnheit,
die, wie gewachsen an Jahren, Ringe wie in Stämmen tragen.

Ich mag rote Ziegelstein-Dächer, die bei Regen dunkler werden,
dort, die vielen kleinen Schlote, für das Rauchige auf Erden,
Kaminfeuer, das in Haus und Gemüt Behaglichkeit versprüht.

Ich mag, wenn Vögel in den Rinnen Regenwasser trinken,
auf den Dächern landen und zurück in hohe Bäume fliegen,
wo in den Gärten ihre Nester liegen und sie kunstvoll Zweig am Zweig
verbinden.

Ich mag, wie in der Kindheit auf der steinernen Treppe sitzen,
Lakritz-Wasser trinken und Glanzbilder in Opas Zigarrendose betrachten,
die Unbeschwertheit weniger Tage genießen und abends mit Grießbrei den Abend beschließen.

Ich mag die ferne Zeit in unserem Garten,
wo Ostereier noch mancherorts lagen.
Als ich zum jährlichen Osterfest unter den Sträuchern fand so manches Nest.

Ostern 1957 – Foto: Almuth Köhler

Dort, wo die Osterfeuer nicht verboten, sondern der Freude dienen und dem Brauch.
Wo uns niemand am Menschsein hindert, das eigentlich gut war, als wir erschaffen,
das mag ich auch!

Die Rhön

Foto: Friedrich Köhler – Aus Familienbeständen

Ich erinnere mich: Als ich 13 Jahre alt war, gab es in der Tageszeitung meiner Eltern samstags eine Rubrik, die nannte sich „Pfiffikus“. Ob es sie heute noch gibt, weiß ich nicht. Damals konnte man eine Schriftanalyse anfertigen lassen, durch die festgestellt wurde, welcher Beruf in Frage käme. Die Antwort auf meine Anfrage lautete: Bauer.

Mit dieser Aussage konnte ich mich identifizieren. Nichts war mir lieber, als die Erinnerungen an die Kindheitstage in der Rhön. Dorthin fuhr ich relativ häufig, erst mit meiner Mutter, später dann mit beiden Elternteilen.

Foto: Friedrich Köhler – Aus Familienbeständen

Das Bauerndorf heißt „Habel“. Es war klein, hatte nur wenige Einwohner. Habel wurde damals Grenzort und lag nur 2 km von der Grenze entfernt. Meine Mutter musste aus dem Arbeitsdienst dorthin flüchten, als vor Kriegsende ‚der Feind‘ immer näher kam. In Habel wurde meine Mutter aufgenommen und bei einem Bauern untergebracht.

Foto: Friedrich Köhler – Aus Familienbeständen

Als ich klein war, lebten dort Kinder im gleichen Alter. Ich durfte später bei dieser Familie wohnen.
Mit den Mädchen bin ich an die Zonengrenze gegangen und verstand damals das warnende Stoppschild nicht. Es war uns verboten, dorthin zu gehen.

Foto: Friedrich Köhler – Aus Familienbeständen

Am liebsten verbrachte ich den Tag in den Ställen. Jeder Bauer hatte Schweine, Kühe und Hühner. Es machte mir nichts aus, früh aufzustehen, um die Kühe auf die Weide zu treiben. Das war um fünf Uhr. Auch heute bin ich Frühaufsteher. Danach halfen wir auf dem Feld oder in der Küche. Einmal im Monat wurde im Dorf-Backhaus Brot gebacken, das herrlich schmeckte: große runde Laibe mit Sauerteig und Gewürzen. Darauf leckere Marmelade aus Himbeeren. Das ist ein Geschmack aus der Kindheit, den ich in meinen Gedanken eingefangen habe. Hier in NRW gibt es solch ein Brot nicht. Aber hin und wieder bestelle ich es mir online.

Foto: Friedrich Köhler – Aus Familienbeständen

In den letzten Tagen fand ich im Internet einen Persönlichkeitstest, der angeblich anzeigte, welchem Beruf man in einem längst vergangenen Leben nachgegangen sein soll. Wieder war das Resultat: Bauer im 30jährigen Krieg.

Schon seltsam, wie mich das verfolgt. Vielleicht im nächsten Leben?

Vater und Familie

Foto: Almuth Köhler, Mein Vater backte die leckersten Torten

Familie, in die hineingeboren,
ich mich wie ausgeliefert sah.
Als Baby, neu und unverdorben,
nahm ich den Vater ‚böse‘ wahr.

Sein Schreien, aggressiv im Tone,
sein Schlagen, wenn ein Wort nicht passte,
bis ich dem Männerbild zum Hohne
ein Vater-Abziehbild verpasste.

Ich musste ‚Bitte, Bitte‘ machen,
wenn Vater was gewähren sollte.
Ins Wohnzimmer geschlichen bin ich,
damit der Vater mir nicht grollte.

Foto: Almuth Köhler – Aus Familienbeständen

Und meine Mutter stand ganz stumm,
wenn voller Furcht die Tränen rannen.
Was Vater tat, schien ihr nicht dumm,
ich sollte Folgsamkeit erlangen.

Und jede Träne war sein Ziel,
er hasste meine jungen Schwächen.
Für ihn war es ein ‚schwarzes‘ Spiel,
mich bei Missfallen zu verdreschen.

Foto: Almuth Köhler – Aus Familienbeständen

Ich liebte ihn, trotz alledem.
Er war mein ‚böser Friederich‘*.
Erst spät im Alter konnt‘ ich sehn,
weshalb am Leben man zerbricht.

So lieblos, wie man ihn erzog,
gab er‘s cholerisch mir zurück.
Dass man mit falschen Werten wog,
ist der Gewissheit schweres Stück.

*aus dem „Struwwelpeter“

Anmerkung: Mein Vater wurde mit 15 Jahren zum Militär einberufen. Sämtliche Kameraden sind damals in Stalingrad gefallen. Er war zwei Jahre in französischer Kriegsgefangenschaft. Solch eine Erfahrung bleibt nicht ohne Folgen.

Die Zeit steht still

Foto: Gisela Seidel

Die Uhr blieb stehn, nach mehr als 100 Jahren.
Ein silbern Zifferblatt, vom Glas bedecktes Kleid,
trotzte so manchen Kriegsgefahren,
doch schließlich siegt der Zahn der Zeit.

Die Zeiger ruhn, sie zogen ihre Runden,
als ich von Krieg und Frieden keine Ahnung hatte.
Im Zeichen bittrer oder süßer Stunden
drehten die Räder unter’m Zifferblatt.

Dem Ticken folgte eine ‚laute‘ Stille,
war wie ein Zeitensterben dann.
Die Uhr, nur schwarz und hölzern ihre Hülle,
auf die ich nichts mehr lesen kann.

Ihr Schlagwerk musste lange schweigen,
doch weiß ich noch den Klang zur vollen Runde,
mit dem er prägte meinen Lebensreigen
und manch durchlebte Kinderstunde.

Als Kind sah ich oft mahnend Omas Hand,
wenn zaghaft sie den großen Schlüssel nahm
und jedes Dreh’n die Feder wand,
damit das Pendel in Bewegung kam.

Voll Übermut hät‘ ich gern aufgezogen,
was meiner Oma lieb und teuer war.
Doch ich war klein, Impuls bewogen,
den Schlüssel wollt ich nehmen, unsichtbar,

und auf ein Bänkchen steigen, ungestört
den Schlüssel drehen…bis die Feder sprang,
den Dialekt in Omas Schimpfen hören…
verklärt mein Blick zurück ins Irgendwann.

Die Zeiger stehen still, die Zeit blieb stehn.
Für mich ein Zeichen von Vergänglichkeit.
Als Kind hab ich die Raben fliegen sehn,
als sie entkamen aus dem Uhrenkleid.

Kind sein

Zug aus Streichholzschachteln. Quelle: Pinterest

Schon wieder Tag!
Die kurze Nacht hängt noch in meinen Knochen.

Kind möcht‘ ich sein,
das freudig aus dem Bett gekrochen,
das voller Neugier auf die Mutter blickte,
ein süßes Brötchen in den Händchen drückte.

Das draußen eine Wunderwelt beschaute,
aus Streichholzdosen bunte Züge baute.
Mit ausgedienten Schachteln spielte,
darin das Fallobst aus dem Garten füllte.

Das jedes Kärtchen, jedes Blatt verwahrte,
sich in die Hüte des Rhabarberblatts vernarrte,
und Kirschen, als die schönsten Ohrgehänge,
im Sommer zeigte in der Menge.

Kind möcht‘ ich sein,
mit Baumel-Beinchen auf der Bank,
Rhabarberstangen in der kleinen Hand,
genüsslich in den Zucker tauchen;
zufrieden in den Himmel schauen.

Die ‚alte Schachtel‘ bin ich selbst geworden.
Schon wieder Tag! Es kommt ein neuer Morgen.
Ich sehe traurig ein, nach all den Jahren:
Mein Zug ist doch längst abgefahren.